Unterwegs mit den Minenräumern von Tabqa
Nach Jahren des Bürgerkriegs ist die Gefahr durch Minen in der syrischen Wüste allgegenwärtig. Minenräumer müssen extrem vorsichtig und langsam vorgehen - nicht immer stößt ihre Arbeit bei der Zivilbevölkerung auf Verständnis.
Hamed Abdo ist sichtlich nervös. Eben haben seine Kollegen einen verdächtigen Gegenstand gefunden - mitten in der syrischen Wüste. Vor Teamleiter Hamed liegt jetzt eine unscheinbare silberne Metalldose, die in der Sonne schimmert, sie wirkt wie eine Konservendose. Doch Hamed von der Hilfsorganisation Handicap International weiß: Diese Dose ist Teil des explosiven Erbes des syrischen Bürgerkriegs.
Sofort rollt Hamed das Kabel aus, 200 Meter weit bis zu seiner Basisstation am Rande des Flughafens der Stadt Tabqa. Dort schließt er den Auslöser an und muss warten, bis seine Kollegen den Zünder direkt neben der Metalldose platzieren und zu ihm kommen.
Es ist extrem heiß, 35 Grad, Hamed und seinen Kollegen ist die Anspannung anzumerken. "In dieser Gegend hat das Assad-Regime gegen verschiedene Milizen gekämpft. Sie alle sind für die Minen, Sprengfallen und Streubomben verantwortlich."

Helfer erklären Kindern, wie sie Minen erkennen.
Wechselnde militärische Herrschaftsverhältnisse
Die Gegend um die Stadt Tabqa steht für die wechselnden militärischen Herrschaftsverhältnisse in Syrien seit Beginn des Bürgerkriegs 2011. Ein umkämpftes, weil strategisch wichtiges Gebiet. Es liegt in der Nähe eines Staudamms und an der Verbindungsstraße zwischen dem Nordosten Syriens und der Stadt Homs.
2014 stießen die Kämpfer der dschihadistischen Terrormiliz IS in Richtung des Flughafens Tabqa vor und vertrieben die Assad-Truppen innerhalb von zwei Wochen. Anschließend soll es zu Massenhinrichtungen von Regime-Soldaten durch die Terroristen gekommen sein.
2017 dann die Wende: Das IS-Kalifat war bereits durch die Niederlagen in den Städten Kobanê und Manbidsch extrem geschwächt. Kurdische Truppen hatten den Dschihadisten dort die ersten schweren Niederlagen zugefügt - möglich nur durch die Unterstützung der US-Luftwaffe und US-amerikanischer Spezialeinheiten am Boden.
Mithilfe von US-Truppen erobern die kurdisch-dominierten SDF-Kräfte Tabqa. Sie hatten zuvor in der Region eine Autonomieverwaltung unabhängig von Assads Präsidentschaft in Damaskus aufgebaut. Die SDF - die syrisch-demokratischen Kräfte - ermöglichen seit 2022 die Arbeit der Minenräumer von Handicap International.

Die Ruinen in Rakka zeugen von den Kämpfen gegen die Terrormiliz IS 2016 und 2017.
Auch mit deutschen Geldern finanziert
Die Hilfsorganisation wird auch durch Gelder aus dem deutschen Bundeshaushalt unterstützt. Am Flughafen Tabqa soll eine Fläche von 432.000 Quadratmetern geräumt werden - in etwa so groß wie der Vatikan.
Doch das dauert, was den ansässigen arabischen Stämmen gar nicht gefällt. "Die Bauern wollen, dass ihre Kinder die Schafe weiden können", erklärt David Francis. Wegen des Drucks der Bevölkerung sei Minenräumung eine wichtige Maßnahme, um Fluchtursachen zu bekämpfen, erklärt der britische Ex-Soldat und Minenexperte von Handicap International. Keiner der Bewohner verstehe jedoch, warum die Minenräumer nur langsam vorankommen.
Eine Fläche von 50 mal 50 Metern muss erst mit einem Metalldetektor abgesucht werden, anschließend rücken acht Mitarbeiter in Reihe voran und suchen den Boden nach losen Gegenständen ab - wie der Metalldose. Hamed ist mittlerweile bereit für die Sprengung. Dabei wird die Dose mithilfe eines speziellen Zünders auf 2000 Grad erhitzt, um kontrolliert und vollständig in die Luft zu fliegen.
Der laute Knall ist kilometerweit zu hören. Es sei der Rest einer russischen Streubombe gewesen, vermutet David. Die Minenräumer können zurück in ihr Einsatzgebiet. Rote Fähnchen markieren die Wege und zeigen die Grenze auf zur noch nicht geräumten Gefahrenzone.

