Was fehlt: Ausbildungsplätze, Mittel und ein Plan
- Landkreise fordern mehr Ressourcen und mehr Mitbestimmung beim Zivilschutz
- Naturkatastrophen, Stromausfälle, Pandemien - Zivilschutz wird wichtiger. Doch das vielleicht drängendste Theman spielt sich an der NATO-Ostgrenze ab.
- Warten auf das zweite BBK-Ausbildungszentrum: Stralsund hat den Teppich ausgerollt, doch das BBK zögert.
Die Landkreistage von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wünschen sich von Bund und Ländern mehr Unterstützung bei der Zivilschutz-Ausbildung und Aufklärung. Nach Recherchen von MDR Investigativ mangelt es aus Sicht der Landkreise an Ressourcen für die Ausbildung im Bereich Zivilschutz. Gleichzeitig würde auch die Frage, wo und wie die Bundeswehr vor Ort im Ernstfall Unterstützung bekommen kann, drängender.
Auf Anfrage von MDR Investigativ teilte der Landkreistag Sachsen mit, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) erarbeite stetig neue Handreichungen, wie sich die Bevölkerung auf den Ernstfall vorbereiten könne: "Das Problem dürfte eher darin liegen, dass Viele diese Empfehlungen nicht kennen." Der Landkreistag wünscht sich zum einen mehr Informationen und eine bessere Verzahnung der Planungen von Bund, Ländern und Kreisen.
Das Problem dürfte eher darin liegen, dass viele diese Empfehlungen nicht kennen.
Landkreise fordern mehr Ressourcen
Stärker mitplanen, das wünscht sich auch der Landkreistag Sachsen-Anhalt. Und Mittel von Bund und Ländern - für Personal bis hin zu Finanzen. Ziel: zurückgebaute Zivilschutzstrukturen wie Schutzräume wieder reaktivieren, wie ein Sprecher auf MDR-Anfrage mitteilte. Aber: "Die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen stellt sich - wenig überraschend - als schwierig dar."
Die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen stellt sich - wenig überraschend - als schwierig dar.
Der Präsident des Landkreistages Thüringen, Christian Herrgott, ist zugleich Landrat des Saale-Orla-Kreises. Erst vor wenigen Wochen haben seine Krisenstab-Mitarbeiter unter anderem aus den Bereichen Brand- und Katastrophenschutz eine Fortbildung an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) in Ahrweiler, absolviert, die zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BBK) gehört – die Themen diesmal: Hochwasser und Stromausfall.
"Wir nutzen als Landkreis das Angebot des BBK regelmäßig und beüben neben unsere Übungen im Landkreis auch einmal im Jahr den Krisenstab in Ahrweiler", erzählt Herrgott. "Um auf eventuelle Gefahrenlagen und Katastrophen möglichst umfassend vorbereitet zu sein." Das sei wichtig; in den vergangenen Jahren habe Thüringen Hochwasser, Flächenbrände und Karambolagen auf den Autobahnen erlebt. "Das sind alles Themen, die man am besten vorher übt, die Personen, die Köpfe kennt."
Beobachter erwarten spätestens 2029 Angriff Russlands auf Nato-Ostflanke
Naturkatastrophen, Stromausfälle, Pandemien, wirtschaftliche Verwerfungen, Massenunfälle, Angriffe auf kritische Infrastruktur: Der Zivilschutz wird aus vielen Gründen als Thema wieder wichtiger. Doch das vielleicht drängendste spielt sich an der NATO-Ostgrenze ab. Viele Experten erwarten nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine spätestens 2029 eine Verschärfung der Sicherheitslage, warnen vor einem Übergriff auf die NATO. Längst sondieren sowohl BBK als auch Bundeswehr, inwiefern sie im Ernstfall auf Strukturen in den Kommunen zählen können.
Wie die Bundeswehr auf Anfrage von MDR Investigativ mitteilte, stehen Vertreter der 16 Landeskommandos der Bundeswehr im Austausch sowohl mit Landesregierungen, Verbänden und Organisationen "oberhalb der kommunalen Ebene zur Förderung der zivil-militärischen Zusammenarbeit". In diesem Zusammenhang hätten die militärischen Vertreter regelmäßig auf Landesebene eingeladen - unter anderem zum sogenannten OPLAN Deutschland. "Folglich wurden seit längerem zahlreiche Gespräche insbesondere mit Vertretern der Länder geführt", wie der Bundeswehrsprecher mitteilte.
Militär sondiert unter anderem kritische Infrastruktur
Auch der Chef des Thüringer Landkreistags weiß von diesen Gesprächen. Auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte gehe es darum, "zu schauen, was habe ich denn überhaupt an kritischer Infrastruktur" - also an Verkehrswegen, Brücken und Straßen, was an Einrichtungen, die geschützt werden müssen. Im Rahmen des Operationsplans Deutschland bereite man sich auf verschiedene Szenarien vor, auch im Rahmen von Übungen - auch solche wie zuletzt im Grenzmuseum Schifflersgrund.
Was im OPLAN Deutschland für die Kommunen vorgesehen ist
"Der OPLAN DEU ist der Anteil der militärischen Planung hin zu einer Gesamtverteidigung Deutschlands, um die Souveränität und territoriale Integrität Deutschlands zu erhalten, sowie seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Insbesondere bei den Themen Innere Sicherheit, Verkehrsfluss und Verkehrsinfrastruktur sind wir auf die Mitwirkung der Bundesländer angewiesen (Gesamtverteidigung). Unser reger Austausch findet, wie bereits oben erwähnt, hauptsächlich über unsere Landeskommandos auf dieser Ebene statt. Es hat sich bewährt, dass die Kommunikation mit den Verantwortlichen in den Kommunen maßgeblich in den Händen der Ansprechstellen in den Bundesländern liegt. Die Kommunen können unser Land bereits jetzt schon ohne Detailkenntnisse aus dem OPLAN DEU unterstützen, indem sie engagiert an Verwaltungsvorgängen mit Bezug zur Bundeswehr mitwirken sowie stetig und grundlegend für Verständnis bei der Bevölkerung werben, z.B. wenn es um Einschränkungen durch Militärfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr geht." Quelle: Bundeswehr
Wofür die Bundeswehr die Länder braucht
"Der OPLAN DEU führt die zentralen militärischen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland mit den dafür erforderlichen zivilen Unterstützungsleistungen in einem ausführbaren Plan zusammen. Er trifft damit die planerische Vorsorge, dass im Krisen- und Konfliktfall nach erfolgter politischer Entscheidung zielgerichtet und im verfassungsrechtlichen Rahmen gehandelt werden kann und ist somit Teil der Gesamtverteidigung. Ein anderer Teil der Gesamtverteidigung ist die Zivilverteidigung. Die Federführung der zivilen Verteidigungsplanung liegt im Bundesministerium des Innern und für Heimat. Die zivile und die militärische Verteidigung bilden die zwei tragenden Säulen einer Gesamtverteidigung. Beide Säulen sind formal organisatorisch eigenständig, stehen aber in direkter Abhängigkeit zueinander und bedürfen zur Gewährleistung der Verteidigungsfähigkeit einer engen Verzahnung. Landes- und Bündnisverteidigung sind nur gesamtstaatlich bzw. gesamtgesellschaftlich zu bewältigen – dies betrifft u.a. die Bereiche Katastrophenschutz, Zivilschutz und militärische Verteidigung. In den Gesprächen mit den Ländern werden die festgestellten Bedarfe aus dem OPLAN DEU aufgezeigt." Quelle: Bundeswehr
Dort hatten Ende August Vertreter der Bundeswehr, der Polizei, des Technischen Hilfswerkes und Landräte und Kommunalpolitiker an Kartentischen ein ganz konkretes Szenario durchgespielt: Was wäre, wenn eine ganze Marschkolonne der US-Armee Hessen und Thüringen durchqueren müsste? Mehr als 4.000 Soldaten, 300 gepanzerte Fahrzeuge auf dem Weg an die NATO-Ostgrenze. Wo finden die Platz? Wo könnten sie tanken, wo rasten, wo essen und schlafen, wie weiterfahren?
Herrgott, selbst Reservist, nimmt das ernst und meint: Angesichts der aktuellen Bedrohungslage braucht es auch im Zivilschutz mehr Ausrüstung, mehr Ausbildung und mehr Aufklärung. Die Bevölkerung müsse über die "aktuelle veränderte Bedrohungslage" informiert werden, es brauche Handlungssicherheit für jeden einzelnen. Außerdem müssten alle Gemeinden, alle Kreise, alle Länder und der Bund mindestens einmal im Jahr zentral üben, um ihre Katastrophenschutzkräfte auch zeitnah aus- und weiterbilden können - dafür brauche es mehr Ausbildungskapazitäten beim Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz.
Nach der Katastrophe im Ahrtal hat die ehemalige Bundesinnenministerin viel angekündigt, umgesetzt wurde davon aber nur wenig.
Warten auf das zweite BBK-Ausbildungszentrum
Doch gerade bei den Ausbildungskapazitäten hinkt das BBK oder eben auch das Bundesinnenministerium hinterher. Herrgott sieht vor allem den Bund in der Verantwortung. Nach der Katastrophe im Ahrtal mit weit mehr als 100 Todesopfern habe das Bundesinnenministerium viel angekündigt, darunter ein zweites BBK-Ausbildungszentrum: “Umgesetzt wurde davon aber nur wenig”, sagt Herrgott.
Umstrittene Standortentscheidung
Die Wahl für das BBK-Ausbildungszentrum war nach 2021 auf Stralsund gefallen. Kritiker sprachen von einem verbrämten Geschenk an den Wahlkreis von Angela Merkel. Befürworter verteidigten die Entscheidung als besonders geeignet für Schulungen zur Wasserrettung – denn entstehen sollte das zweite BABZ auf der kleinen Insel Dänholm, die direkt vor Stralsund liegt.
Die Hansestadt zumindest hat nach eigenen Angaben ihre Aufgaben für ein zweites BABZ gemacht. "Die vorbereitenden Arbeiten für den Bebauungsplan wurden weitgehend abgeschlossen", teilt eine Sprecherin MDR Investigativ mit. Der Vorentwurf des Bebauungsplans sei fertig und "wird voraussichtlich kurzfristig in die frühzeitige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der Öffentlichkeit gehen".
Doch dann die Überraschung: Bis jetzt habe "weder das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe noch die Akademie selber den direkten Kontakt zur Hansestadt aufgenommen".
Das könnte sich noch ändern, denn das BBK hält nach eigenen Angaben an der Weiterentwicklung der BABZ fest. Allerdings ist unklar, in welchem Umfang. Dieser, so eine Sprecherin, sei derzeit Gegenstand von Prüfungen. Dabei gehe es um fachliche Anforderungen, die organisatorischen Rahmenbedingungen und die "Verfügbarkeit der insgesamt für die Neuausrichtung der Behörde einsetzbaren Ressourcen". Im Übrigen habe es jetzt Lehrangebote in Stralsund gegeben – allerdings nicht auf Dänholm.
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