• Feministische Wohnprojekte wie Leika in Leipzig fördern gemeinschaftliches, nachhaltiges und bezahlbares Wohnen.
  • Frauen sind besonders benachteiligt auf dem Wohnungsmarkt – durch geringeres Einkommen, Vermögen und Renten.
  • Stadt- und Wohnplanung mit feministischer Perspektive berücksichtigt vielfältige Lebensmodelle und Bedürfnisse.
  • In Mitteldeutschland sind sie noch selten, aber erste Kommunen und Wohnungsunternehmen zeigen Offenheit für feministische Ansätze.

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NachrichtenLeipzig Baubürgermeister Thomas Dienberg zum Wohnprojekt Leika

Leipzig Baubürgermeister Thomas Dienberg zum Wohnprojekt Leika

MDR FERNSEHENDi12.08.202510:09Uhr01:14 min

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Grundsteinlegung beim genossenschaftlichen Hausbauprojekt Leika im Leipziger Süden. Neben Architekt und Bauherrinnen ist mit der linken Landtagsabgeordneten Juliane Nagel und Leipzigs Baubürgermeister Thomas Dienberg auch die Politik vertreten. Dienberg sieht durchaus Modellcharakter in Projekten wie Leika. Wenn es es mit der aktuellen Entwicklung bei steigenden Baukosten und Kapitalmarktzinsen so weitergehe und es keine durchgreifende Änderung bei der Wohnungsbauförderung gebe, "dann wird es automatisch auf mehr Genossenschaften" hinauslaufen. Das sei "ein Stückweit verrückt", sagt Dienberg. "Aber ich glaube, es werden sich am Ende ganz viele sagen: Wo sollen wir wohnen? Wer kümmert sich darum, wenn wir das nicht selber tun?"

Genau darum geht es den Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftlern von Leika. Sie wollen bezahlbares Wohnen im Herzen des Stadtviertels mit einer Stadtteilkantine für alle. Das Ganze nachhaltig gestaltet, mit regionalen und ökologischen Baustoffen gebaut – gemeinschaftlich und eben auch feministisch orientiert.

Wir verstehen unter feministischem Wohnen, dass es ein soziales Miteinander ist, das Fürsorge über die Kleinfamilie hinaus denkt.

Charlotte EiflerGründungsmitglied Leika
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NachrichtenCharlotte Eifler zum Leika-Projekt in Leipzig

Charlotte Eifler zum Leika-Projekt in Leipzig

MDR FERNSEHENDi12.08.202510:08Uhr00:43 min

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Was das bedeutet, erklärt Charlotte Eifler. Die 39-jährige Künstlerin und Dozentin ist von Anfang an beim Leika-Projekt dabei gewesen. Unter feministischem Wohnen, sagt sie, verstehe die Leika-Gruppe ein soziales Miteinander, das Fürsorge über die Kleinfamilie hinaus denkt. "Wir verstehen es auch als eine architektonische Lösung, also als Wohnformtypen, die es ermöglichen, alternative Lebensmodelle zu realisieren", so Eifler. Vor allem gehe es darum, alleinerziehenden Frauen zu ermöglichen, in Wohngemeinschaften zu leben.

Konkret veranschaulicht das der Architekt des Projekts, Juri Kuther. Ihm zufolge wird Haus modular aufgebaut. Soziale Wohnbausteine nennt man das bei Leika. Einer davon sei ganz speziell, nämlich eine 60 Quadratmeter-Dreiraumwohnung. Kuther erklärt: "Das ist eine Wohnung, in der ich alleinerziehend wohnen kann. In der ich auch ein eigenes kleines Schlafzimmer habe. In der ich nicht als Letzte im Wohnzimmer auf dem Futon ins Bett gehe."

Eine der geplanten Dreiraumwohnungen im Leika-Haus in Leipzig.Bildrechte: Libero Architekten Leipzig1 minBildrechte: MDR/ Sven Schaale1 min

NachrichtenArchitekt Juri Kuther zum Leipziger Leika-Projekt

Architekt Juri Kuther zum Leipziger Leika-Projekt

MDR FERNSEHENDi12.08.202510:09Uhr00:57 min

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Ein eigenes Zimmer für das Kind und für die Alleinerziehende. Das sei der Gruppe wichtig gewesen, so Kuther. Denn eine Dreiraumwohnung nach sozialem Wohnbauschlüssel sei immer 75 Quadratmeter groß. Selbst wenn sie subventioniert würden, seien diese Wohnungen noch immer zu teuer für eine alleinerziehende Person, erklärt der Architekt. Das führe dazu, dass Alleinerziehende häufig auf zu wenig Raum in Zweiraumwohnungen lebten.

"60 Quadratmeter für zwei Personen ist ein super Schlüssel – auch ökonomisch und ökologisch. Aber da fehlte bis jetzt immer das dritte Zimmer." Das wurde nun also – auf Wunsch der Leika-Gruppe – gezielt entworfen.

