"Familie ist Nummer eins. Aber...": Wie ein Major in Gera den Wandel in der Bundeswehr erlebt
Sieben Grad. Es ist ungewöhnlich kalt an diesem Augustmorgen - und dazu noch ziemlich früh. Seit 4:45 Uhr sind die 100 Rekruten auf den Beinen. Drei anstrengende Tage stehen für sie auf dem Plan: Heute geht es für sie zum ersten Mal ins Übungslager, ins Biwak, ein Lager im Freien.
So hart wie es klingt: Der Russland-Ukraine-Krieg ist unser bester Lehrmeister.
Die Rucksäcke sind gepackt. Rund 20 Kilo schleppen die jungen Leute. Für die nächsten drei Tage und Nächte ist das Biwak ihr Zuhause. Beim Kompanieantreten gibt ihnen Major Nick mit auf den Weg: "Der Ukraine-Krieg zeigt uns, dass der Waldkampf und der Grabenkampf genau das ist, was wir beherrschen müssen. So hart wie es klingt: Der Russland-Ukraine-Krieg ist unser bester Lehrmeister." Genau den zu üben, steht nun für die 100 jungen Frauen und Männer an.

Major Nick - seinen Familiennamen nennen wir aus Sicherheitsgründen nicht - ist Kompaniechef beim Panzerpionierbataillon 701 in Gera. "Auf dem Hain", wie man hier vor Ort umgangssprachlich sagt. Über 500 Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Angestellte sind dort beschäftigt. Sie alle erleben einen Umbruch, wie es ihn bei der Bundeswehr lange nicht gegeben hat. Es gibt Diskussionen über den Einsatz von Bodentruppen oder die Wehrpflicht.
Und - es steht eine große Übung an: die "Quadriga 20" in Litauen. Anfang September sind dabei rund 2.000 Soldatinnen und Soldaten der Panzergrenadierbrigade 37 im Einsatz, zu der auch das Panzerpionierbataillon 701 Gera gehört. Bei dieser Großübung arbeiten alle Dimensionen der Bundeswehr Hand in Hand, informiert die Bundeswehr. Aus Gera unterstützen 50 Soldaten der 4. Kompanie.
"Wer den Krieg vermeiden will, muss den Ernstfall üben."
"Es ist eine Übung, um einfach logistische Prozesse zu üben: Wie läuft eine Verlegung ab? Wie funktioniert ein Gefechtsstand? Das sind Themen, die da abgebildet werden. Es werden 50 Soldaten mit nach Litauen gehen, die vor sechs bis neun Monaten in der Grundausbildung waren. Alle haben sich freiwillig gemeldet. Die sitzen relativ zügig dann im Bus und leisten ihren Dienst als Soldat", erklärt Kompaniechef Nick. Rekruten nehmen an diesen Übungen nicht teil.

Es ist "nur" eine Übung. Aber eine, die zeigt: Es könnte irgendwann ernst werden. Was macht das mit den Soldaten, mit ihren Familien?
Die Liebe zu Nick, dadurch schaff ich das.
Shoa wuselt ganz aufgeregt durchs Wohnzimmer. Er hat den Schlüssel in der Tür gehört und weiß, dass gleich sein Herrchen nach Hause kommt: Major Nick. Jeden Abend - oft auch spät - freut sich der Soldat auf diesen Moment, wenn ihn Hund, Katze und natürlich Ehefrau Jasmin begrüßen. Und wenn es nicht zu spät ist, auch sein kleiner Sohn.
Das Leben mit einem Soldaten war nicht das Familienmodell, was sich Jasmin ursprünglich gewünscht hatte: "Es war schon so, dass mein Herz gesprochen hat, als ich Nick kennengelernt habe und ich das Drumherum damit akzeptiert hab. Aber es war natürlich schon nicht leicht."
Besonders schwer wurde es mit Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges. Wissend, was für einen Soldaten kommen könnte. "Wir haben phasenweise jeden Abend darüber gesprochen; das war schon sehr präsent. Und auch meine Angst war sehr präsent. Die Liebe zu Nick, dadurch schaff ich das. Weil ich dann schon immer versuche, das Schöne zu sehen, das wir haben."
Kein Tag ist wie der andere
Anführer, Ausbilder, Erzieher - Chef von über 200 Leuten. Eine Herausforderung. "Das macht unseren Beruf besonders. Kein Tag ist wie der andere. Mit den verschiedenen Charakteren arbeiten. Ein Beruf mit Höhen und Tiefen. Für meine Rekruten ist der Start bei der Bundeswehr sicher auch nicht leicht. Mir ist es wichtig, dass jeder Befehl erklärt wird. Etwa, warum die ihr Bett machen müssen. Das ist die erste Aufgabe, die am Tag erfüllt wurde - da habe ich einen guten Start in den Tag. Wenn ich nach einem langen Tag zurückkomme, ist wenigstens schon das Bett gemacht."
Dem Kompaniechef ist wichtig, die Familien der Rekruten mit ins Boot zu holen, um die jungen Leute zu unterstützen. Er lädt die Eltern ein, um die "Black Box Bundeswehr" erlebbar und verständlich zu machen. Mit Erfolg: Die Abbrecherquote in Gera liegt bei unter zehn Prozent. "Schließlich haben wir doch alle selbst die Grundausbildung miterlebt und wissen, was da schief laufen kann."

Kompaniechef lobt: "Rekruten sind nicht blauäugig"
Abquälen bei der Bundeswehr - ist dafür die "Gen Z" nicht zu faul? Der Kompaniechef schüttelt energisch den Kopf. "Vor allem die weiblichen Soldaten sind leistungsfähig und leistungswillig. Die Rekruten sind nicht blauäugig. Ich glaube schon, dass das in den Köpfen der Generation Z angekommen ist, dass wir als Gesellschaft etwas zurückgeben wollen und müssen."
Als Schulkind war mir schon klar, dass ich mal Flecktarn tragen werde.
Mein Vater ist bei der Bundespolizei. Daher war für mich klar, zur Bundeswehr zu gehen - oder zu einer Blaulichtorganisation. Also alles einfach, eitel Sonnenschein? "Auf keinen Fall", lacht Nick. "Das Betreten der Kaserne in Hammelburg war schon ein Kulturschock. Der Ton war rau, die Ausbildung herausfordernd. Da habe ich mich schon gefragt: Was mach ich hier eigentlich?", schmunzelt er. "Aber man wächst mit seinen Aufgaben. Ich hatte keine Zweifel, dass es das Richtige war."
Die Wand in seinem Dienstzimmer hängt voller Auszeichnungen. "Ich bin von Natur aus sehr ehrgeizig: Was ich mache, will ich gut machen. Aber immer im Sinne der Kameradschaft. Ellenbogenmentalität ist hier falsch."
Wir kommen noch einmal auf den Litauen-Einsatz zu sprechen. Auch Major Nick hat ein mulmiges Gefühl. "Kein einziger Soldat wird jubilierend nach Litauen stürmen. Aber am Ende des Tages sind wir im System der kollektiven Sicherheit integriert und es ist unser Auftrag. Und den gilt es durchzusetzen."

"Es ist mein Beruf und auch meine Berufung"
Druckreife Sätze, die wie aus einem Bundeswehrprospekt klingen. Doch ich nehme es ihm ab, die Leidenschaft für seinen Beruf, seine Berufung. Vielleicht ungewöhnlich für uns Zivilisten. Nick erklärt es mir so:
"Jasmin (seine Ehefrau) sagt auch immer: Ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Und dann sag ich: Ja genau. Die Freiheit kannst Du nur genießen, wenn es Menschen wie uns gibt, wie es mich gibt. Die für die äußere Sicherheit kämpfen. Nur wenn die äußere Sicherheit gewährleistet ist, kann auch jeder Mensch in Deutschland das Leben genießen, was wir hier jeden Tag genießen dürfen. Dafür stehe ich."
MDR (Kathleen Bernhardt)
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