Spaniens Pro-Palästina-Bewegung stoppt das Radrennen Vuelta und das staatliche Fernsehen droht mit einem ESC-Boykott. Kurz vor dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers positioniert sich Spanien offensiver denn je an der Seite der Palästinenser.

"Esta vuelta, la gana Palestina!" Mit Sprechchören feiert die Protestbewegung den Abbruch des drittgrößten Etappenrennens der Welt. "Diese Vuelta hat Palästina gewonnen." Hunderttausend Demonstrierende sorgen dafür, dass es für die Radrennfahrer auf der Schlussetappe am Sonntag kein Durchkommen gibt. Auf Madrids Prachtstraßen ein Palästina-Fahnenmeer an Stelle von vorbeiflitzenden Radlern. Die Polizei kann ihnen den Weg nicht frei machen.

Während der kompletten 3.000 Kilometer langen Spanienrundfahrt hatte das Bündnis "BDS - Boycott, Divestment and Sanctions" mal mehr mal weniger rabiat für den Ausschluss des "Israel-Premier Tech Teams" protestiert. Nicht nur, weil einer der Finanziers des Teams dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu nahestehen und mit dem Sport Israels Image polieren soll.

Die Aktivistinnen und Aktivisten haben auch schon weitere Veranstaltungen im Blick "Was wir wollen, ist, dass Israel von allen kulturellen, sportlichen oder Bildungsveranstaltungen ausgeschlossen wird", sagt BDS-Aktivistin Marisa Moro. Zudem wollten sie mit ihrem Protest anprangern, dass israelische Teams mit ihrer Teilnahme an Events dazu beitrügen, das Bild eines Völkermords zu beschönigen. Bei der Vuelta bleibt das Team aber bis zum Schluss im Rennen, ins Ziel fährt am Ende niemand.

Die Frage der Schuld

Kaum ist das Rennen rum, beginnt im polarisierten Spanien die Polit-Diskussion über die Schuld: Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo von der konservativen "Partido Popular" sieht die beim sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. "Herr Sánchez ist für die Gewalttaten verantwortlich, die jeden beschämen sollten, dem unser Land am Herzen liegt."

Der Gescholtene zollt derweil der spanischen Zivilgesellschaft "Respekt und tiefe Bewunderung", sie hätte gegen Ungerechtigkeit mobilisiert und ihre Ideale friedlich verteidigt. Wie die Demonstrierenden spricht auch die spanische linke Regierung von einem Völkermord in Gaza, zwischen Israel und Spanien herrscht auch deshalb diplomatische Eiszeit.

Und seit Sánchez kürzlich mit einer umstrittenen Äußerung ein verschärftes Waffenembargo und weitere Schritte gegen Israel ankündigte, wurde es noch frostiger. "Spanien verfügt weder über Atomwaffen noch über Flugzeugträger oder große Ölreserven", so der spanische Regierungschef. "Wir allein können die israelische Offensive nicht aufhalten. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir aufhören werden, es zu versuchen."

Mehrheit der Spanier beurteilt Israels Vorgehen als Genozid

Sein Volk hat Sánchez hinter sich. Carmen González Enríquez vom "Königlichen El Cano Institut" erklärt, dass in einer Umfrage im Juli dieses Jahres 82 Prozent der Spanierinnen und Spanier das Vorgehen Israels in Gaza als Genozid beurteilen: "Das bedeutet, dass die Spanier auf der rechten, wie auch auf der linken Seite und in der Mitte des Parteienspektrums die Meinung teilen, dass das, was die israelische Regierung in Gaza in diesem Moment tut, aufhören muss."

Dazu passt, dass Spanien bereits 2014 per Parlamentsbeschluss den Willen bekundet hat, Palästina als Staat anzuerkennen - parteiübergreifend mit fast allen Stimmen des Kongresses. Umgesetzt wurde die Anerkennung aber erst zehn Jahre später - von Sánchez Regierung.

Bis 1986 keine diplomatischen Beziehungen zu Israel

Spanien steht traditionell enger an der Seite der Palästinenser als die meisten europäischen Länder, auch aus historischen Gründen. Als Israel 1948 gegründet wurde, herrschte in Spanien Diktator Franco. Zu dieser Zeit sei die traditionell bereits vorhandene pro-arabische Haltung praktische ein Dogma gewesen, so Politikwissenschaftler Fernando Vallespin: "Bis 1986 hatte Spanien keine diplomatischen Beziehungen zu Israel."

Da war Diktator Franco schon mehr als zehn Jahre lang tot. Danach hätten verschiedene Regierungen Anstrengungen unternommen, die Beziehungen zu Israel zu stärken, so Vallespin. Jetzt allerdings dürften sie auf einem Tiefpunkt sein.

Spanien droht mit ESC-Boykott

Der israelische Außenminister Gideon Saar nannte Sánchez nach dem Vuelta-Abbruch einen Antisemiten und Lügner und fragte: "Ist Israel am 7. Oktober in Gaza einmarschiert oder ist der Terrorstaat Hamas in Israel einmarschiert und hat das schlimmste Massaker an den Juden seit dem Holocaust verübt?"

Und die Woche brachte noch mehr Zündstoff für das spanisch-israelische Verhältnis mit sich. Am Dienstag kündigte der spanische öffentlich-rechtliche Rundfunk an, den "Eurovision Song Contest" zu boykottieren, sollte Israel im Wettbewerb bleiben. Spanien gehört zu den sogenannten Big Five, den fünf wichtigsten Geldgebern des Wettbewerbs.

Kaum ein Tag seit der Vuelta, an dem in Spanien nicht für Palästina demonstriert wird. Künstler erinnern in Madrid an das Leid der Kinder in Gaza, Juristen wollen vor der israelischen Botschaft in Madrid demonstrieren.

Deutsche Differenzen in Haltung zu Israel

Und just in dieser Woche kommt der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz zum Antrittsbesuch zu seinem Amtskollegen Sánchez. Bei dessen Koalitionspartner, dem linken Parteienbündnis "Sumar" würden viele die diplomatischen Beziehungen zu Israel am liebsten ganz abbrechen. Der Austausch der beiden Regierungschefs dürfte also interessant werden.

Wobei die Spanische Bevölkerung heute kaum anders auf die Deutschen blickt als vor dem 7. Oktober, so Meinungsforscherin González Enríquez: "Die Differenzen, die zwischen Spanien und Deutschland bezüglich des Palästina-Konflikts bestehen, haben das Bild, das die Spanier von Deutschland haben, nicht negativ beeinflusst. Das ist weiterhin äußerst positiv." Und das politische deutsch-spanische Verhältnis? Muss sich in weltpolitisch schwierigen Zeiten neu sortieren.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke