"Ich wusste nicht, wie der Tod riecht"
Vor zehn Jahren erstickten 71 Flüchtlinge in einem Kühllaster. Mit Hilfe von kriminellen Schleppern wollten sie über die Balkanroute in die EU. Der Fall offenbarte das menschenverachtende Geschäft der Schlepperbanden.
"Wir sind alle erschüttert von der entsetzlichen Nachricht", sagte die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sichtlich bewegt. Damals, vor genau zehn Jahren, waren 71 Flüchtlinge qualvoll in einem Kühllaster erstickt. Mit Hilfe von kriminellen Schleppern hatten sie versucht, über die Balkanroute in die Europäische Union zu gelangen.
Die Nachricht erreichte Merkel damals in der Wiener Hofburg bei einem West-Balkan-Gipfel der EU. Das Thema: Wie umgehen mit den Hunderttausenden Flüchtlingen, die sich auf den Weg nach Norden gemacht hatten? Die von Griechenland einfach durchgewunken wurden in den kleinen Westbalkanstaat, der damals noch Mazedonien hieß (Heute: Nordmazedonien). Und die anschließend weiterzogen durch Serbien und sich an der serbisch-ungarischen Grenze stauten, weil Ungarn begonnen hatte, einen Grenzzaun zu bauen. Dort warteten die Schlepper und pferchten die 71 Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan, aus dem Iran und dem Irak in den Kühllaster.
Deutschland und Österreich nahmen Flüchtlinge auf
Wenige Tage später entschied Merkel, gemeinsam mit dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann, die vor allem in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge aufzunehmen. Die "entsetzliche Nachricht" über die toten Flüchtlinge dürfte mit zu Merkels Entscheidung beigetragen haben. Viele bezeichnen das bis heute als "Grenzöffnung" - entgegen der Fakten. Innerhalb des Schengen-Raums gab es seit Jahren keine geschlossenen Grenzen mehr.
Entdeckt wurde der Kühllaster von einem Mitarbeiter der österreichischen Autobahngesellschaft ASFINAG, da stand der 17,5-Tonner schon einen Tag in brütender Hitze in einer Pannenbucht der österreichischen Ostautobahn A4, bei Parndorf im Burgenland kurz nach der ungarischen Grenze.
"Ich wusste nicht, wie der Tod riecht", sagt einer der Ermittler, die damals die Toten bargen: "Das sind Erinnerungen, die man nicht auslöschen kann." Es sei erkennbar gewesen, dass ganze Familien unter den Toten waren, zusammengepfercht auf der Ladefläche: 59 Männer, acht Frauen, vier Kinder. Es dauerte Monate, bis sie identifiziert waren, ein Opfer ist es bis heute nicht.
Polizei war Schleppern bereits auf der Spur
Dabei war die Polizei den Schleppern auf der Spur. Sie kämpfte gegen das lukrative Geschäft krimineller Banden. Von fünf bis sechs Milliarden Euro Umsatz allein im Jahr 2015 sprachen Europol-Verantwortliche damals. Diese Erkenntnisse stammen aus Abhörprotokollen und entdeckten Sprachnachrichten. So wie jene eines der Geflüchteten aus dem Irak - der für die Familie zu Hause sagt: "Wenn wir Deutschland glücklich erreichen, kostet es 1.600 Euro, bis Österreich 1.400, wenn sie uns in Ungarn erwischen, bekommen wir unser Geld zurück."
Wenige Stunden später ist auch dieser Mann tot. Qualvoll erstickt, mit den 70 anderen in diesem Kühllaster für Geflügelfleisch. Die Türen waren luftdicht verriegelt.
Die Ermittler haben den Weg des Todes-Lasters später genau nachzeichnen können, sagt der Chef einer Sondereinheit der ungarischen Polizei gegen illegale Migration. Nur für drei Stunden hätten die Flüchtlinge Luft gehabt. Das habe auf der Autobahn ungefähr bis Budapest gereicht. Er gehe davon aus, dass die Schlepper wussten, dass die Menschen nicht mehr lebten, als sie über die Grenze nach Österreich fuhren.
Protokolle des Grauens
Später, im Prozess in Ungarn, wird klar: Sie wussten es - und es war ihnen hörbar egal. Der Kühllaster mit den Flüchtlingen wurde eskortiert von zwei Schlepper-Pkw. Die ungarische Polizei hat die Gespräche der Schlepper-Bande mitgehört und aufgezeichnet - aber erst später ausgewertet. Sonst hätte das Leben der Flüchtlinge gerettet werden können - vielleicht. Vor Gericht wurden die Mitschnitte vorgelesen. Quälend lange Protokolle des Grauens, menschenverachtend. Die Schlepper beklagen, dass man das "Hämmern" und "Weinen" der Eingesperrten hören würde, sogar bei einem Zwischenstopp an der Tankstelle. Einer sagt: "Ich möchte, dass sie alle sterben."
Sie starben irgendwo bei Budapest. Mit den Toten auf der Ladefläche fuhr der Fahrer des Lasters noch weiter, über die Grenze nach Österreich. Dort stellt er den Lkw ab und machte sich davon. In der Urteilsbegründung heißt es später, den Schleppern sei ihr eigenes Untertauchen wichtiger gewesen als das Leben der 71 Menschen. Sie seien sich auch im Klaren darüber gewesen, dass die Menschen im dem hermetisch abgeschlossen Kühllaster ersticken könnten und: Sie wussten, dass der Laderaum von innen nicht zu öffnen war.

Merkels Erbe – 10 Jahre "Wir schaffen das!"
Der Satz beflügelte Merkels Anhänger, provozierte ihre Gegner und trug zum Erstarken der AfD bei. Haben wir es geschafft oder sind wir gescheitert? ardmediathek
Lebenslange Haftstrafen
Die Schlepperbande wurde gefasst. Die Haupttäter: ein afghanischer Bandenchef. Drei bulgarische Komplizen wurden in Ungarn zuerst zu 25 Jahren, später - in der Berufung - zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, drei davon ohne Aussicht auf Entlassung. Das Geschäft der kriminellen Schlepperbanden ging weiter, schon kurz nach dem Tod dieser 71 Menschen auf der Flucht.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke