Ludwig Paul erwischte es im Mai: Ein Magendurchbruch brachte den Oberdorlaer ins Krankenhaus. Davor hatte er viele Jahre seine demenzkranke Frau gepflegt.

Man funktioniert so lange, bis es nicht mehr geht. Und dann ging es eben nicht mehr.

Ludwig Paul

Vor lauter Stress hatte er gar nicht bemerkt, dass er in den vergangenen drei Monaten acht Kilogramm abgenommen hatte. "Am 23. Mai ging’s dann ins Krankenhaus nach Mühlhausen. Da wurde festgestellt, dass ich zwei Geschwüre im Magen und dadurch auch schon viel Blut verloren hatte. Es ist verrückt! Man funktioniert so lange, bis es nicht mehr geht. Und dann ging es eben nicht mehr", seufzt der 85-Jährige.

Mangelernährung ist häufig in der Geriatrie

Die acht Kilo, die Ludwig Paul fehlen, waren vor allem Muskeln. Auch weil er zuletzt kaum noch zum Einkaufen und Essen gekommen war und so auch zu wenig Eiweiß zu sich genommen hatte.

Chefarzt Dr. Markus Götze untersucht unter anderem, wie viel Kraft Ludwig Paul noch hat.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Klassiker für Chefarzt Markus Götze vom  Kompetenzzentrum für Geriatrie St. Elisabeth in Lengenfeld unterm Stein. "Also Mangelernährung ist gerade in der Geriatrie ein sehr häufiges Problem. Je nach Studienlage sind 20 bis 30 Prozent aller Patienten, die ins Krankenhaus aufgenommen werden, schlecht ernährt", erklärt der Experte.

Das liegt zum einen daran, dass es den Senioren ab einem bestimmten Alter immer schwerer fällt, einzukaufen und zu kochen. Arthrose etwa behindert beim Gehen oder Greifen. Schlechtsitzende Zähne und neurologische Erkrankungen wie Schlaganfälle erschweren das Kauen und Schlucken.

Im Alter nehmen zudem die Zahl der Geschmacksknospen und der Speichelfluss ab. Demenz führt zu einer veränderten Geschmackswahrnehmung und auch Medikamente mindern den Appetit.

Mangelernährung trotz Übergewicht

Sogar Übergewichtige, so Chefarzt Markus Götze, können mangelernährt sein. "Übergewicht und Mangelernährung schließen sich gegenseitig nicht aus. Häufig ist es sogar so, dass übergewichtige Menschen sich sehr einseitig ernähren, also viel hochkalorische Nahrung zu sich nehmen und dabei die wichtigen Mikronährstoffe vernachlässigen."

Einseitige Diäten verstärken die Mangelernährung oft noch.Bildrechte: IMAGO/HalfPoint Images

Früher oder später bringt der Mangel an Nährstoffen die Senioren dann ins Krankenhaus. Ihre Muskeln schrumpfen noch schneller, als ohnehin durch das Alter bedingt. Sie stürzen häufiger, erleiden etwa Oberschenkelhalsbrüche. Fehlen Vitamine und Spurenelemente, heilen Wunden schlechter, wird das Immunsystem schwächer, drohen mehr Infekte.

"Ein anderes Thema", erklärt Chefarzt Götze, "ist die Versorgung mit Mineralstoffen. Hier ist es wichtig, darauf zu achten, gerade in der heißen Jahreszeit, wo man über den Schweiß auch viele Blutsalze verliert. Die Blutsalze sind wichtig für die elektrische Stabilität des Herzens und für die Reizleitung. Und wenn da ein Ungleichgewicht entsteht, kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen."

Das Herz ist doppelt betroffen, weil seine Muskelkraft durch die Mangelernährung ebenfalls abnimmt. Die Folge sind oft Müdigkeit und Schwäche. Gleichzeitig steigt durch die Mangelernährung die Sterblichkeit.

Geänderte Lebensumstände akzeptieren

Für Ludwig Paul hat früher seine Frau gekocht. Als sie nicht mehr konnte, kam das Essen auf Rädern zu ihm.

Ich will ja nicht nur das Essen auf Rädern essen, ich will ja auch mal was anderes haben.

Ludwig Paul

Mit 85 lernt er jetzt bei den Ernährungsberaterinnen des Kompetenzzentrums für Geriatrie in Lengenfeld unterm Stein, welche Nährstoffe in welchen Lebensmitteln stecken und wie er sich eiweißhaltige Leckereien zubereiten kann. 

Ludwig Paul lernt hier auch, wie er sich selbst ohne großen Aufwand Gerichte für mehr Muskeln zubereiten kann.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Etwa einen gesunden Shake aus Haferflocken, Obst, ein bisschen Sahne und Honig. Das macht, weil es schnell und einfach geht, Ludwig Paul viel mehr Spaß, als er gedacht hat. "Ich muss sowieso irgendwas machen, weil ich jetzt allein bin und meine Frau jetzt im Pflegeheim wohnt. Ich will ja nicht nur das Essen auf Rädern essen, ich will ja auch mal was anderes haben. Dann muss ich mich qualifizieren."

Der Speiseplan für die Senioren hier ist reichhaltig. Es gibt viel proteinreiche Kost, Gemüse und Obst mit Spurenelementen und Vitaminen. Zusätzlich zu den Hauptmahlzeiten kommen die Shakes oder Snacks wie Vollkornbrot mit Gurke und Tomate. 

Zu Mittag wird obendrein eine kleine Suppe für mehr Flüssigkeitsaufnahme angeboten. Denn das Trinken ist im Alter, wenn das Durstgefühl verloren geht, ein ebenso großes Thema wie das Essen. Cornelia Weschke, die Logopädin des Kompetenzzentrums, gibt Ludwig Paul deshalb Tipps, wie er es leichter schafft, mehr zu trinken.

"Obststückchen machen das Wasser einfach viel leckerer. Oder Getränkepulver, denn wenn es bunt ist, trinkt es sich leichter. Und wichtig ist, das Glas muss immer voll sein. Gleich wieder nachgießen! An einem vollen Glas geht man nicht vorbei, das nimmt man und trinkt."

Sehr viele ältere Menschen trinken zu wenig, sagen Experten. Bildrechte: IMAGO / epd

Auch wenn man sich vornehme, jede Stunde ein Glas zu trinken, rät sie, schaffe man es leichter, ausreichend Flüssigkeit über den Tag aufzunehmen.

Zur Beratung auch Bewegungsangebote

Dazu kommen Bewegungsangebote von Physiotherapeuten in einem großen Sportbereich. Auch in den Aufenthaltsbereichen auf den Stationen kurbeln und strampeln die Patienten fleißig an Trainingsgeräten.

Mit über 80 noch Trampolinspringen? Das geht, wie Ludwig Paul zeigt. Das Gerät hilft auch beim Training des Gleichgewichtes.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Für Ludwig Paul war die gezielte Ernährung und Mobilisierung in der Geriatrie eine Verjüngungskur. Sein Gewicht hat er in den letzten Wochen gehalten - und sein Sturzrisiko etwa mit Übungen wie Trampolinspringen deutlich gesenkt.

Wenn ich meine Beine angucke, haben sie früher gesagt, das sind richtige Fußballerbeine, die müssen jetzt schon wieder wachsen.

Ludwig Paul

Für zuhause will er sich nun einen Hometrainer anschaffen: "Um mich zu bewegen, um irgendwas anzuheben oder Fahrrad zu fahren oder irgendwas zu schieben, muss ich Muskeln dafür haben. Wenn ich keine mehr habe, geht es nicht. Also muss ich wieder welche aufbauen. Wenn ich meine Beine angucke, haben sie früher gesagt, das sind richtige Fußballerbeine, die müssen jetzt schon wieder wachsen", lacht er.

Thema braucht mehr Aufmerksamkeit

Zum Kompetenzzentrum für Geriatrie St. Elisabeth in Lengenfeld unterm Stein gehören eine Fach- und eine Tagesklinik für Geriatrie, eine Klinik für Geriatrische Rehabilitation und ein Altenpflegezentrum.

Das Kompetenzzentrum für Geriatrie St. Elisabeth in Lengenfeld unterm Stein profitiert von gebündeltem Expertenwissen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Chefarzt Dr. Markus Götze und seine Kollegen behandeln hier jährlich über 2.000 Patienten. Aus seiner Sicht ist Mangelernährung ein essenzielles Thema.

"Es ist wichtig, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, nicht nur weil es den Hochbetagten dadurch schlechter geht, sondern auch weil dadurch große ökonomische Probleme entstehen. Durch die vielen Komplikationen sind die Krankenhausaufenthalte verlängert, was wiederum mehr kostet."

MDR (gh)

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