Zehn bis 15 Jahre, um alle Minen zu entfernen
Beim Hangar und dem zerbombten Radarsystem sollen sich noch immer Minen des Assad-Regimes im Boden befinden. Die müssten dringend beseitigt werden, murmelt Hamed. "Um ganz Syrien von Minen zu befreien, brauchen wir zehn bis 15 Jahre", schätzt er.
Doch der Bürgerkrieg ist in Nordsyrien noch immer nicht vorüber. Nördlich von Tabqa gibt es weiterhin Kämpfe am Euphrat-Fluss, wo sich die kurdisch-dominierten SDF-Truppen und islamistische Milizen, die von der Türkei unterstützt werden, gegenüberstehen.
Außerdem leidet auch die Zivilbevölkerung unter Drohnenangriffen - meist von der Türkei oder den mit ihr verbundenen islamistischen Milizen. "Es kann sein, dass wir aus Sicht der türkischen Drohnen wie ein Militärkonvoi der SDF-Truppen aussehen, wenn wir im Einsatz sind. Deshalb müssen wir vorsichtig extrem sein", erläutert Hamed.
Kinder wühlen im Müll - tödliche Gefahr
Wie gefährlich Minen im Alltag der Menschen sind, wird am Rande der Provinzhauptstadt Rakka klar. Mitten in einer riesigen Müllhalde leben Hunderte arabische Familien unter erbärmlichen Bedingungen. Es stinkt bestialisch - unzählige Sandmücken übertragen Krankheiten. Die Bewohner leben vom Müll-Recycling. Vor allem die Kinder wühlen und graben in den Abfällen nach Verwertbarem.
Nicht selten stoßen sie dabei auf Minen, Sprengstoffe oder sogar Sprengstoffgürtel, erklärt Hassan Ali von Handicap International. Er kommt regelmäßig in das Camp, um den Kindern und ihren Eltern die Gefahr zu verdeutlichen, die von Minen ausgeht. "Die Kinder versuchen, verwertbare Metall- oder Kupferteile aus dem Müll zu fischen."
Hassan hat Plakate mitgebracht, auf denen die Gefahrenstoffe abgebildet sind - darunter auch Handys, die vor Jahren von Milizionären zu Sprengkörpern umgebaut worden sein könnten.
IS-Miliz noch immer in der Region aktiv
Am Rande des Camps lebt Khalil, der in der örtlichen Metallpresse arbeitet. Khalils siebenjähriger Sohn Hassan hatte sich eines Tages am Auge verletzt. Eine Mine war in seiner Nähe explodiert. Seitdem kann Hassan sein linkes Auge nicht mehr öffnen. Er benötigt eine Hornhaut-Transplantation - doch dafür fehlt Vater Khalil das Geld.
Es sind prekäre Situationen wie die von Khalil, die manche unter den arabischen Familien auf der Müllhalde anfällig machen können für die Versprechungen der Terrormiliz IS, die in der syrischen Wüste noch immer aktiv ist.
Sich den Dschihadisten anzuschließen - und sei es als Kanonenfutter im Kampf für die Rückkehr des Kalifats - kann einen Ausweg aus der Misere darstellen. Deshalb resümiert Hassan Ali ernst: "Erst wenn alle Minen geräumt sind, ist der Krieg wirklich vorbei."
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke