Wann gelten Herkunftsländer als sicher?
Unter welchen Voraussetzungen kann das Herkunftsland eines Geflüchteten als sicher eingestuft werden? Das entscheidet heute der Europäische Gerichtshof. Das Urteil dürfte weitreichende Folgen haben.
Es ist Oktober 2024. Das Patrouillenschiff Libra der italienischen Marine nimmt Kurs auf Albanien. An Bord: 16 Menschen, die das Schiff in internationalen Gewässern aufgegriffen hatte.
Die Männer aus Bangladesch und Ägypten sollen die ersten sein, die in Lagern in Albanien auf ein beschleunigtes italienisches Asylverfahren warten - ohne zuvor EU-Boden betreten zu haben. Es ist ein Plan, den sich die Koalition von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni überlegt hatte.
Albanien-Modell nur für Geflüchtete aus sicheren Herkunftsländern
Dafür spielte das Konzept der sicheren Herkunftsländer eine wichtige Rolle: Denn diese beschleunigten Asylverfahren sind rechtlich nur zulässig, wenn die Geflüchteten aus einem sicheren Herkunftsland kommen. Welche Länder das sind, dürfen die EU-Staaten grundsätzlich selbst festlegen.
Menschen, die aus einem solchen Land flüchten, erhalten in der EU in der Regel keinen Schutz. Und nur Geflüchtete aus sicheren Herkunftsländern schickt Italien in die Lager nach Albanien, weil es wahrscheinlich ist, dass ihr Asylgesuch eh abgelehnt wird.
Dem Modell liegt ein Abkommen zwischen Italien und Albanien zugrunde: Demnach baut und betreibt Italien die Lager auf albanischem Boden, eine Gegenleistung soll es offiziell nicht geben. Es könnte aber sein, dass Italien dafür Albanien bei seinem angestrebten Weg in die EU hilft.
Italiens Justiz lässt Geflüchtete nach Italien bringen
Italiens Regierung hielt den Plan für sicher, denn Bangladesch und Ägypten gelten dort - anders als in Deutschland - als sichere Herkunftsländer. Doch die italienische Justiz hatte Zweifel daran, deshalb ließen römische Richter die Geflüchteten nach Italien bringen.
Also ging es für die Geflüchteten schon nach drei Tagen wieder auf ein Schiff, diesmal mit dem Ziel Italien. Laut Anwalt Dario Belluccio aus Bari war es eine komplizierte Situation: "Sie hatten nicht verstanden, warum sie nach Albanien gebracht wurden, und dann nicht, warum von Albanien nach Italien."
Noch zwei weitere Male versuchte die Meloni-Regierung, Geflüchtete vom Mittelmeer aus direkt nach Albanien zu schicken, im November und im Januar. Alle mussten die albanischen Lager nach wenigen Tagen auf Geheiß der römischen Richter wieder verlassen.
Umnutzung der Lager
Melonis Regierung versuchte derweil, die teuren Lager in Albanien anders zu nutzen: Im April schickte sie erstmals Menschen mit abgelehntem Asylbescheid von Italien aus in die Lager, die demnach nun lediglich als Abschiebeeinrichtungen dienen. Aktuell befinden sich dort wohl knapp zwei Dutzend Menschen.
Auch diese Nutzung ist vermutlich ein Novum für die EU: Wohl noch nie hat ein Mitgliedstaat abgelehnte Asylbewerber in einem Nicht-EU-Land vor der Abschiebung inhaftiert.
Die anderen EU-Mitgliedstaaten verfolgen die Geschehnisse aufmerksam. CSU-Chef Markus Söder etwa sagte schon vor dem Bau der Lager, dass eine solche Lösung "tatsächlich helfen" könne. Und auch die ehemalige deutsche Bundesinnenministerin von der SPD, Nancy Faeser, erklärte ihre Sympathien für das Modell.
Melonis Erwartungen nicht erfüllt
Doch auch nach Monaten des Betriebs der Lager kann sich Meloni nicht mit ihnen rühmen. Zwar betonte sie noch im Dezember, dass die Lager ihrer Meinung nach "funktionieren" werden. Doch die Tatsachen bleiben weit hinter ihren Erwartungen zurück.
Immerhin hatte sie eigentlich geplant, im Jahr bis zu 36.000 Menschen in Albanien unterzubringen, während sie auf ihren Asylbescheid warten. Dementsprechend teuer waren die Lager: Laut einer Studie der Universität in Bari gemeinsam mit der Organisation Action Aid kostete allein der Bau eines der Lager mehr als 70 Millionen Euro.
Wann kann ein Land als sicher gelten?
Inzwischen liegt der Fall beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH), der heute entscheiden wird. Wichtig ist dabei: Am EuGH geht es nicht darum, ob es rechtlich zulässig ist, die Asylbewerber in Albanien unterzubringen. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, was unter "sicheren Herkunftsstaaten" zu verstehen ist.
Konkret heißt das, dass der EuGH darüber entscheidet, unter welchen Voraussetzungen Länder als sicher eingestuft werden können - und inwiefern Gerichte diese Einstufung nachträglich überprüfen können. Eine zentrale Frage bei der Verhandlung war, ob Länder auch als sicher eingestuft werden, in denen bestimmte Personengruppen, etwa Homosexuelle, besonders gefährdet sind?
Generalanwalt: Gefährdete Personen müssen geschützt werden
Der Generalanwalt des EuGH, Richard de la Tour, hatte im April in seinem Schlussantrag einen Entscheidungsvorschlag vorgelegt und darin skizziert, unter welchen Voraussetzungen seiner Ansicht nach beschleunigte Asylverfahren zulässig sind.
Er ist der Meinung, dass die EU-Mitgliedstaaten selbst bestimmen dürften, welche Herkunftsländer sicher sind. Sie müssten aber offenlegen, auf welchen Quellen die Einstufung basiere, damit Gerichte diese nachträglich überprüfen könnten.
Außerdem könnten Staaten selbst dann grundsätzlich als sicher eingestuft werden, wenn dort einzelne Personengruppen nicht sicher sind. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Herkunftsstaat demokratisch ist und die betroffenen Gruppen schützt. Bei Menschen, die zu gefährdeten Personengruppen gehören, dürften die beschleunigten Asylverfahren aber nicht durchgeführt werden, sagte de la Tour. Diese müssten ein reguläres Asylverfahren durchlaufen.
Der Vorschlag des Generalanwalts gilt als rechtliche Einschätzung. Der Europäische Gerichtshof ist nicht an den Entscheidungsvorschlag gebunden - und kann heute auch ganz anders entscheiden.
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