Wie realistisch sind Merz' Sparziele?
Experten widersprechen dem Kanzler, fünf Milliarden Euro beim Bürgergeld einsparen zu können. Gerade durch "Totalverweigerer" sei äußerst wenig zu holen, ergibt eine aktuelle IAB-Studie.
Eventuell wird Friedrich Merz es noch bereuen, eine sehr hohe und konkrete Milliarden-Summe als Ziel für Einsparungen beim Bürgergeld ausgesprochen zu haben. Erwartungsmanagement nennt man das im Regierungsviertel: Wenn der Kanzler das Ziel zu hoch hängt, produziert er am Ende Enttäuschungen in den eigenen Reihen und der Wählerschaft - oder gar künftiges Futter für die Wahlkampfgegner. Siehe Merz-Vorgänger Olaf Scholz und die 400.000 Sozialwohnungen, die er eigentlich als Kanzler gebaut haben wollte.
Der Unions-Kanzler kündigte kürzlich in einem Interview auf SAT.1 an, er wolle beim Bürgergeld rund zehn Prozent der Kosten einsparen - eine Größenordnung von fünf Milliarden Euro im Jahr. Ein Zehntel weniger - das klingt einerseits nach tatkräftigem politischem Probleme-Anpacken und irgendwie auch machbar. Doch nicht nur die Koalitionspartnerin SPD hat Zweifel daran, dies hinzukriegen - auch Institutionen wie Bundesrechnungshof oder das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die der Parteilichkeit unverdächtig sind, halten das Ziel für zu ambitioniert.
"Großer Hebel nur durch mehr Arbeitsaufnahmen"
"So viel kann man gar nicht sanktionieren, um auf fünf Milliarden zu kommen", sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber im Gespräch mit tagesschau.de. Durch direkte Einsparung bei den staatlichen Bürgergeld-Ausgaben sei eine solche Größenordnung nicht erreichbar. Man liege ja schon im Bereich des Existenzminimums bei dieser Leistung.
Sanktionen ließen sich zwar durchaus maßvoll noch nachschärfen, erklärt der Experte, der am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für gesamtwirtschaftliche Analysen zuständig ist. Das IAB gehört zur Bundesagentur für Arbeit. "Einen wirklich großen Hebel hat man nur durch mehr Arbeitsaufnahmen", sagt Weber. Diese hätten einen doppelten Effekt. Einerseits erhöhten sich Steuereinnahmen und Sozialbeiträge, andererseits sänken die Ausgaben durch weniger Leistungsempfänger: Pro 100.000 Fälle in der Grundsicherung, die Arbeit aufnähmen, wären das rund drei Milliarden Euro für die öffentlichen Haushalte.
Rund 5,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger und deren im Haushalt noch lebende Kinder bezogen im Jahr 2024 nach Regierungsangaben Bürgergeld. Davon waren knapp vier Millionen erwerbsfähig. Die Zahlungen lagen im vergangenen Jahr demnach insgesamt bei rund 47 Milliarden Euro.
Die Gruppe wächst und schrumpft je nach Konjunkturlage - je nachdem, wie viele Menschen aus der Grundsicherung heraus in reguläre Arbeit kommen. Im Bürgergeld sammelt sich jedoch auch die Gruppe der meist gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen, die gerade dann schlechtere Chancen auf Vermittlung haben, wenn die Wirtschaft schwächelt.
Zahl der Bürgergeldempfänger lässt sich nicht festlegen
Es gibt laut Experten viele Gründe dafür, dass beim Bürgergeld nicht in großem Umfang gespart werden kann. Zum einen lässt sich die Zahl der Bürgergeldempfänger nicht politisch festlegen: Bürgergeld für Arbeitssuchende ist eine Antragsleistung des Sozialstaats, die ausgezahlt wird, sofern jemand die Voraussetzungen erfüllt. Es soll denjenigen ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern, die erwerbsfähig sind und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken können.
Dass der Staat hier unterstützen muss, ist geltende Rechtsprechung. Insofern kann das Existenzminimum auch gemäß Verfassungsgerichtsurteil von 2019 dieses kaum komplett entziehen - die Hürden für die Jobcenter für diese Maßnahme liegen so hoch, dass sie auf kaum einen Bürgergeldempfänger zutreffen. Ein Terminversäumnis reicht hier nicht.
