Das letzte Opfer der Berliner Mauer: Auf einem Besenstiel in den Tod
- Geheime Ballonflucht aus der DDR – monatelange Vorbereitung im Verborgenen
- Von der Hochspannungsleitung in eisige Höhe – fünf Stunden über Berlin
- Verhaftung, Gefängnis und Mauerfall – das Schicksal von Sabine Freudenberg
Mitten in der dunklen Nacht auf einem Besenstiel an einem selbstgebastelten Gasballon wollten Winfried und Sabine Freudenberg die Grenze nach West-Berlin überwinden – und sich ein gemeinsames Leben in Freiheit aufbauen. Der Fluchtversuch aus der DDR scheiterte vor 36 Jahren. Der Ingenieur aus Sachsen-Anhalt gilt als das letzte Todesopfer der Berliner Mauer.
Wir haben den Ballon aus normaler, damals erhältlicher Gewächshausgartenfolie aneinandergeklebt.

"Wir haben den Ballon aus normaler, damals erhältlicher Gewächshausgartenfolie aneinandergeklebt", berichtet die damalige Ehefrau Sabine Freudenberg. Die Kunststofffolie war Meterware. Allein das unauffällige Besorgen habe Monate gedauert. Die Bahnen hätten sie überlappend und mit Klebeband von beiden Seiten aneinandergeklebt.
Die Hülle des selbstgebauten Fluggerätes hatte zehn Meter Durchmesser und musste, in einer kleinen Zwei-Raum-Wohnung in Berlin Prenzlauer Berg, nachts gebaut werden. "Wir mussten das ja zu einer Zeit machen, dass wir sicher waren, dass niemand in die Wohnung kommt", beschreibt Sabine Freudenberg. Monatelang lebte das Paar in ständiger Anspannung. Selbst zu seiner Familie brach Winfried Freudenberg den Kontakt ab, um sie zu schützen.
Geheime Ballonflucht aus der DDR – monatelange Vorbereitung im Verborgenen
Das Vorhaben war ohnehin riskant – jedes Verbindungsstelle musste halten, jede Berechnung stimmen. Der Heimatort von Freudenberg ist Lüttgenrode bei Osterwieck im Landkreis Harz. Um das Befüllen des Ballons mit Erdgas und die anschließende Flucht durchführen zu können, hatte der Ingenieur gezielt eine Arbeitsstelle beim VEB Energiekombinat Berlin gesucht.
Caroline Labusch hat ein Buch über die Flucht geschrieben und dafür vier Jahre lang recherchiert. In einer Gasreglerstation hatte Freudenberg den Ballon befüllt: "Das kann man anhand der Stasibilder rekonstruieren. […] Da sieht man auch sehr schön, dass er einen Ypsilonschlauch konstruiert hat. Wie zwei Hosenbeine teilte er sich und führte zu zwei Gasleitungen parallel. So konnte er zwei Hähne gleichzeitig aufdrehen, damit das möglichst schneller reinströmt."
Start an Gasstation entdeckt: Kellner alarmiert Volkspolizei
Ich kann mich erinnern, dass ich schon vollkommen angeleint auf dem Besenstiel saß.
Um beide Eheleute tragen zu können, musste der Ballon komplett gefüllt sein. "Ich kann mich erinnern, dass ich schon vollkommen angeleint auf dem Besenstiel saß", blickt Freudenberg zurück. Die Hülle blähte sich bereits in den Nachthimmel. Sie sei erstaunt gewesen, wie gewaltig die Zugkraft war. "Es war ja keine Testphase oder irgendwas vorher möglich."

Doch bevor der Ballon für beide ausreichend gefüllt war, entdeckte nachts um halb zwei Uhr an jenem 8. März 1989 ein Aushilfskellner den Ballon und alarmierte die Volkspolizei. "Dann hielt ein Auto vor dem Tor", sagt Sabine Freudenberg. Es ist die Polizei, vermutet das Paar. Es musste eine Entscheidung getroffen werden.
Die Angst bei Sabine Freudenberg sei schon zuvor groß gewesen und immer weitergewachsen: "Boah, soll ich jetzt echt hochgehen in die Luft?" Es habe noch Gas im Ballon gefehlt. "Ich habe mich dann losgemacht und blieb am Boden."
Von der Hochspannungsleitung in eisige Höhe – fünf Stunden über Berlin
"Ich sah eine Person an dem Ballon hängen und eine Schnur dran", berichtete der damalige Meister der Volkspolizei, Lutz Almes, der zuerst am Fluchtort war. Er rannte hin und versuchte die Schnur festzuhalten. "In dem Moment wurde sie geschnitten und dann kam ein Windstoß und dieser drückte ihn in die Hochspannungsleitung." Es knallte, es blitzte, Funken flogen. "Ich habe gedacht, das kann er nicht überlebt haben. Dann flog der Ballon weg und die Person bewegte sich nicht mehr."
Winfried Freudenberg war nicht tot, aber möglicherweise bewusstlos. Der Ballon trieb Richtung West-Berlin. Von zwei Uhr bis 7.30 Uhr morgens war der Ballon in der Luft. Er stieg viel höher als der damals 32-Jährige geplant hatte – wohl auf bis zu 5.000 Meter. Dort herrschten an diesem Tag etwa 20 Grad Minus. Freudenberg hatte nur Hemd und Hose an.

"Und dann ist er in Luftschichten reingekommen, was nicht mehr vorgesehen war", sagt sein Bruder Reinhold Freudenberg. "Kalt, zu kalt, zu lange in der Luft." Er möchte nicht nachempfinden, was nach dem Stromschlag, der langen Zeit auf einem Besenstiel und bei eiskalten Temperaturen passiert ist.
Geplant für 30 Minuten – wie die Ballonflucht tödlich endete
"Aus heutiger Sicht kann ich mir das auch überhaupt gar nicht mehr vorstellen, dass ich mir das überhaupt zugetraut habe", betont Sabine Freudenberg. Die Aktion war deutlich kürzer geplant. "Hoch, rüber, runter. Das sollte maximal eine halbe Stunde dauern. So war die Vorstellung und das wäre noch machbar gewesen."

Winfried Freudenberg hatte eigentlich Haltegurte am Ballon. Möglicherweise konnte er sich durch den überstürzten Aufbruch nicht ausreichend sichern. Nach mehr als fünf Stunden in der Luft stürzte er über West-Berlin in Zehlendorf ab und starb. Der Ballon landete 500 Meter weiter in einem Baum.
Verhaftung, Gefängnis und Mauerfall – das Schicksal von Sabine Freudenberg
Seine Ehefrau wurde in Ost-Berlin verhaftet und als Mittäterin bestraft. In der Haft sei sie glücklicherweise immer mit anderen Frauen zusammen gewesen. "Das hat mir sehr geholfen, und natürlich, dass ich meine Routinen hatte." Sie habe sich in der Zelle etwa mit Gymnastik fit gehalten. Wenige Monate später fiel die Mauer. Sabine Freudenberg konnte in Chemie promovieren und arbeitete viele Jahre als Wissenschaftlerin. Sie heißt heute Dr. Sabine Kapelle und ist selbstständige Lebensberaterin, die Menschen mit traumatischen Erfahrungen hilft, Auswege aus schwierigen psychischen Situationen zu finden.
Winfried Freudenberg wurde noch vor dem Ende der DDR in seinem Heimatort im Harz unter großer Anteilnahme der Einwohner beigesetzt. Die Staatssicherheit regelte fast alles. "Die Grabstelle durften wir aussuchen", sagt Reinhold Freudenberg. "Aber was draufstehen durfte, das war: 'Auf tragische Weise verunglückt.' Das war das Einzige, was noch zugelassen war."
Heute steht in Berlin-Zehlendorf eine schlichte Stele mit seinem Namen. Sie erinnert an Winfried Freudenberg, der bereit war, alles zu riskieren, um in Freiheit zu leben – und dabei nur acht Monate vor dem Fall der Mauer sein Leben verlor.
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