"Wohnen nicht als Ware, sondern als Teil der Daseinsvorsorge denken"
MDR AKTUELL: Sie forschen zu feministischen Perspektiven auf das Wohnen und haben dazu Ihre Doktorarbeit geschrieben. Was ist denn die Verbindung zwischen Feminismus und Wohnen?
Tabea Latocha: Also erst einmal sind Wohnungsprobleme keine neutralen Probleme, sie treffen unterschiedliche Menschen ganz unterschiedlich. Die Wohnungskrise, könnte man sagen, ist keine neutrale Krise und wenn man sich die Datenlage anschaut, betrifft eben Wohnungsnot vor allem bestimmte Gruppen, nämlich alleinerziehende Mütter, ältere Frauen, FLINTA*, also vor allem Frauen, Lesben, Intersektionale, Nicht-Binäre und Transpersonen und auch Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder chronischen Erkrankungen.
Wenn wir uns Armut soziologisch anschauen, ist Armut weiblich geprägt und das wirkt sich auch am Wohnungsmarkt aus – durch Wohnungsverluste und Verdrängungseffekte, durch steigende Mieten. Auch die Problematik von Zwangsräumungen ist verschränkt mit vergeschlechtlichten Ungleichheiten. Frauen verdienen häufig weniger, weil sie häufiger in Teilzeit arbeiten, tragen gleichzeitig die Hauptsorgelast, meistens auch für Erziehungs- oder Pflegetätigkeiten. Und das wirkt sich dann überproportional stark am Wohnungsmarkt aus und bedeutet, dass sie durch die Wohnungskrise noch stärker als andere Gruppen belastet sind.
Wie ist denn generell der Zugang von Frauen zu bezahlbarem Wohnraum in Deutschland?
Die meisten Wohnungen in Deutschland werden a über den Markt vermittelt. Das heißt, der Zugang zu Wohnraum ist abhängig von ökonomischen Ressourcen, außer man hat vielleicht einen Wohnberechtigungsschein, also Anspruch auf eine öffentlich geförderte Sozialwohnung. Bei der Vergabe von Wohnraum wird jetzt erst mal nicht direkt nach Geschlecht unterschieden. Aber durch den Gender Pay Gap, durch unterschiedliche Voraussetzungen, vielleicht auch Kinderversorgung oder keine feste Arbeit, gibt es da schon eine Diskriminierung entlang von Geschlechterkategorien. Gerade alleinerziehende Mütter mit Kind haben große Probleme, auf angespannten Märkten eine Wohnung zu finden. Häufig wird ja auch in den Bewerbungen schon unterschieden nach Doppelverdiener-Paaren. Die haben auf jeden Fall eine bessere Voraussetzung, eine Wohnung zu bekommen.
Man kann in den Daten auch sehen, dass Männer häufiger Immobilien besitzen und häufiger Wohnraum allein finanzieren. Was man auch nicht unterschlagen darf, ist die häusliche Gewalt, von der Frauen sehr viel häufiger betroffen sind als Männer. Wegen finanzieller Probleme verbleiben von Gewalt betroffene Frauen häufig länger in Beziehungen, in denen Gewalt eine Rolle spielt. Sie haben gar keine Möglichkeit, aus den Beziehungen auszutreten, weil sie keinen Zugang zu eigenem Wohnraum haben – auch, weil es zu wenig Frauenhäuser gibt.
Es gibt dieses große Schlagwort "feministische Wohnungspolitik". Was können wir uns darunter genau vorstellen?
Feministische Wohnungspolitik ist kein einheitlicher Ansatz, sondern eher eine bestimmte Sichtweise auf die Probleme, die es aktuell am Wohnungsmarkt gibt. Davon ausgehend entwirft sie einen Maßnahmenkatalog und bestimmte Ideen, wie man diesen Problemen begegnen kann. Grundsätzlich gesprochen rückt eine feministische Sicht auf die Wohnungskrise die soziale Ungleichheit beim Zugang zu Wohnraum in den Fokus, insbesondere entlang von Strukturkategorien wie Geschlecht, Rassismus, Care-Verantwortung, Einkommen oder auch Behinderung. Ausgehend davon plädiert sie dafür, dass der Markt vielleicht nicht der beste Mechanismus ist, um Wohnraum gerecht zu verteilen, weil eben Einkommen gesellschaftlich ungleich verteilt ist.
Wie kann denn dieser feministische Blick helfen, die Dinge in der Realität vielleicht zu verändern?
Eine feministische Sicht auf Wohnungsprobleme ist gar nicht neu. In den letzten Jahren, vor allem seit der Corona-Krise, als vielen bewusst wurde, dass die Wohnung auch noch ganz viele andere Funktionen hat als nur Schlafen und ein Dach über dem Kopf, haben diese Ansätze einen Aufwind erfahren. Aber eigentlich machen sich schon seit der Jahrhundertwende feministische Theoretikerinnen, aber auch Architektinnen und Praktikerinnen Gedanken darüber, wie man Wohnen anders als vermeintliche Privatangelegenheit der Kleinfamilie organisieren kann. In den 1970er-Jahren wurden die Konzepte dann wieder aufgegriffen. Ein paar Ansätze, die da ganz wesentlich sind: Wie bekommt man Zugang zu Wohnraum? Da gibt es natürlich Nischenmodelle wie Genossenschaften. Aber es gibt auch die Idee, Solidarmodelle stärker zu verankern, sozialen Wohnraum auszuweiten und breiter zugänglich zu machen.
Es ist ja gerade die Stärke von feministischen Ansätzen, dass sie eben nicht vereinheitlichen, sondern Diversität in den Entwürfen mitdenken.
Außerdem gibt es räumliche Ansätze, wie man Wohnraum gestalten kann, denn die Bedürfnisse sind ja sehr viel vielfältiger als nur 3-Zimmer, Küche, Diele, Bad. Es bräuchte viel flexiblere Grundrisse. Die Familienstrukturen sind diverser geworden, Menschen werden auch älter in ihren Wohnungen, die Kinder ziehen aus. Grundrisse sollten mitaltern und angepasst werden können. Und man müsste vor allem mehr Gemeinschaftsräume integrieren. Das geht natürlich nicht überall und ist auch nicht in jedem Fall die Lösung aller Probleme. Aber das sind Ansätze, die in städtischen Kontexten, in größeren Wohnsiedlungen versucht werden können. Zentral ist auch die Integration von sozialer Infrastruktur. Dass wohnortnah so etwas wie eine Kita verfügbar ist, also der breitere Quartierskontext noch mitgedacht wird beim Thema Wohnen. Das ist ein zentrales Anliegen feministischer Ansätze.
Was sind denn die Wohnbedürfnisse, vor allem von Frauen heute? Wie sieht das Wohnen idealerweise aus? Kann man da Kategorien nennen oder sagen, wie der Grundriss aussieht?
Es ist schwierig, einheitliche Bedürfnisse zu formulieren. Es ist ja gerade die Stärke von feministischen Ansätzen, dass sie eben nicht vereinheitlichen, sondern Diversität in den Entwürfen mitdenken. Trotzdem gibt es da ein paar Punkte. Frauen brauchen vor allem bezahlbaren und langfristig sicheren Wohnraum, auch wenn vielleicht mal das Gehalt wegfällt, weil man Kinder hat, weil man Menschen pflegt. Wichtig ist gut erreichbarer und vernetzter Wohnraum. Vernetzt mit Versorgungsinfrastrukturen, mit Einkaufsinfrastrukturen, ärztlichen Strukturen, Kitas, Schulen. Man muss beim Wohnen die Alltagslogistik mitdenken, die ja viel an Frauen hängen bleibt, etwa in Form von Care-Arbeit.
Wie blicken Sie auf den aktuellen Wohnungsbau? Werden diese Aspekte da ausreichend berücksichtigt oder wird da immer noch für die traditionelle Familienkonstellation gebaut?
Definitiv leider Letzteres. Was wir sehr viel häufiger sehen am Markt, sind diese Standard-Familienmodelle. Man muss natürlich dazu sagen, dass tatsächlich viele Menschen so leben möchten. Die Krux ist dabei, dass das aber meistens nur für eine bestimmte Lebensperiode sinnvoll ist und auch nicht für alle gleichermaßen gut funktioniert. Durch diese Planung für die 'klassische' Kleinfamilie werden andere Lebensrealitäten ausgeschlossen. Das ist schade. Es gibt aber auch Beispiele, wie man es anders machen kann. Und ich denke, wenn wir vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels die Zukunft des Bauens im Bestand sehen, besteht da schon die Möglichkeit, an bestehenden Grundrissen Änderungen vorzunehmen, die dann vielleicht mehr Flexibilität zulassen.
Angenommen, es wird künftig inklusiver, gemeinschaftlicher, flexibler gebaut – werden dann nicht traditionelle Familienkonstellationen benachteiligt?
Nein, auf gar keinen Fall. Feministische Wohnungspolitik oder feministischer Wohnungsbau schließen auf jeden Fall niemanden aus, sondern öffnen eher den Raum für Vielfalt. Das bedeutet, sie richten sich überhaupt nicht gegen traditionelle Familienmodelle. Es geht eigentlich darum, allen Menschen ein Recht auf angemessenes, sicheres und leistbares Wohnen zu ermöglichen. Das ist die Idee dahinter und das könnte eben unter anderem durch flexiblere, neutrale Grundrisse ermöglicht werden. Denn auch dort können natürlich Kleinfamilien mit Mutter, Vater, Kind wunderbar leben.
Wenn wir jetzt auf den großen Flächendruck in den größeren Städten und Metropolregionen schauen, kann dann dieser Ansatz auch eine Lösung für die Wohnungskrise sein?
Auf jeden Fall kann er ein Teil der Lösung sein. Feministische Wohnungspolitik ist kein Allheilmittel. Wir müssen an vielen Strängen ziehen, um die Krise zu lösen. Die Probleme gestalten sich unterschiedlich, ob wir jetzt in den ländlichen Raum schauen oder in die Großstädte, ob wir auf Geschosswohnungsbau schauen, der institutionell vermietet ist, oder im Privatbesitz befindliche selbst genutzte Wohnungen. Da gibt es unterschiedliche Eigentumsstrukturen, unterschiedliche Preisentwicklungen, unterschiedliche bauliche und räumliche Strukturen und die müssen alle mitgedacht werden. Feministische Wohnungspolitik versucht, das Problem an der Wurzel zu packen. Eine Grundforderung aus feministischer Sicht ist, Wohnen nicht als Ware, sondern als Teil der Daseinsvorsorge zu denken und dementsprechend auch die Politik daran auszurichten.
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