«Das Atomprogramm ist für den Iran von grosser Bedeutung»
Die USA haben in der Nacht auf Sonntag drei unterirdische Anlagen des iranischen Atomprogramms bombardiert. Wie stark die Anlagen beschädigt wurden, bleibt nach wie vor unklar. Wie wichtig das Atomprogramm für die iranische Führung ist und welche Bedeutung es für das iranische Selbstverständnis hat, erklärt der deutsch-iranische Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad.
SRF News: Wie wichtig ist das Atomprogramm für die iranische Führung?
Ali Fathollah-Nejad: Das Atomprogramm ist für die Islamische Republik Iran von grosser Bedeutung. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde es immer wieder als Druckmittel eingesetzt, um eine robuste Iranpolitik zu vermitteln.
Für die iranische Bevölkerung hat dieses Atomprogramm sehr grosse Kosten verursacht.
Die iranische Seite hat das durch die sogenannte Strategie der nuklearen Eskalation gemacht. Das heisst, sie haben das Atomprogramm so weit hochgefahren, dass es Alarmismus im Westen kreiert und dass westliche Staaten so schnell wie möglich mit dem Iran an den Verhandlungstisch wollten.
Welche Bedeutung hat das Atomprogramm für das iranische Selbstverständnis?
Da muss man sehr stark zwischen Staat und Gesellschaft unterscheiden. Für das Regime ist es ein Mittel zur Machtprojektion. Für die iranische Bevölkerung hat das Atomprogramm sehr grosse Kosten verursacht; ökonomisch, ökologisch und auch in Bezug auf die Aussenpolitik. Dieses Atomprogramm hat massgeblich dazu geführt, dass der Westen über Jahre hinweg harsche Sanktionen gegen den Iran auferlegt hat.

Inwiefern hat der Iran selber dazu beigetragen, dass es zu diesen Angriffen gekommen ist?
Die Islamische Republik Iran hat jahrzehntelang sein Atomprogramm hochgefahren. Gleichzeitig hat man tagtäglich «Tod Israel» skandiert. Diese Kombination hat sicherlich auch zu der israelischen Wahrnehmung beigetragen (einer unmittelbaren Bedrohung durch Iran ausgesetzt gewesen zu sein, Anm.d.Red).
Der Westen war zu sehr auf die Nuklearproblematik fokussiert.
Hinzu kommt das Raketenprogramm Irans, was ebenfalls als sicherheitspolitische Bedrohung wahrgenommen wird.
Was haben Europa und die USA konkret falsch gemacht?
Der Westen war zu sehr auf die Nuklearproblematik fokussiert. Man hat andere wichtige sicherheitspolitische Felder in der Diplomatie ausgeklammert, wie das Raketenprogramm, aber auch die iranische Unterstützung für die sogenannte Achse des Widerstands, also für dieses Netzwerk von Milizen.
Ein Angriff auf amerikanische Basen wären für den Iran lediglich eine gesichtswahrende Lösung.
Beide Punkte waren in den Augen iranischer Nachbarn von grösserer sicherheitspolitischer Bedrohung als der Atomdeal. Im Westen haben wir die Iran-Diplomatie nicht auf breite Füsse gestellt, die alle drei zentralen Felder hätten bearbeiten müssen. Also nicht nur das Atomprogramm, sondern auch das Raketenprogramm und die Regionalpolitik.
Was denken Sie, wie wird jetzt der Iran reagieren?
Es kommt stark darauf an, was die amerikanischen Angriffe vom Wochenende wirklich zerstört haben und wie gross damit verbunden die Kluft ist zwischen Trumps Aussagen und dem, was wirklich eingetreten ist. Trump meinte ja, es sei alles zerstört worden. Derzeit deutet jedoch mehr darauf hin, dass der Vorrat von hochangereichertem Uran des Irans nicht beschädigt wurde. Wahrscheinlich wurde dieses relokalisiert, nachdem es eine Vorwarnung gegenüber der iranischen Seite gegeben hat.
Das ermöglicht dem Iran wiederum niederschwelliger zu reagieren, womöglich durch Raketenangriffe oder andere Angriffe durch proiranische Milizen im Irak auf amerikanische Basen im Irak. Die amerikanischen Basen wurden jedoch bereits evakuiert. Ein Angriff auf diese Basen wären für den Iran lediglich eine gesichtswahrende Lösung.
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