Beirut: der lange Kampf um Gerechtigkeit nach der Explosion
William Noun steht in der Kirche St. Joseph in Mischmesch, hoch oben in den libanesischen Bergen. Die Kirche hat er selbst gebaut, sie trägt den Namen seines Bruders Joe. Joe war ein Feuerwehrmann, der am 4. August 2020 bei der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut ums Leben kam. In einer Vitrine liegen einige seiner persönlichen Gegenstände: eine Uhr, ein Portemonnaie. Es sind die Dinge, die er im Auto liess, bevor er zu seinem letzten Einsatz aufbrach.
Manchmal scrollt man durchs Handy – und plötzlich ist da ein Foto meiner verstorbenen Schwester.
Die Kirche ist Gedenkstätte und Kraftort zugleich. Gleich nebenan lebt William Noun mit seiner Frau Maria Fares. Sie verlor bei der Explosion ihre Schwester Sahar. Die gemeinsame Trauer führte die beiden zusammen. Heute sind sie verheiratet, ihr Sohn trägt den Namen des verstorbenen Bruders: Joe.

Vergessen können sie den 4. August nie. «Manchmal scrollt man durchs Handy – und plötzlich ist da ein Foto von meiner Schwester», sagt Maria. Am Jahrestag sei der Schmerz aber besonders stark.
Kirche St. Joseph
Gemeinsam gründeten William und Maria einen Verein für die Hinterbliebenen der Opfer und kämpfen seither für Gerechtigkeit. Doch der libanesische Staat mauerte. Der Untersuchungsrichter Tarek Bitar wurde massiv behindert, auch weil seine Ermittlungen Politiker und Beamte belasteten. Vor allem die mächtige Hisbollah wehrte sich vehement und bedrohte Bitar sogar mit dem Tod.
Neuer Schwung durch neue Regierung?
Seit der Zerschlagung der Miliz und der Ermordung ihres Anführers Hassan Nasrallah letztes Jahr hofft William Noun, dass jetzt etwas Bewegung in die Sache kommt. Zumal seit Januar die neue Regierung von Präsident Joseph Aoun und Premierminister Nawaf Salam verspricht, die Geschehnisse aufzuklären.
Es gibt keine Garantie, dass es zu Urteilen kommt.
Auch Ramzi Kaiss von Human Rights Watch bestätigt: Erstmals arbeiten Justiz, Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen. Ehemalige Minister, Zollbeamte und sogar Angehörige der Armee wurden vorgeladen.
Ein Durchbruch sei es allerdings noch nicht. «Es gibt keine Garantie, dass es zu Urteilen kommt», warnt Kaiss. Präsident Aoun war einst selbst Militärchef. Einige seiner Vertrauten stehen nun auf der Liste der Ermittler. William Noun bleibt skeptisch: «Blindes Vertrauen gibt es in diesem Land nicht.»
Gerechtigkeit bleibt ein schwacher Trost
Und doch: Der Wandel in der politischen Atmosphäre weckt vorsichtige Hoffnung. Aufgeben, sagen William und Maria, sei keine Option. Der Verlust bleibt. Aber die Wahrheit – und vielleicht eines Tages auch Gerechtigkeit – geben ihnen die Kraft, weiterzukämpfen.

Doch auch, wenn Gerechtigkeit vielleicht einmal erreicht werden könne, bleibt der 4. August ein Tag der Trauer für die beiden. Der Tag, an dem sie beide einen Teil ihrer Familie verloren haben, wegen politischer Fahrlässigkeit, die über fünf Jahre lang mit allen Mitteln zu vertuschen versucht wurde.
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