In dem Abschiebeflug in den Irak saßen nicht nur männliche Straftäter, sondern auch Frauen und Kinder - mehr als bislang bekannt. Weitere Angaben des Bundesinnenministeriums zu Abgeschobenen werfen Fragen auf.

Mit dem jüngsten Abschiebeflug in den Irak sind mehr Frauen und Kinder nach Bagdad geflogen worden als bislang bekannt. Eine Abfrage des ARD-Hauptstadtstudios bei den Bundesländern hat ergeben, dass insgesamt vier Frauen und acht Minderjährige abgeschoben worden sind.

Neben einer jesidischen Familie mit vier Kindern aus Brandenburg, über die der rbb berichtet hatte, wurden nach Auskunft der zuständigen Landesministerien auch zwei Frauen und zwei Minderjährige aus Sachsen abgeschoben und eine Familie mit zwei minderjährigen Jugendlichen aus Nordrhein-Westfalen. Weitere Jesidinnen und Jesiden waren nach Angaben der Bundesländer nicht unter den Abgeschobenen.

Jesidische Familie stellte Eilantrag

Bei der jesidischen Familie aus Brandenburg kam hinzu, dass sie gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge geklagt hatte. Eine Eilentscheidung, mit der die Ausreisepflicht ausgesetzt worden war, kam zu spät.

Heute entschied das Potsdamer Verwaltungsgericht nun in erster Instanz im Hauptsacheverfahren, dass die Familie keinen Anspruch auf Schutz hat. Das Verwaltungsgericht sah nach Angaben des Sprechers weder eine individuelle Bedrohung wie Verfolgung durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) noch eine Gruppenverfolgung von Jesiden als gegeben an.

Brandenburgs Innenminister René Wilke hatte zuvor angekündigt, die Familie in Abstimmung mit den Bundesbehörden zurückholen zu wollen. Das Bundesinnenministerium wollte dafür jedoch darauf warten, dass gerichtlich festgestellt wird, ob die Familie einen Anspruch auf Schutz hat. Gegen das heutige Urteil kann noch Berufung eingelegt werden.

Widersprüchliche Angaben zu Abgeschobenen

Zählt man die Angaben der Bundesländer zusammen, kommt man zunächst auf insgesamt 46 abgeschobene Personen. Aus Niedersachsen erfolgte allerdings einige Tage später eine Korrektur: Niedersachen habe ursprünglich acht Personen für den Flug angemeldet, am Ende seien jedoch nur vier Männer in den Irak abgeschoben worden.

Das führt zu einer Summe von lediglich 42 Personen. Thüringen - das den Flug koordinierte - sowie die Bundespolizei bleiben allerdings dabei, dass 43 irakische Staatsangehörige zurückgeführt worden seien. Bei einer der Angaben muss also ein weiterer Fehler stecken.

Unklare Kategorisierung bei Straftätern

Abgeschoben wurden in den Irak - nach derzeitigen Angaben der Bundesländer - auch 14 verurteilte Straftäter. Wobei manche Bundesländer zunächst davon sprachen, dass die Abgeschobenen "strafrechtlich in Erscheinung getreten" seien. Für die Beantwortung der Nachfrage, was sie darunter verstehen, ob es für diese Kategorisierung eine strafrechtliche Verurteilung braucht oder bereits strafrechtliche Ermittlungen ausreichen, benötigten die Bundesländer teils mehrere Tage. Im Ergebnis verstehen sie darunter "strafrechtlich verurteilt".

Ob auch das Bundesinnenministerium, das diese Formulierung in seiner Pressemitteilung zum Abschiebeflug nach Afghanistan nutzte, das so versteht, bleibt trotz mehrfacher Nachfragen unbeantwortet. Die vage Antwort, die mit Verspätung kommt, lässt eher vermuten, dass dem nicht so ist: Alle Abgeschobenen seien "bereits im Zusammenhang mit einem Strafverfahren auffällig geworden", so das Bundesinnenministerium.

Dabei sagte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) selbst anlässlich des Flugs nach Kabul im Interview des ARD-Morgenmagazins: "Es geht dabei um schwere und schwerste Straftäter." Und er lässt sich auch in der Pressemitteilung seines Hauses schriftlich mit den Worten zitieren: "Es ist gelungen, einen weiteren Abschiebeflug mit Straftätern nach Afghanistan zu organisieren. (...) Es gibt kein Aufenthaltsrecht für schwere Straftäter in unserem Land."

Das ist so verstanden worden, dass nur Straftäter nach Afghanistan abgeschoben worden sind. Das heißt, Menschen, die wegen einer Straftat von einem Gericht verurteilt wurden. Wobei Dobrindt - wenn man genau zuhört und liest - nicht sagt, dass alle 81 Abgeschobenen Straftäter waren. Man könnte ihn auch so verstehen, dass sich unter den Abgeschobenen eben auch Straftäter befanden. Es seien lediglich alle "strafrechtlich in Erscheinung getreten".

Was bedeutet "schwere und schwerste" Straftäter?

Die klare Kante, die Dobrindt mit seiner Wortwahl suggeriert, ist aus einem weiteren Grund nur vermeintlich klar. Denn sie wirft direkt die nächste Frage auf: Was versteht er unter "schweren und schwersten" Straftätern? Nur Mörder und Sexualstraftäter oder auch Ladendiebe?

Was der eine für eine "schwere oder schwerste" Straftat hält, ist für den anderen nicht so schwerwiegend. Zur rechtlichen Kategorie wird die Beschreibung erst dann, wenn Bezug genommen wird auf im Strafgesetzbuch geregelte Differenzierungen, zum Beispiel zwischen schwerer und einfacher Körperverletzung.

Regelmäßig Abschiebungen in den Irak

In den Irak wurden - anders als nach Afghanistan und Syrien - in den vergangenen Jahren regelmäßig Menschen abgeschoben. Ein schriftliches Abkommen zwischen Deutschland und dem Irak zu Rückführungen gibt es nicht. Die Zusammenarbeit erfolgt im sogenannten vertragslosen Verfahren und richtet sich nach dem völkerrechtlichen Grundsatz, wonach jeder Staat verpflichtet ist, seine eigenen Staatsbürger formlos zurückzunehmen, wenn diese im Gaststaat über kein Aufenthaltsrecht verfügen. Dazu führt die Bundesregierung nach eigenen Angaben Gespräche.

Die Zahl der Abschiebungen in den Irak ist zuletzt stark gestiegen. Während sie 2021 und 2022 noch im zweistelligen Bereich lag, wurden 2023 300 Menschen in den Irak abgeschoben, 2024 699 und in den ersten drei Monaten 2025 157.

Inwieweit darunter Jesidinnen und Jesiden sind, wird von der Bundesregierung nicht systematisch erfasst. Der Bundestag hatte 2023 Verbrechen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Jahr 2014 an den Jesidinnen und Jesiden als Völkermord anerkannt. Die Terrormiliz zielte auf die Vernichtung der vor allem in der nordirakischen Sindschar-Region lebenden Minderheit ab. Zehntausende Menschen wurden getötet, verschleppt, versklavt und misshandelt. Abschiebungen von Jesidinnen und Jesiden in den Irak sind deshalb sehr umstritten.

Linie der Bundesregierung geht unter

Mit den Abschiebeflügen der vergangenen Tage machen die Bundesregierung und die Bundesländer öffentlichkeitswirksam das, was sie sich vorgenommen und immer wieder angekündigt haben: abschieben.

Während öffentlich der Eindruck entsteht, es träfe nur Straftäter, ist die Linie eigentlich eine andere. Selbst für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien heißt es im Koalitionsvertrag lediglich: "beginnend" mit Straftätern und Gefährdern.

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