Ein einfacher Museumsbesuch ohne besondere Führung kann für Demenzkranke vielleicht auch eine schöne Abwechslung sein. Aber er ist medizinisch bei weitem nicht so hilfreich wie ein Museumsbesuch mit sogenannter "demenzsensibler Museumsführung". Letztere Variante steigert Lebensqualität und seelische Gesundheit der Demenzkranken, das hat eine Studie unter Federführung von Michael Wächter und Karen Voigt von der Medizinischen Fakultät der TU Dresden ergeben.

Fast drei Jahre lang lief das zugehörige Projekt "Erinnerungs_reich" in Sachsen. Dabei arbeiteten die Dresdner Forscher mit drei Museen zusammen: den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, den Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur sowie der "terra mineralia" in Freiberg. Insgesamt 51 Freiwilligen-Paare bestehend aus einer demenzkranken Person und einem betreuenden Angehörigen machten mit. Sie wurden in zwei Gruppen unterteilt, eine mit und eine ohne "demenzsensible Museumsführungen".

Museumsbesuche auf Rezept bald auch in Deutschland?

Die Ergebnisse waren noch deutlicher, als die Dresdner Forscher von vornherein erwartet hatten. Wächter und Vogt sagten: "Die Ziele, die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu erhöhen und die seelische Gesundheit zu verbessern, haben wir durch die Museumsbesuche erreicht." Die Kunstwerke hätten es den Demenzkranken ermöglicht, an individuelle Erfahrungs- und Erinnerungswelten anzuknüpfen und so ins Gespräch zu kommen. "Unsere Empfehlung ist daher ganz klar, Museumsbesuche in die Regelversorgung zu übernehmen." Das mag ungewöhnlich klingen, gibt Karen Voigt zu: "Eine Jahreskarte fürs Museum ist insbesondere mit Blick auf die Linderung depressiver Symptome bei Menschen mit Demenz offenbar jedoch deutlich wirksamer als Medikamente. Diese sind teuer, helfen aber laut aktuellen Studien Betroffenen nicht, ihre Lebensqualität zu verbessern."

Großbritannien startete 2014

In Großbritannien habe man mit Museumsbesuchen auf Rezept schon gute Erfahrungen gemacht, betonen die Forscher. Dort habe man für jedes so ausgegebene Pfund auf Medikamentenseite 2,75 Pfund gespart.

Die ersten Museumsrezepte – "Museums on Prescription" – starteten 2014 in einem dreijährigen, preisgekrönten Pilotprojekt - zunächst für ältere, sozial isolierte Menschen. Heute sind Kunst- und Museumsbesuche fest im Gesundheitssystem verankert – und die Wirkung ist messbar: 37 Prozent weniger Hausarztbesuche, 27 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen. Die Zahlen stammen aus den 2023 erhobenen Daten der "Culture Health & Wellbeing Alliance", ein landesweites Netzwerk kreativer Gesundheitsinitiativen.

Kanada folgte vier Jahre später

Auf Großbritannien folgte Kanada. Seit 2018 verschreiben Ärztinnen und Ärzte in Montreal Besuche im Museum of Fine Arts (MMFA). Pro Jahr kann jeder Arzt bis zu 50 Rezepte ausstellen, die von der Krankenkasse übernommen werden. Studien des dortigen AgeTeQ-Labors belegten: Wer auf Rezept kommt, zeigt messbar höhere Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden.

Das Konzept fand schnell weitere Anhänger. In Brüssel begann 2021 ein ähnliches Programm: Gestartet mit fünf Museen und 33 Medizinerinnen und Medizinern, sind heute mehr als zehn Museen und 18 medizinische Einrichtungen beteiligt. Den Eintritt in die Brüssler Museen übernimmt die Stadt.

In Frankreich wird die Idee landesweit umgesetzt – von Rennes in der Bretagne bis an die Côte d’Azur. In Nizza erlaubt ein "L’art c’est la santé"-Rezept ("Kunst ist Gesundheit") auch den Besuch des renommierten Matisse-Museums. Parallel erforschen im ganzen Land zahlreiche Forschungsprojekte, welchen Einfluss Kunstbesuche auf das Wohlbefinden haben.

Handeln statt Behandeln

Esther Troost, Dekanin der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, unterstreicht die Bedeutung von präventiven Maßnahmen: "Angesichts hoher Kosten im Gesundheitswesen muss in Deutschland dringend mehr in Prävention und Gesundheitsförderung investiert werden. Als Hochschulmedizin Dresden können wir mit evidenzbasierten Untersuchungen einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Das Projekt 'Erinnerungs_reich' zeigt, welchen großen Nutzen präventive Maßnahmen haben können."

Etwa 80 Prozent der knapp zwei Millionen an Demenz Erkrankten in Deutschland werden zu Hause gepflegt. Da es derzeit keine Aussicht auf Heilung gibt, steht bei der Behandlung die Minderung von psychischen und somatischen Belastungen, die mit der Krankheit einhergehen, im Mittelpunkt.

Bode-Museum und Charité mit neuem Projekt

Gemeinsam mit der Charité erprobt das Bode-Museum das Projekt "Das heilende Museum". Es will die Achtsamkeit vor Kunstwerken erzielen. Dafür steht ein eigens dafür hergerichteter Raum zur Verfügung, in dem verschiedene Meditationstraditionen präsentiert werden. Wer teilnehmen möchte, kann die Übungen per Audioguide, Smartphone oder Website abrufen; dabei fallen Museumseintritt und ein Teilnehmerbeitrag an. 

Schon 2019 wertete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über 3.000 Studien aus – mit klarem Ergebnis: Kunst- und Kulturangebote stärken die psychische und physische Gesundheit - sie helfen, Leiden zu verarbeiten und den Genesungsprozess zu fördern. Darauf basiert die Museumstherapie. Anders als die bekanntere Kunsttherapie erfordert sie kein künstlerisches Talent – nur die Bereitschaft, Kunst bewusst zu erleben, etwa nach dem Slow-Art-Prinzip, bei dem man sich Zeit für einzelne Werke nimmt. Neu ist die Erkenntnis: Schon die reine Begegnung mit Kunst kann heilsam sein – ganz ohne eigenes kreatives Schaffen. 

(rr, pm, dpa)

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