Russische Drohnenangriffe lassen Soldaten und Zivilisten in der Ukraine kaum Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Eine Idee aus den Niederlanden soll Schutz bieten - und sie kommt ausgerechnet aus dem Tulpenanbau.

Der Einsatz von Drohnen hat die Kriegsführung fundamental verändert - das ist eine der Lehren aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Es sind nicht nur die großen Dohnen, die in Städten schwere Verwüstung anrichten. Auch kleinere Drohnen Russlands terrorisieren die ukrainische Zivilbevölkerung und machen Jagd auf ukrainische Soldaten.

Lebensrettenden Schutz in dieser Situation soll in dieser Lage aus der Tulpenproduktion in den Niederlanden kommen. Und das hat mit Peter Perry, seinen Tulpennetzen und dem Logistiker Otto Jelsma zu tun.

Netze, aufgerollt wie Garn

Perry ist Tulpenzüchter, sein Familienbetrieb züchtet nicht nur Blumen, sondern vor allem auch Blumenzwiebeln. Diese werden im November im schweren Lehmboden nur wenige Zentimeter tief vergraben und dürfen im Frühjahr kurz zur Blume werden. Aber die wird sofort "geköpft", wie es im Branchenjargon heißt, und nicht verkauft. Denn alle Kraft soll in die Zwiebel.

Mitte Juli holt Perry die "Bollen" aus der Erde. 80 bis 100 können das auf dem Quadratmeter sein, und um den Prozess möglichst effizient zu machen, hat die Agrarindustrie feine Netze erfunden, die in zwei Lagen mit den Zwiebeln über den gesamten Acker eingegraben werden.

Die Enden dieser Netze lassen sich zur Ernte in eine Spezialmaschine einspannen und aus der Erde ziehen, als würde man das Garn eines Pullis aufrebbeln. Die begehrten Zwiebeln kullern dabei in Ernteboxen.

Dieses Netz hat seinen Zweck in der Erde erfüllt. Doch es kann auch oberhalb des Bodens nützlich sein.

Abfall - oder doch noch nützlich?

Diese Tulpennetze sind fein, aber ausgesprochen stabil und meistens nach Reinigung wiederverwendbar. Wenn aber zum Beispiel ein Nager große Löcher reinfrisst, sind sie für Tulpenzüchter Perry im Prinzip Abfall.

Und doch können sie für etwas nützlich sein. Wozu, hat ihm Otto Jelsma gezeigt, der mittlerweile zu einem Netzspezialisten geworden ist.

Jelsma ist Ex-Militär. Mit 20 diente er im Irak - die niederländische Regierung hatte 2003 nach dem Einmarsch von US- und britischen Truppen in das Land ebenfalls Soldaten dorthin entsandt. Die Nachwirkungen beschäftigen Jelsma noch heute - er kam mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom zurück in die Heimat.

Mit Plastikmüll im Meer fing die Initiative von Otto Jelsma an. Inzwischen setzt er auf andere Netze.

Auch Reste können helfen

Stillsitzen und Zugucken kann er allerdings nicht, wenn er den Krieg in der Ukraine verfolgt. Auch die Niederlande seien doch hochgefährdet, erklärt er. Schließlich sei man das Logistikzentrum des Westens und äußerst dicht besiedelt. Wenn der Krieg nach Europa käme, wäre sofort "Land unter" in den Niederlanden, befürchtet der Ex-Soldat und spielt damit auf die Verwundbarkeit der niederländischen Deiche und Schutzvorrichtungen gegen Hochwasser an.

Seit drei Jahren hilft der Logistiker deshalb der Ukraine - und bringt Netze in das Land. Angefangen hat er mit Fischernetzen aller Art, die er nach wie vor einsammelt, selbst kleine Stücke. "Damit kann man noch einen Helm camouflieren", meint er. Aber dieser Markt sei allmählich "leer gefischt". Auch in Belgien oder den skandinavischen Ländern gebe es nicht mehr allzu viele "Restnetze".

Daher sieht sich seine Initiative mit dem Namen Heavensshield, zu Deutsch Himmelsschild, nach neuen Netzquellen um. Und so kam Jelsma auch mit Tulpenzüchter Perry zusammen, dessen für die Zucht untauglich gewordene Netze in der Ukraine Leben retten können.

Ferngesteuert mit Glasfaserkabeln

In der Ukraine werden mit Netzen ganze Tunnel über Straßen gebaut. Denn die Drohnenangriffe nehmen stetig zu. Sie können jeden jederzeit treffen, denn sie hängen mittlerweile oft an haarfeinen Glasfaserkabeln.

Zuvor war es möglich, die Funksignale der Drohnen zu stören, mit dem Risiko unkontrollierter Abstürze. Nun können sie per Glasfaser kilometerweit hinter die Front fliegen und nach Zielen suchen. Und das macht die Netze so wertvoll. Darin bleiben kleine Drohnen stecken, was tatsächlich Schutz gibt.

Über vielen Straßen in der Ukraine werden Netze zum Schutz vor Drohnen aufgebaut. Die Hoffnung: Ein bisschen Zeitgewinn, um Schutz vor Drohnen zu suchen.

Winzernetze - eine weitere Idee

Um hier zu helfen, sieht sich Jelsma auch nach weiteren Quellen für Netze um. Er habe auch ein Auge auf die Netze geworfen, die deutsche Winzer verwenden, um ihre Ernten zu schützen, berichtet er. Aber die sind der Witterung ausgesetzt und sehr viel instabiler als die niederländischen Tulpennetze.

Mittlerweile arbeitet er mit Netzsammlern in acht Ländern, darunter auch Polen, Großbritannien und Frankreich. Bisher konnte er rund 300 Lkw mit fast 5.000 Tonnen Netz in die Ukraine schicken.

Die Transportkosten werden dabei weitgehend von ukrainischen Initiativen getragen. Rund 3.000 Euro kostet die Reise per Lkw.

Hunderte Lkw, vollgepackt mit Netzen, hat Jelsmas Initiative schon in die Ukraine geschickt.

Etwas mehr Reaktionszeit

Von den Ukrainern selbst weiß Jelsma, dass sie mit Hilfe der Netze 150 Kamikazedrohnen abfangen und mehr als 50 Menschenleben retten konnten.

Eine Allzweckwaffe sei das natürlich nicht, aber es schenke den Soldaten Reaktionszeit, die sie vielleicht sonst nicht haben, wenn sie die Drohne zu spät sehen oder hören.

Die Vorstellung, Menschen zu retten, macht Jelsma glücklich, denn er steht in den Niederlanden mit vielen Frauen, Schwestern, Müttern von ukrainischen Soldaten, in Kontakt.

Nein, der Einzige, der in diesem Bereich arbeite, sei er nicht, aber auf 30 bis 40 Wochenstunden ehrenamtlich bringe er es schon. "Wir leben in Freiheit, weil sie notfalls hart für unsere Grenzen kämpfen. Und ja, dann kann ich nicht einfach stillsitzen und wegschauen", sagt der Ex-Soldat mit einer Mission.

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