Wohnungskrise trifft Frauen härter

Ein Blick auf die gesellschaftliche Ausgangslage macht schnell deutlich, warum solche Überlegungen wichtig sind. Die Wohnungskrise trifft eine Hälfte der Bevölkerung härter als die andere: Frauen. Sie stehen bei Einkommen, Vermögen und Erbe schlechter da als Männer. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge verdienten Frauen 2024 pro Stunde 4,10 Euro weniger als Männer. Und das, obwohl der Gender Pay Gap – also die geschlechtsspezifische Lohnlücke – zuletzt auf im Schnitt 16 Prozent gesunken ist. Im Osten ist die Lohnlücke mit fünf Prozent dabei geringer als im Westen mit 17 Prozent.

Frauen arbeiten häufiger im Niedriglohnsektor. 2024 bekamen laut Statistischem Bundesamt 19 Prozent der berufstätigen Frauen Niedriglöhne, bei Männern liegt der Anteil bei 14 Prozent. Auch bei Erbschaften und Schenkungen gibt es eine Geschlechterlücke. Töchter erben im Schnitt 13 Prozent weniger als Söhne. Bei Schenkungen, also Erbschaften zu Lebzeiten, liegt die Lücke sogar bei 37 Prozent. Das ergab vor zwei Jahren eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung.

Auch bei den Alterseinkünften sieht es finster aus. Der sogenannten Gender Pension Gap lag 2024 bei knapp 26 Prozent – Hinterbliebenenansprüche sind da mit eingerechnet. Das liegt unter anderem daran, dass mehr Frauen Erwerbsarbeit in Teilzeit nachgehen und das Gros der unbezahlten Sorgearbeit leisten. 70 Prozent der heute berufstätigen Frauen sind im Alter armutsgefährdet.

Statistisch gesehen verdient nur bei zehn Prozent der Paare in Deutschland die Frau das Haupteinkommen. Eine Trennung und der damit verbundene Neuanfang sind entsprechend mit finanziellen Hürden verbunden. Hinzu kommt eine höhere Lebenserwartung von Frauen und die Tatsache, dass 82 Prozent der Alleinerziehenden Mütter sind.

Frauen müssen also im Schnitt einen höheren Anteil ihres Einkommens für Wohnen ausgeben als Männer und haben somit am Miet- und Kaufmarkt im Zweifel das Nachsehen. Noch schwieriger als es ohnehin schon ist, wird es, wenn neben dem Geschlecht weitere Diskriminierungsmerkmale wie Alter, Herkunft, Behinderung oder sexuelle Orientierung hinzukommen.

Lernen von der Stadtplanung

Aus der Stadtplanung kennen wir es inzwischen: Wo ausschließlich für berufstätige Männer mit Auto geplant wird, fallen die, die sich überwiegend um Erziehung, Kinder und Pflege kümmern, hinten runter. Die Folge: Lange Wege, die zu Fuß oder mit dem Rad beschwerlich sind, Kitas, Schulen und Spielplätze außer Reichweite sowie eine geringe Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum machen das Leben schwer. Und auch Menschen, die wegen anderer Eigenschaften in unserer Gesellschaft diskriminiert werden, haben mit lebensunfreundlichen öffentlichen Räumen zu kämpfen. Gemeinschaft, Austausch und gegenseitiges Voneinander-Lernen werden erschwert.

Erkenntnisse, die zum Teil bei Stadtplanerinnen und Stadtplanern angekommen sind. Städte, die bereits frauenfreundliche Maßnahmen umsetzen, sind unter anderem Wien, Paris oder Valparaíso in Chile. Konzepte, wie die 15-Minuten-Stadt, in der alle Wege zu Fuß in 15 Minuten zu erreichen sind, spielen hier eine Rolle. Autoarme Innenstädte, ausreichend Toiletten, Wickelräume und Spielplätze, Angebote für Mädchen in öffentlichen Parks sowie sichere und gut beleuchtete Wege orientieren sich speziell an den Bedürfnissen von Frauen.

Wohnungsbau breiter gedacht

Nicht anders verhält es sich im Wohnungsbau. Auch hier können die Bedürfnisse und der Alltag der künftigen Bewohnerinnen bereits bei der Planung berücksichtigt werden, indem die künftigen Mieterinnen von Anfang an einbezogen werden. Die "eine" feministische Wohnung gibt es dabei nicht. Die konkrete Ausgestaltung kann bei jedem Projekt anders aussehen. "Es ist ja gerade die Stärke von feministischen Ansätzen, dass sie eben nicht vereinheitlichen, sondern Diversität in den Entwürfen mitdenken", sagt Tabea Latocha. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar und hat zum Thema feministische Perspektiven auf das Wohnen promoviert. Trotzdem gebe es ein paar wiederkehrende Punkte, sagt sie. "Frauen brauchen vor allem bezahlbaren und langfristig sicheren Wohnraum, auch wenn vielleicht mal das Gehalt wegfällt, weil man Kinder hat oder Menschen pflegt."

