Wenn sich kommende Woche in Den Haag die Staats- und Regierungschefs der Nato versammeln, geht es um viel. Nicht nur um die Zukunft der Allianz, sondern zugleich um die Zukunft eines freien Europas. Davon ist Oana Lungescu überzeugt. Sie war als Nato-Chefsprecherin und enge Beraterin von zwei Generalsekretären von 2010 bis 2024 die einflussreichste Frau in der westlichen Militärallianz.

SRF News: 2010 wurden sie Chefsprecherin der Nato. Ist die Allianz heute immer noch dieselbe?

Oana Lungescu: Nein. Die Nato hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren stark gewandelt. Sozusagen «zurückfokussiert» auf Verteidigung und Abschreckung. Und weg von Expeditionsmissionen wie jener in Afghanistan. Die Nato ist wieder bei dem, wofür sie geschaffen wurde.

Geht es beim bevorstehenden Nato-Gipfel in Den Haag hauptsächlich darum, ob man die USA wieder voll mit an Bord kriegt?

Präsident Trump forderte Anfang Jahr, dass jedes Nato-Mitglied fünf Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung steckt. Das erachteten damals die meisten als völlig unrealistisch. Inzwischen zeichnet sich dazu ein Konsens ab. Nicht zuletzt, weil die russische Bedrohung als zunehmend grösser beurteilt wird. Und, weil sich die USA mehr dem Pazifik zuwenden. Also muss Europa selber mehr für seine Sicherheit tun.

Wenn das Fünf-Prozent-Ziel beschlossen wird – ist damit vom Tisch, dass die USA unter Trump der Nato den Rücken kehren will?

Ja, die USA werden drinbleiben. Trump will inzwischen die Nato nicht mehr verlassen, sondern verändern. So, dass die USA darin eine weniger grosse Rolle spielen, dafür die Europäer und Kanada eine grössere.

Wie sehen Sie dies, dass Trump immer wieder andeutet, die USA würden möglicherweise einem Nato-Mitglied im Ernstfall nicht zu Hilfe eilen?

Alles, was Artikel 5 der Nato-Satzung, also die Beistandspflicht, infrage stellt, ist besorgniserregend. Allerdings hat Präsident Trump nicht zu Unrecht die Botschaft ausgesandt: Warum sollen sich die USA mehr um die Verteidigung Europas kümmern als Europa selber? Da ist was dran. Zudem hat Trump die fünf Prozent für Verteidigung nicht aus dem hohlen Bauch genannt. Sie basieren auf den Verteidigungsplänen aller Nato-Mitgliedstaaten. Billiger ist Sicherheit für Europa kaum zu haben. Aber klar ist auch: Europa bleibt weiterhin auf die Zusammenarbeit mit den USA angewiesen.

Wie erklären sie sich, dass Trump so wenig Sympathie für die Ukraine und so viel für das Putin-Regime hat?

Ich stelle bei Trump eine ausgeprägte Faszination für starke Männer, für starke Führer fest. Er sieht Putin als solchen und übrigens auch Chinas Xi Jinping. Das kann man wohl nur psychologisch erklären. Aber jetzt hat er wohl ernsthaft die Ambition, einen Frieden für die Ukraine zu erreichen. Niemand will das im Grunde mehr als die Ukraine selber. Doch es muss ein gerechter, fairer Frieden sein.

In den fünf Prozent für Verteidigung ist neu auch die militärische Unterstützung der Ukraine eingerechnet. Das ist ein starkes Signal an Moskau.

Ist nicht die Nato-Mitgliedschaft die einzige wirklich verlässliche Sicherheitsgarantie für die Ukraine?

Davon bin ich überzeugt. Jedoch nicht nur die Amerikaner sind gegen einen Ukraine-Beitritt, auch Ungarn, die Slowakei und weitere Mitglieder. Wenn also diese Option ausfällt, braucht es andere. Mit scheint sehr interessant, dass in den fünf Prozent für Verteidigung neu auch die nachhaltige militärische Unterstützung der Ukraine eingerechnet ist. Das ist wichtig und ein starkes Signal an Moskau. Und wichtiger als irgendwelche Hilfszusagen auf einem Blatt Papier.

Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

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