Zurück, aber kaum wiederzuerkennen
Viele Ukrainer sind nach ihrer Rückkehr aus russischer Gefangenschaft schwer gezeichnet. Fast alle zeigen Anzeichen von Folter und schweren Misshandlungen und berichten von systematischem Sadismus.
Es müssen russische Ärzte gewesen sein, die ihm diese Worte in den Bauch gebrannt haben, sagt Andrij Perewersew. "Slawa Rossii" - "Ruhm für Russland". "Sie machten gerade einen Verband. Ich hob den Kopf und sah hin. Ich war total geschockt. Aber was soll man machen? Wenigstens bin ich noch am Leben."
Im Februar 2024 wird der 33-Jährige während heftiger Kämpfe im Donbas verwundet und von russischen Soldaten gefangen genommen. Die Folter habe sofort begonnen, berichtet er. "Meine Hände waren gefesselt, meine Augen verbunden. Dann sagten sie: 'Das ist für unsere Jungs'. Sie schlugen mir dreimal mit einer 5-Liter-Flasche Wasser ins Gesicht. Ich verlor das Bewusstsein."
Laut Bohdan Ohrimenko vom ukrainischen Koordinationszentrum für Kriegsgefangene weisen nahezu alle Heimkehrer sichtbare Spuren systematischer Gewalt auf: gebrochene Rippen, Verbrennungen, Elektroschocks, seelische Zerstörung.
Viele Gefangene erleben demnach systemischen Sadismus. In sogenannten Badehäusern etwa dürfen sie sich nur zwei Minuten lang mit eiskaltem oder kochendem Wasser waschen, nackt, unter Schlägen. Auch diese Aussagen sind dokumentiert - ukrainische Ermittler, die Generalstaatsanwaltschaft und Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofs sammeln Beweise.

Die Bauchdecke von Andrij Perewersew trägt eine sadistische Botschaft, die ihm wohl russische Ärzte eingebrannt haben.
Der Nachname wird zum Verhängnis
Auch Valerij Selenskyj war in russischer Gefangenschaft. Auch er wurde gefoltert. Er selbst kann nicht mehr über seine Erlebnisse berichten. Nur vier Wochen nachdem er durch einen Gefangenenaustausch im Mai 2024 frei kam, starb er an den Folgen seiner Verletzungen und Torturen.
Seine Tochter Valeria möchte, dass er nicht vergessen wird, erzählt deshalb über seine Erfahrungen. "Mein Vater wusste um die Bedeutung seines Nachnamens. Es ist nicht nur ein Nachname, es ist der Nachname unseres Präsidenten. Deshalb wurden alle Selenskyjs, die an der Front waren und irgendwie mit den Russen zusammenkamen, besonders brutal behandelt."
Ein Video zeigt den Moment seiner Gefangennahme. Mit den Händen über dem Kopf liegt er auf einem Waldboden. Russische Soldaten beleidigen ihn, verspotten seinen Nachnamen, drohen.
Nach seiner Gefangennahme sei er in einem russischen Gefängnis täglich gedemütigt und gefoltert worden, erzählt Valeria. "Das Erschreckendste, was mir aufgefallen ist, war sein Blick, als er zurückkam. Er war ein Mann, er ... er hatte diesen Adlerblick. Er strahlte Selbstvertrauen und Stärke aus. So war er eben. Doch er kehrte mit leeren, erloschenen Augen zurück."
Ein neues Ausmaß
Verhöre mit Stromschlägen, Waterboarding, Scheinexekutionen, Kastrationen, Verstümmelung, Mord: Die Bilder und Berichte über Ausmaß und Brutalität der Gewalt an ukrainischen Kriegsgefangenen sind erschreckend.