Die politische Bürgergeld-Debatte dreht sich gerne um die sogenannten "Totalverweigerer", die stärker gefordert und sanktioniert werden müssten. Im vergangenen Jahr trat genau dazu bereits eine Neuregelung in Kraft. Die hatte der damalige SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil im letzten Halbjahr der Ampelkoalition auf den Weg gebracht. Sie sieht eine Streichung des Bürgergelds für zwei Monate als Sanktion vor, sofern wiederholt "zumutbare Arbeit" oder ein Ausbildungsangebot ohne Grund ausgeschlagen werde.
IAB: "Einsparungen von 170 Millionen unwahrscheinlich"
Eine heute vom IAB vorgelegte Analyse kommt jedoch zu dem Schluss, dass es eine derart "voraussetzungsvolle Regelung" sei, dass diese Sanktion nur selten von den Jobcentern verhängt werde. Alles deute darauf hin, dass es sich nur um eine sehr kleine Gruppe handele, weswegen es das IAB für unwahrscheinlich hält, dass damit die im Gesetzentwurf vorgesehenen Einsparungen von rund 170 Millionen Euro jährlich tatsächlich eintreten. Statistisch wird diese Gruppe nicht komplett erfasst, das IAB geht jedoch nach Auswertung verschiedener Quellen für die Zeit von April 2024 bis Juni 2025 von einer Zahl im "niedrigen zweistelligen Bereich" aus.
Allerdings wünscht sich der Jobcenter-Geschäftsführer David Lee Wingert schon die Möglichkeit einer "Pausentaste", wenn ein Kunde nicht zu Terminen erscheine. Für Leistungskürzungen gibt es Möglichkeiten, auch eine prozentuale Kürzung - das sei derzeit jedoch zu bürokratisch geregelt und mit hohen Hürden verbunden, sagte er dem Bericht aus Berlin. Hier gibt es Reformvorschläge, diese etwa in einer Bürgergeld-Reform zeitlich zu verlängern.
Sanktionen können zudem bereits einen Präventiveffekt haben: Menschen änderten durchaus bereits ihr Verhalten, wenn diese drohen, wissen die Praktiker vor Ort. Allerdings weist auch der für Berlin-Reinickendorf zuständige Jobcenter-Chef Wingert darauf hin, dass es bei den meisten Bürgergeldempfängern nicht am Willen liege, sondern am "Noch-nicht-können".
Aber auch hier sind die verfügbaren Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die tagesschau.de vorliegen, nicht sehr hoch: In den vergangenen zwölf Monaten (Stand: September 2025) haben die Jobcenter gut 25.000 Leistungsminderungen aufgrund der verweigerten Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder der Teilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme ausgesprochen.
Bas nennt keine konkrete Einsparsumme
Merz muss also auf einen Konjunkturaufschwung hoffen, der die Bürgergeldausgaben mit abschmilzt. Doch seine Aussage ist eigentlich so zu verstehen, dass es am Bürgergeld selbst Kürzungsmöglichkeiten in großem Umfang gibt. Die SPD-Parteivorsitzende Bärbel Bas, im Merz-Kabinett Arbeits- und Sozialministerin, muss von Merz dabei nicht zum Jagen getragen werden.
Sie befürwortet, "Mitwirkungspflichten und Sanktionen anzuschärfen". Das sei ein Instrument, das sich auch die Jobcenter wünschten - denn die Mitarbeiter könnten erst über den Kontakt mit den Arbeitslosen Erfolge erzielen, sagte Bas im Bericht aus Berlin. Zudem verwies Bas auf das neue Schwarzarbeit-Bekämpfungsgesetz. Dieses verbessere den Datenaustausch zwischen Zoll und Jobcentern, damit Zahlungen bei Betrug schnell gestoppt werden könnten.
Bas arbeitet derzeit an einer Bürgergeld-Reform, die sie in diesem Herbst vorstellen will, laut Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) sogar schon "in den nächsten Tagen". Diese sieht sehr wohl schärfere Sanktionsmöglichkeiten für sich der Arbeitssuche vor wie auch geringere bürokratische Hürden für die Jobcenter.
Und doch dämpfte Bas in der ARD gleichzeitig die Erwartungen, damit gleich Milliarden-Batzen einsparen zu können. Im Gegenteil: Mit einer Nennung von konkreten Einsparsummen hält sich Bas auffällig zurück.
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