Warken steuert auf Konflikte wegen Cannabis zu
- Die aktuelle Lage: Warken will Rezept-Missbrauch verhindern.
- Kritik an Cannabis-Versandverbot: Kaum Apotheken in Ostdeutschland
- Anbauvereine decken die Nachfrage nicht – vor allem nicht in Bayern.
- Vorerst noch keine Erforschung von Modellen zur legalen Abgabe.
- Die SPD sieht die Debatte zum MedCanG noch ganz am Anfang.
Nach dieser Sommerpause wird sich Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) neben ihren anderen Baustellen auch mit einem seit Mitte Juli vorliegenden Referentenentwurf aus ihrem Haus beschäftigen müssen, der die Abgabe von Cannabis als Medikament stärker begrenzen soll.
Anlass bot die Meldung, dass Importe von Medizinal-Cannabis nach Deutschland seit April 2024 deutlich zugenommen haben, vor allem aus Kanada und Portugal. Für Experten war das auch in diesem Ausmaß keine Überraschung. Nach Ansicht des Ministeriums aber geht es vor allem auf Privatrezepte für Selbstzahler über Online-Plattformen ohne medizinische Indikation zurück: Warken wittert hier Missbrauch für Freizeitkonsum.
Der Entwurf zur Änderung des MedCanG sieht nun vor, Patientinnen und Patienten statt Videokonferenzen einen mehr persönlichen Kontakt zu Arzt oder Ärztin vorzuschreiben und bei weiteren Cannabis-Verordnungen dann mindestens einen echten Praxisbesuch innerhalb eines Jahres.
Sorgen in der Cannabis-Branche
Man könne die Bedenken nachvollziehen, hieß es auf Nachfrage von MDR AKTUELL bei Cansativa, dem größten deutschen Lieferanten von Medizinal-Cannabis. Es müsse aber auch die "Versorgungsrealität vieler Patient:innen" beachtet werden, "die auf ihr Medikament angewiesen sind" und die geltende Rechtslage statt mit pauschalen Verboten im Detail "nachjustiert" werden.
Denn, so Cansativa weiter, auch "viele Selbstzahlende sind kranke Patient:innen" und sie sollten "nicht pauschal als Freizeitkonsument:innen stigmatisiert werden". Nicht jede von den Krankenkassen nicht erstattete Verschreibung sei Freizeitkonsum. Viele Leute seien "aus dem Schwarzmarkt in den Medizinalmarkt gewechselt, da sie endlich entstigmatisiert zum Arzt gehen können" – eine Entwickung, die der Gesetzgeber gewollt habe.
Kritik an Versandverbot: Apotheken fehlen
Kritik wird in der Branche aber weniger an Arzt-Kontakten geäußert, als vielmehr am ebenfalls geplanten Cannabis-Versandverbot. Niklas Kouparanis, Chef und Gründer von Bloomwell, wirft Warken hier "Wortbruch" vor. Im Juni habe die Ministerin "noch versprochen, das Ergebnis der laufenden Evaluation abzuwarten". Nun allerdings liege ein Entwurf vor, der "hunderttausende Cannabis-Patient:innen wieder in die Kriminalität drängen würde".
Nach Angaben des Unternehmens, das zwischen den Ärzten und ihren Patienten vermittelt und bei Verschreibungen den Versand organisiert, wäre die Versorgung von etwa der Hälfte der Cannabis-Patienten gefährdet. In einigen Bundesländern gebe es sogar "keine einzige auf Medizinal-Cannabis spezialisierte Apotheke", wie eine Auswertung eigener Daten zeige.

Auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt gibt es demnach keine einzige auf Cannabis spezialisierte Apotheke und in Sachsen gerade mal drei. Es müssten nach einem Versandverbot also die Leute "teilweise über 100 Kilometer" weit fahren, um ihr Rezept einlösen zu können, heißt es bei Bloomwell.
Auch zeige sich sich in der Auswertung ein extremes Nord-Süd-Gefälle mit einem im Vergleich zum Bundesdurchschnitt besonders hohen Anteil selbst zahlender Cannabis-Patientinnen in Bayern. Dort liege ihr Anteil 68,3 Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt, in Sachsen-Anhalt dagegen um 56,1 Prozent darunter, in Sachsen um 51 und in Thüringen um 43,9 Prozent.
Schon zuvor hatte Bloomwell, auf seine Daten gestützt, gegen eine Beschränkung der Cannabis-Telemedizin argumentiert – etwa auch mit einer möglichen erneuten Stärkung des illegalen Cannabis-Markts.
Vereine decken die Nachfrage nicht
Denn unabhängig von der Frage nach dem Ausmaß möglichen Rezept-Missbrauchs ist klar, dass der Bedarf auch für den Freizeitkonsum durch legal zu erhältliches Cannabis bei weitem noch nicht gedeckt wird.
Inzwischen sind bundesweit zwar auch etwa 300 Cannabis Social Clubs genehmigt, mit mehr als 80 die meisten in Nordrhein-Westfalen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hatte Hamburg mit 13 Vereinen die meisten, Bayern indes die niedrigste Pro-Kopf-Rate mit nur acht. In Sachsen gab es jetzt 16 Vereine, in Sachsen-Anhalt mindestens sechs und in Thüringen mindestens fünf.
Solche Vereine dürfen seit Sommer 2024 die Droge anbauen und allein an ihre jeweils maximal 500 Mitglieder abgeben. Um jedoch den Schwarzmarkt auszutrocknen, was auch als Ziel der Ampel-Gesetzgebung formuliert war, bräuchte es auf diese Weise rein rechnerisch 5.000 bis 10.000 Vereine – geht man von geschätzt bis fünf Millionen potenziellen erwachsenen Konsumenten aus, die dann aber auch alle bereit sein müssten, Mitglieder zu werden.
Noch keine Erforschung anderer Modelle
Ein Ausweg könnte die legale Abgabe in kontrollierten Fachgeschäften sein. Erforschungen dieser Lösung hatte die Gesetzgebung der Ampel vorgesehen. Und ihr letzter amtierender Agrarminister, Cem Özdemir (Grüne), beauftragte noch im Dezember 2024 per "Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeits-Verordnung" (KCanWissZustV) dann die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit Erlaubnis, Überwachung und Durchführung.

Dieser Behörde, die dem Bundesministerium für Landwirtschaft untersteht, liegen nun auch tatsächlich zahlreiche Anträge unter anderem von Kommunen und Forschungseinrichtungen vor. Bislang jedoch ist noch keiner davon genehmigt worden und dem Vernehmen nach auch keine Genehmigung in Sicht.
Die Berliner Sanity Group, die in der Schweiz an einem solchen Versuch beteiligt ist, möchte dies auch in Deutschland. Ein Rechtsgutachten in ihrem Auftrag bestätigte, dass "Konsumcannabis-Pilotprojekte genehmigungsfähig" seien – trotz einer "politisch ungewissen Haltung zur Umsetzung dieser sogenannten zweiten Säule".
Ohnehin müsse die wissenschaftliche Evaluation einer kommerziellen Cannabis-Abgabe nach geltender Rechtslage regional und zeitlich begrenzt sein, schreiben die Juristen in ihrem Gutachten, mit "Ausnahmecharakter". Und wissenschaftliche Fragen müssten "eindeutig erkennbar im Vordergrund" stehen, "nach besserem Jugendschutz, der stärkeren Zurückdrängung des Schwarzmarkts und der organisierten Kriminalität und einer Steigerung des Verbraucherschutzes durch risikoärmere Konsumformen".
SPD-Kurs vorerst noch nicht ganz klar
Wie sich dazu und zum strittigen Cannabis-Versand die SPD verhält, unter deren Regie die teilweise Legalisierung und Entkriminalisierung von Cannabis in Deutschland zum 1. April 2024 umgesetzt worden war, ist noch offen.
Es wird noch eine Weile dauern, bis das Gesetz im Bundestag und im Ausschuss beraten wird.
Matthias Mieves, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion im Gesundheitsauschuss, hatte noch vor dem Sommer bei Linkedin eine Debatte über den Referentenentwurf eröffnet und erklärt: "Wir stehen noch ganz am Anfang des Gesetzgebungsprozesses, und es wird noch eine Weile dauern, bis das Gesetz im Bundestag und im Ausschuss beraten wird."
Für ihn sei dabei "eine verlässliche, wohnortnahe und barrierefreie Versorgung aller Patientinnen und Patienten" wichtig, schrieb Mieves dazu: "Klar ist aber auch, dass die Online-Verschreibung von suchterzeugenden Arzneimitteln für unbekannte Patienten ohne jeglichen Arztkontakt grundsätzlich ausgeschlossen sein sollte. Daher muss hier eine ausgewogene Regelung gefunden werden, die beiden Anliegen gerecht wird."
MDR AKTUELL, mit dpa/AFP
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