Bohdan Ohrimenko vom Koordinationszentrum für die Behandlung von Kriegsgefangenen verweist auf das Istanbul-Protokoll, das 18 Arten von Folter auflistet. Die Russische Föderation, sagt Ohrimenko, sei sogar noch weiter gegangen ist. "Sie kombiniert diese 18 Arten miteinander und schafft so eine noch größere Anzahl von Methoden, unsere Bürger zu foltern."
Ukrainische Ermittler und internationale Organisationen versuchen, Opfer- und Zeugenberichte zusammenzutragen. Kriegsverbrechen zu verfolgen. Die Vereinten Nationen kommen nach eigenen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Folter an ukrainischen Gefangenen weit verbreitet und systematisch ist.
Viele Rückkehrer berichten auch von massiver sexueller Gewalt. Laut Ohrimenko sind in russischer Gefangenschaft mindestens 359 Ukrainer gestorben. "Sie wurden gefoltert, verhungert und erhielten keine medizinische Hilfe", sagt er.
Auch Zivilisten werden verschleppt
Hinzu kommt: Längst nicht alle ukrainischen Gefangenen sind Soldaten. Es gibt zahlreiche Berichte von Zivilistinnen und Zivilisten in russischer Gefangenschaft. Olena Belyachkowa von der NGO Media Initiative for Human Rights spricht von rund 2.000 verifizierten Zivilisten, die eindeutig identifiziert und lokalisiert wurden.
Schätzungen sprechen jedoch von bis zu 16.000 Inhaftierten. "Wie man sie zurückholen kann, ist eine sehr, sehr große Frage", so Belyachkowa.
"Sie foltern sowohl Militärangehörige als auch Zivilisten mit der gleichen Grausamkeit", sagt sie. "Wir haben sogar eine Situation, in der ein Zivilist die Folter in Gefangenschaft leider nicht überlebt hat. Er war kein ehemaliger Soldat, er war kein Aktivist, der wegen einer pro-ukrainischen aktiven Position inhaftiert wurde."
Ein weiteres Problem ist laut Ohrimenko das Ungleichgewicht: In russischer Gefangenschaft befänden sich weitaus mehr Ukrainer als umgekehrt. Der Austausch müsse daher nach Kategorien erfolgen, etwa bei älteren, schwerverletzten Soldaten, idealerweise im Format "Alle gegen alle". Das funktioniere längst nicht immer - auch weil Russland kein großes Interesse an der Rückkehr der eigenen einfacheren Soldaten habe.

In russischer Gefangenenschaft half Andrij Pereversew der Gedanke an seine Familie. Doch nach seiner Freilassung wirken die physischen und psychischen Folgen der Folter nach.
Schwierige Rückkehr in den Alltag
In Momenten völliger Ausgeliefertheit hat Andrij nur ein Gedanke geholfen. "Was mir in diesem Moment Kraft gab, war mein Versprechen an meine Tochter, nach Hause zurückzukehren. Ich lebte ständig danach, jeden Tag lebte ich danach, es gab mir Hoffnung."
Für Andrij stehen noch viele überlebenswichtige Operationen an, bevor er endlich dauerhaft das Krankenhaus verlassen und nach Hause kann. Das geht frühestens in einem Jahr. Bis dahin helfen ihm vor allem Spaziergänge mit seiner neunjährigen Tochter.
Doch die psychische Heilung sei schwierig, sagt er. "Viele Menschen, viel Lärm, das war kaum auszuhalten." Erst langsam gewöhne er sich wieder an ein Leben außerhalb der schrecklichen Folter.
Für Rückkehrer wie Andrij und Valerij bleibt die Rückkehr ins zivile Leben mühsam. Die Narben, sichtbar und unsichtbar, werden sie ein Leben lang begleiten.
Gefangenenaustausch mit Russland Seit Kriegsbeginn hat die Ukraine laut offiziellen Angaben 5.857 Gefangene zurückgeholt. Neue Vereinbarungen betreffen weitere 1.200. Doch mehr als 70.000 Menschen gelten als vermisst. Wie viele davon leben, ist unklar.Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke