Viele Meinungen, keine Lösung: Kohleausstieg spaltet die Gemüter
- Die Meinungen zum Zeitpunkt des Kohleausstiegs gehen unter den Befragten auseinander.
- Die Mehrheit findet nicht, dass Braunkohleregionen durch Kohlemilliarden angemessen profitieren.
- Vier von zehn Personen glauben, dass die eigene Region durch den Strukturwandel weiter verliert.
Jede vierte (25 Prozent) befragte Person ist grundsätzlich gegen den Kohleausstieg. Das zeigt ein aktuelles Stimmungsbild von MDRfragt. Ein häufig genannter Grund: die lokale Verfügbarkeit von Kohle als Energieträger. Aus Sicht vieler Befragter sollte sie weiter verwendet werden.
Martin (72) aus Halle schreibt dazu: "Ein Energieträger, den wir nicht importieren müssen, den sollten wir nutzen und nicht abschaffen." Eine ähnliche Meinung vertritt Robby (47) aus dem Landkreis Leipzig: "Kohle ist vorhanden und macht uns unabhängig gegenüber teuren Importen und der nicht kalkulierbaren Verfügbarkeit von Sonne und Wind."
Im Stimmungsbild ist beobachtbar, dass Gegner des Kohleausstiegs in städtischen Regionen (23 Prozent) weniger verbreitet sind als auf dem Land (29 Prozent).
Der Bundestag und der Bundesrat haben den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 beschlossen. Die Maßnahmen sind im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) geregelt.
Trotz Uneinigkeit: Mehrheit ist für Kohleausstieg
Insgesamt steht die Mehrheit im Stimmungsbild hinter dem beschlossenen Kohleausstieg. Differenzen gibt es vor allem bezüglich des richtigen Zeitpunkts. Hier sind sich die Befragten uneinig.
Jede fünfte Person (20 Prozent) ist dafür, den beschlossenen Zeitraum auszunutzen und 2038 auszusteigen. So auch Bernd-Uwe (67) aus Nordsachsen. Er kommentiert: "Es gibt einen 2020 getroffenen, gemeinsamen gesellschaftlichen Konsens. Es ist logisch nicht nachvollziehbar, warum dieser ständig infrage gestellt wird. Lösungen für die Kompensierung der ausfallenden Kapazitäten einer kontinuierlichen Energiebereitstellung gibt es bis heute nicht."
Dagegen plädiert ein Fünftel (22 Prozent) dafür, den Kohleausstieg in die Zeit nach 2038 zu verschieben. Aus Marions (67) Sicht wäre das sinnvoll. Sie kommt aus dem Landkreis Mansfeld-Südharz und schreibt: "Um einen schnelleren Kohleausstieg zu realisieren, müssen die Folgen erstmal bedacht werden. Da wir aber eine riesige Bürokratie haben, wird der Kohleausstieg gar nicht bis 2038 möglich sein." Sie hat einen Appell: "Bitte nehmt die Menschen mit."
Doch es gibt auch Gegenstimmen. Ein Achtel (13 Prozent) möchte den Kohleausstieg bereits vor dem Jahr 2030 vollziehen, so auch Jeremy (27) aus Mittelsachsen. Er meint: "Der Kohleausstieg sollte so schnell wie möglich erfolgen und die Arbeitsplätze, die hierdurch bedroht wären, auf andere Stellen umschreiben, ebenfalls im Energiesektor. Damit wäre es dem Klima und den Arbeitern gerecht. Meiner Meinung nach sollte der Kohleausstieg oberste Priorität haben und spätestens 2027 erfolgen, um den weiteren Anstieg von Emissionen zu stoppen bzw. dass Emissionen bis 2030 deutlichst reduziert sind."
Auffällig ist, dass vor allem junge Menschen für einen frühen Ausstieg sind. Unter den 16- bis 29-Jährigen ist ein Drittel (33 Prozent) für den Kohleausstieg bis 2030. Unter allen Altersgruppen ist das der Höchstwert.
Kohlemilliarden: Viele glauben nicht, dass die Investitionen helfen
Für die Umstrukturierung von Braunkohleregionen stellt der Bund den entsprechenden Ländern Geld bereit. Bis 2038 werden 40 Milliarden Euro Steuergeld investiert. Mit den sogenannten Kohlemilliarden soll der Strukturwandel gestemmt werden.
Ein Viertel (22 Prozent) der Befragten ist davon überzeugt, dass ehemalige Braunkohleregionen davon angemessen profitieren werden. Durch die Investitionen blickt Astrid (59) aus dem Landkreis Bautzen zuversichtlich in die Zukunft: "Es wird die ehemaligen Kohlereviere und deren Umgebung verschönern: siehe Senftenberger See, Bärwalder See usw. Flora und Fauna kommen wieder. Es kann nur besser werden, und Arbeit gibt es genug!"
Doch die überwiegende Mehrheit (69 Prozent) widerspricht dem. In der breiten Masse empfinden viele die Förderung als nicht ausreichend.
Ursula (75) aus Leipzig sieht zwar einen Nutzen, aber befürchtet den Verlust von Arbeitsplätzen: "Es wurden bzw. werden schöne und nützliche Investitionen getätigt, die das Leben vor Ort verbessern – aber Investitionen in gute Arbeitsplätze fehlen. Da nützen auch tolle Freizeitmöglichkeiten nichts."
Michael (53) aus dem Saalekreis ist dahingehend noch skeptischer: "Es wird mehr verpuffen. Einfach daher, dass viele dieser Gelder für Projekte verschwendet werden, die nicht nachhaltig für mehr Jobs sorgen. Da können wir noch so viele Tagebaue fluten und Urlaubsgebiete daraus machen. Die paar Jobs, die entstehen, sind schlecht und schlecht bezahlt. Wenn sie denn überhaupt generiert werden. Wer macht schon gerne Urlaub am Bitterfelder Tagebaurestloch."
Befragte glauben nicht an positive Effekte durch Strukturwandel
Das spiegelt sich auch bei den Auswirkungen des Strukturwandels wider. Nur wenige Befragte glauben, dass dieser die eigene Region voranbringt. Das ist bei jeder fünften Person (19 Prozent) der Fall.
Thomas (45) aus Jena schreibt dazu: "Forschungseinrichtungen in meiner Region tragen zum allgemeinen Fortschritt bei. Ich habe das Gefühl, dass meine Region von diesen Einrichtungen profitiert."
Andere Befragte wie Andreas aus dem Landkreis Zwickau haben Sorgen um die Zukunft ihrer Region. Der 29-Jährige schreibt: "Die Energiewende hat schon Arbeitslosigkeit und Unsicherheit in meinem Freundeskreis verursacht."
Bezogen auf die eigene Situation, glauben noch weniger Befragte an Verbesserungen durch den Kohleausstieg. Nur 8 Prozent sind der Meinung, dass sich die eigene Situation verbessert. In ländlichen Regionen fällt diese Haltung mit 5 Prozent noch einmal geringer aus.
Julia (29) aus Mittelsachsen ist eine der Stimmen, die sich durch den Kohleausstieg bessere Möglichkeiten erhoffen. Sie kommentiert: "Durch einen Strukturwandel wird hoffentlich mehr Offenheit für neue Technologien da sein, was mir als Wissenschaftlerin Chancen bietet, meine Forschungsergebnisse zum verbesserten Recycling von Windkraftanlagen auch tatsächlich im großen Maßstab anwenden zu können."
Allerdings bleibt sie eine von wenigen zuversichtlichen Stimmen. Fast die Hälfte (48 Prozent) glaubt an keine Veränderungen auf die eigene Situation durch den Kohleausstieg.
Viele der Befragten bleiben weiterhin pessimistisch. Jede dritte (33 Prozent) Person ist der Meinung, dass sich die eigene Situation durch den Kohleausstieg verschlechtert.
So auch Norman (49) aus dem Erzgebirgskreis. Er betrachtet den Wandel kritisch: "Ich denke, dass sich durch die aktuelle Energiewende bzw. wie sie in Zukunft weiter vorangetrieben werden soll (CO₂-Steuer, weg von Gas hin zu Wärmepumpe, etc.) der Lebensstandard von den Menschen bei uns in der Region verschlechtern wird."
Über diese Befragung
Die Befragung: "Brauchen wir mehr Energie für die Energiewende?" lief vom 11. bis 14. Juli 2025. Insgesamt haben 19.282 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach bewährten wissenschaftlichen Kriterien und Methoden anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wissenschaftlich beraten und begleitet. Dabei geht es um die Weiterentwicklung des Angebotes ebenso wie über die Überprüfung der Aussagekraft, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.
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