Vor allem Linke besetzt Thema politisch

In der Politik taucht das Schlagwort "feministische Wohnungspolitik" vor allem bei der Linken auf. Veranstaltungen etwa der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus oder der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung haben sich in jüngerer Vergangenheit damit auseinandergesetzt, wie Ideen des Feminismus Wohnen besser und gerechter machen können.

"Feministische Wohnungspolitik schließt niemanden aus", sagt Tabea Latocha, die in Weimar am Lehrstuhl für Stadtplanung arbeitet. "Sie öffnet eher den Raum für Vielfalt". Es geht für Latocha um genau das, was im Leipziger Leika-Projekt umgesetzt werden soll – nämlich "eigentlich darum, allen Menschen ein Recht auf ein angemessen sicheres und leistbares Wohnen zu ermöglichen" – unabhängig davon, ob sie in Kleinfamilien leben möchten, in Wahlverwandtschaften oder in einer größeren Gemeinschaft.

Ansatz in Mitteldeutschland noch nicht verbreitet

Die in Leipzig ansässige Architektin Aline Hielscher sagt, Umdenken beim Wohnbau sei dringend notwendig. "Familienmodelle ändern sich gerade extrem oder haben sich schon geändert, aber Deutschland baut noch wie vor 50 Jahren." Die klassische Drei- bis Vierzimmerwohnung passe nicht unbedingt zu Alleinerziehenden oder Patchworkfamilien, so Hielscher. "Stichwort Nestmodell beispielsweise. Das findet sich im aktuellen Wohnbau so gut wie nicht wieder."

Projekte wie das von Leika in Leipzig haben in Mitteldeutschland nach MDR-Recherchen Seltenheitswert. Fündig wird die Suchende eher in großen Städten wie Berlin oder Österreichs Hauptstadt Wien. So entsteht nach Jahren des Ringens in Berlin gerade das inklusive und generationenübergreifende Wohnprojekt "RuT" für queere Frauen und Lesben. In Österreich hat sich die Architektin Gabu Heindl einen Namen gemacht mit Projekten wie dem Intersektionalen Stadthaus. Das Wiener Frauenprojekt "Ro*sa" realisiert inzwischen das vierte Projekt. Die Besonderheit: Mietverträge werden von Frauen an Frauen vergeben.

Stichprobenartige Abfragen des MDR bei größeren Kommunen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zeigen, dass soziale und ökonomische Aspekte durchaus in die Wohnraumplanung einfließen. Die feministische Brille hat sich aber bisher kaum eine Stadt aufgesetzt. Immerhin: Erfurt arbeitet an einem Masterplan, der es ermöglichen soll, auf sich wandelnde Bedürfnisse bei sozialen Wohnformen zu reagieren. Die Stadt Halle antwortet auf Nachfrage, sie setze sich schon länger mit der spezifischen Perspektive von Frauen am Wohnungsmarkt auseinander. Die Bedarfe von Alleinerziehenden fließen in den Wohnungsmarktbericht der Stadt ein. In Halle wird gerade an einem neuen Stadtentwicklungskonzept gearbeitet, in das feministische Perspektiven einfließen können, heißt es von einem Sprecher.

Wohnungsunternehmen zeigen sich offen

Auch größere Wohnungsgenossenschaften und kommunale Wohnungsunternehmen in Mitteldeutschland haben die feministische Perspektive bisher wenig auf dem Schirm. Einige zeigen sich aber zumindest offen, auch in diese Richtung zu denken. Die Wohnungsbaugenossenschaft Kontakt in Leipzig teilt auf Anfrage mit: "Die Anfrage war für uns ein Impuls, uns kritisch damit auseinanderzusetzen, ob es in diesem Bereich ein fehlendes Problembewusstsein für strukturelle Benachteiligung gibt."

Bei der Jena Wohnen GmbH flössen Fragen der Gleichstellung und geschlechtergerechten Stadtentwicklung bereits in die Planungs- und Bewirtschaftungsentscheidungen ein, heißt es schriftlich. Man wolle jetzt prüfen, inwieweit sich feministische Ansätze und Perspektiven sinnvoll in Projekte integrieren lassen. Die Wohnungsgenossenschaft "Carl Zeiss", ebenfalls in Jena, teilt mit, es gibt keine explizite Auseinandersetzung mit feministischer Wohnungspolitik. Zentrale Anliegen, die auch feministische Wohnungspolitik verfolgt – wie soziale Gerechtigkeit, Teilhabe, Schutz vor Diskriminierung und die Förderung vielfältiger Lebensmodelle – flössen aber in das tägliche Handeln ein.

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