Mit Wilma nach Wien: Ein Film über den Ost-Strukturwandel, der Spaß macht
- "Wilma will mehr" erzählt die Geschichte einer Frau aus der Lausitz auf der Suche nach Arbeit und sich selbst.
- Der Film ist als moderner Heimatfilm angelegt und würdigt die Arbeitsbiografien von Frauen in der DDR.
- Mit "Wilma" bringt Regisseurin Maren-Kea Freese frischen Wind in den Ost-West-Diskurs.
"Da bist du mal für den Traum von Gleichheit und Kameradschaft angetreten – und nun?" Das fragt sich Wilma, Mitte 40, Lausitzerin, Arbeiterin, Mutter und einst Bewohnerin der DDR, die es seit rund 10 Jahren nicht mehr gibt. Das Braunkohlekraftwerk arbeitet nicht mehr. Und Wilmas Ehe und ihre Kameradschaften – zerbrechen auch gerade. Strukturwandel auf allen Ebenen.
Mit wertlosen Zertifikaten zum Arbeitsamt
Die Frau im Wiener Arbeitsamt ist mit Wilmas gesammelten Zertifikaten überfordert. Seit der Wiedervereinigung hat sie eine Fortbildung nach der anderen gemacht. Genützt hat es ihr nichts. Zuletzt war sie einfach Elektrofachverkäuferin. "Nichts, wofür ich mal angetreten bin", erklärt Wilma. "Na, da fragen Sie mich mal", stöhnt die österreichische Beamtin.

Wilma ist mit dem Bus in Wien gelandet, weil ein alter Bekannter ihr vorgegaukelt hat, man könne dort ein neues Leben beginnen. Nur mit einer Tasche ist sie angekommen, wohnt vorübergehend in einer Gartenlaube und muss sich ernsthaft fragen, wer sie eigentlich ist: "Eigentlich bin ich eine Mischung aus Elektriker, Schlosser und Maschinist, mit Führungsqualität noch aus Brigadezeiten", fasst sie zusammen. Da hätte sie sich doch als Frau auch was leichteres aussuchen können, kriegt sie zu hören.
Die Zeit ist jetzt eine andere, auch das Frauenbild. Nur eins ist klar: "Wilma will mehr". Der ursprüngliche Arbeitstitel war "Die Abenteuer der Lausitzerin Wilma", verriet die Regisseurin Maren-Kea Freese auf dem Neisse Filmfestival, wo ihr Film mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Und wie ein amüsantes Abenteuer erzählt sie den Film auch. Man weiß nie, wohin die Geschichte steuert – und was noch alles in der Hauptfigur steckt. Fritzi Haberlandt zieht sich die Rolle so selbstverständlich an, wie Wilma ihren blauen Werksanzug.

Film würdigt werktätige Frauen in der DDR
Immer wieder entstehen feine, tragikomische Brüche, wenn Freese ihre Hauptfigur auf neue Milieus loslässt. Etwa beim Vorstellungsgespräch in der Künstler-WG, wo sie mal über die "spannende" Revolution in Ostdeutschland erzählen soll. Wilma erklärt trocken, vorher hätte sie auch ein Leben gehabt. Oder in der bürgerlichen Wiener Vorstadt, wo sie als Schwarzarbeiterin die Elektrik erledigt. Wilma findet überall eine Steckdose zum Reparieren. Und der marode Charme von Wien kommt ihr persönlich entgegen. Dass sie niemandem die Ohren volljammert, stellt sie am WG-Küchentisch auch gleich klar. Ihr Motto: "Selbst ist die Frau." Sie bekommt den Zuschlag für das Zimmer.
Für Maren-Kea Freese ist der Film – nach "Zoe" (1999) und "Was ich von ihr weiß" (2005) – der dritte Teil einer Trilogie über Frauen und wie sie mit Verlusterfahrungen umgehen. Hier geht es im weitesten Sinne um Heimatverlust. Freese selbst stammt aus Westdeutschland, lebte als Studentin in West-Berlin in unmittelbarer Nähe zur Mauer und war schon lange fasziniert von der Selbstverständlichkeit, mit der Frauen in der DDR auch technische Berufe ausübten.
2011 habe sie mit den Recherchen begonnen, erzählte sie im Mai bei einer Aufführung im Filmtheater Ebersbach im Rahmen des Neisse Filmfestivals. Demnach machte sie lange Fahrradtouren durch die Lausitz, lernte Land und Leute kennen und führte viele Interviews mit ehemaligen Werksarbeiterinnen. Wilma, so Freese, sei eine Art Essenz daraus. Auch die trotzigen und selbstbewussten Frauen aus Volker Koepps Wittstock-Filmen, die Fritzi Haberlandt zur Vorbereitung gesehen hat, flossen ein in die Rolle. Drehort in der Lausitz war das Kraftwerk Plessa. In der Tat bilden das ehemalige Kohlekraftwerk und die aufgerissene Landschaft eine beeindruckende Filmkulisse.

Culture Clash: "Sag mir, wo du stehst", Bohème
Aber lässt sich eine brandenburgische Pflanze wie Wilma nach Wien umtopfen? Im Film: eindeutig ja. Wilma ist durchaus wandlungsfähig und überrascht andere ebenso wie sich selbst. Eine neue Liebe, eine neue Gemeinschaft, ein neuer Job – sie lernt buchstäblich zu tanzen, als Wiener-Walzer-Instruktorin für Touristen und scheint sich dabei immer mehr zu verjüngen. Stehen bleibt sie jedenfalls nicht, vergisst aber auch nicht, wo sie herkommt.

Und beim feuchtfröhlichen Lausitzer Heimatabend in der WG ringt sie selbst dem politischen Agitationslied noch etwas Neues ab: "Zurück oder vorwärts, du musst dich entschließen", das klingt in ihrer zur Gitarre vorgetragenen Küchentisch-Version wie unmittelbar aus ihrem Leben genommen: "Denn wenn du im Kreist gehst, dann bleibst du zurück." Begeistert stimmt die WG in den "Sag mir, wo du stehst"-Refrain ein.
Erfrischender Ost-West-Diskurs
Mit Wilma haben Regisseurin Freese und Hauptdarstellerin Fritzi Haberlandt eine so erfrischende wie unverwechselbare Kino-Figur geschaffen. Zugleich entkrampfen sie den Diskurs über all das, was zwischen Ost und West im Umbruch der 90er-Jahre schief gegangen ist.
Quelle: MDR KULTUR (Lars Meyer), Redaktionelle Bearbeitung: ks
Weitere Informationen: Kino-Start & Film-Gespräche
"Wilma will mehr"
Deutschland 2025
Länge: 110 Minuten
Buch und Regie: Maren-Kea Freese
Mit Fritzi Haberlandt, Thomas Gerber, Stephan Grossmann, Meret Engelhardt, Valentin Postlmayr
Kinostart: 31. Juli
Die Premierenreise mit Filmgespräch (Regisseurin und/oder Hauptdarstellerin) ist bereits angelaufen. Folgende Termine stehen noch an:
Filmpalast Bautzen, 1. August um 18:30 Uhr
Filmpalast Görlitz, 1. August um 20 Uhr
Domstadtkino Merseburg, 2. August als Sonnabend-Matinee um 12 Uhr mit der Regisseurin
Moritzhof Magdeburg, 2. August um 16 Uhr mit Fritzi Haberlandt
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