"Die Armbinde fehlt noch, die gelbe": Mitten in seiner Challenge – "Kaufe, obwohl du fast blind bist, für ein Grill-Menü ein" – kommt Comedian Timur Turga mit Blindenstock in den Supermarkt, da hört er einen Mann irgendwo in seinem Rücken derart pöbeln.

Challenge Alltag: "Die Armbinde fehlt noch"

Timur Turga lebt mit nur noch etwa fünf Prozent Sehvermögen und kennt solche Situationen: "Es gibt Leute, die in mich rein rempeln oder mit ihren Händen vor meinen Augen wedeln, um zu testen, ob ich irgendwie reagiere." Trotzdem ist er immer wieder fassungslos: "Habt ihr das gehört? Mein 'Kostüm' ist nicht authentisch", sagt er zum Film-Team. Mit seinem Lachen überspielt er ein "furchtbares Gefühl", das ihn in solchen Momenten immer wieder einholt: "Du verlierst dein Augenlicht. Dein Leben verändert sich komplett und du versuchst, irgendwie weiter selbstständig zu sein, dein Leben auf die Reihe zu kriegen – und dann kommen Leute, die wollen, dass du ihr Bild vom Blinden erfüllst."

Dass dieser Grill heiß ist, merkt Timur Turga nicht nur an der Audiodeskription. Aus dem Hintergrund macht auch Andi von der Leipziger Grill-Akadamie hilfreiche Ansagen.Bildrechte: MDR/Sonja Bald

Sichtbar zu sein als Mensch mit Behinderung, Teilhabe in Alltag, Kultur und Freizeit, gar in der Arbeitswelt ist längst keine Selbstverständlichkeit, sondern bleibt eine Herausforderung – mitunter mehr für die Umwelt als für die Betroffenen selbst.

Das ist so Deutschland. Ich liebe es. Dass du einem Blinden, der keine Binde trägt, sagst: 'Deine Binde fehlt.'

Tan CaglarIn der Comedy Reality-Challenge "Ein Blinder, ein Lahmer, ein Tauber"

Humor ist, wenn man trotzdem lacht?

Statt sich zurückzuziehen, bringt Timur Turga seine Alltagserfahrungen mit Selbstironie und Sinn fürs Absurde seit einigen Jahren auf die Bühne, im Programm "Blind Date" beispielsweise, ebenso wie Okan Seese, der als Deutschlands einziger tauber Stand-up-Comedian gilt oder wie Tan Caglar, der mit seinem Programm "Rollt bei mir" bundesweit bekannt wurde und als Schauspieler, Model oder Moderator erfolgreich ist.

Auf die Bühne zu gehen, war auch eine Therapie für sie, mit ihrer Situation klarzukommen und der Versuch, mit Humor Barrieren zu überwinden. Keine leichte Challenge: "Also in einer  Situation, in der man gesellschaftlich gesehen erstmal in einer traurigen Situation steckt,  andere Menschen zum Lachen bringen zu wollen, ist ein sehr harter Job", sagt Tan Caglar.

Tan Caglar trifft für seine Challenge auf einem Leipziger Campingplatz ein und verwickelt erstmal den Chef ins Gespräch. Bildrechte: MDR/Sonja Bald

Die drei Comedians kennen sich aus der Szene, ein gemeinsamer Auftritt, so wie in "Olafs Klub", ist dennoch eher die Ausnahme, erklärt Tan Caglar: "Normalerweise ist man immer der einzige Quotenbehinderte." Beim Warm Up stellt Olaf Schubert als "The sächsisch Godfather of Ulk" die zunächst etwas unsensibel wirkende Frage: "Wer hat eigentlich die geilste Behinderung?"

Timur Turga findet solche "Schubladen" oder Versuche zu vergleichen, zwar merkwürdig: "Vergleiche wie 'Sei froh, dass du nicht taub bist. Als wäre das so ein Wettbewerb." Ist Humor, wenn man trotzdem lacht? Die Grenze dessen, was lustig ist, bestimmt er wie Tan Caglar und Okan Seese lieber selbst, er meint: "Es kommt auf die Haltung an. Ich kann schon ganz gut einschätzen, ob jemand einen Witz abwertend meint oder nicht."

Blind Date am Grill: Messer, Feuer, Steak

Timur Turga, Tan Caglar und Okan Seese steigen jedenfalls einfach mal drauf ein, auf die Frage, mit ihrer "behinderten Comedy Challenge", die eine Menge komischer Momente hat, sich aber außerdem als alltagsnah und erhellend erweist. In der Grill-Akademie bei Andi, der Timur Turga seine Lifehacks zeigt, mit dem "Krallengriff" eine Olive und nicht die eigenen Finger klein zu schneiden, Lachs oder Steak auf den Grill zu hauen – und rauszufinden, ob das Fleisch noch "rare" oder schon medium ist. Als Timur das Gegrillte vom silbrigen Metalltisch auf die weißen Teller manövriert, lernt Andi – und auch der Zuschauer: "Die Farben verraten mir super viel, die Kontrastunterschiede. Das heißt, ich muss eigentlich nur 'die Farben' von A nach B bewegen."

Rare oder schon medium? Timur Turga hat von Andi einen heißen Tipp bekommen, wie er das Steak auf dem Grill testen kann. Es ist nicht so simpel, wie man annehmen könnte.Bildrechte: MDR/Sonja Bald

Ich bin so ein MacGyver, Junge.

Timur Turga, Comedian

Angst, dass Taubheit ansteckend ist?

Geroasted werden auch seine beiden Comedy-Kollegen: Tan Caglar wird losgeschickt, um allein ein Zelt aufzubauen – was sich für ihn "wie eine Sozialstrafe" anfühlt, weil er Campen hasst. Die Suche nach seiner Parzelle auf einer Wiese ist die Challenge vor der Challenge: "Beschissener als Wiese ist für uns Rollstuhlfahrer nur noch Sand."

Okan Seese baut sich mit Profi Heike am Flohmarktstand auf, solo soll er binnen zwei Stunden 50 Euro einnehmen. Er weiß aus Erfahrung: Mit Kundschaft, die Gebärdensprache beherrscht, ist eher nicht zu rechnen. Er muss irgendwie aufmerksam auf sich machen und seine zehn Finger nutzen, um die Preise anzuzeigen. Er muss sächselnde Lippen, lächelnde oder verschlossene Gesichter lesen. Schon das braucht höchste Konzentration. Einem Kunden scheint sein Gestikulieren als Versuch, zu kommunizieren, unangenehm. Fast so, als hätte er "Angst, dass Taubheit ansteckend ist", kommentiert Tan Caglar, der sich Okans Challenge ausgedacht hat.

Okan Seese im Einsatz auf dem Flohmarkt mit Heike.Bildrechte: MDR/Sonja Bald

Manchmal fühle ich mich wie ein Geist.

Okan Seese, Comedian

Richtig roasten auf dem Campingplatz

Tan Caglar dreht den Spieß einfach um. Auf dem Campingplatz lässt er alle, die Michael heißen, für sich arbeiten. Heißt: den Zeltplatz-Chef und den Nachbarn in spe, der ihn bei seinem Kampf mit dem Zelt vom Camper aus schon länger beobachtet: "Ich habe seine Blicke gespürt." Michael 2 kann gar nicht anders, als Tan zu ihm sagt: "Eigentlich brauche ich keine Hilfe, aber wenn du einmal kurz gucken könntest. Mein Praktikant – Michael 1 – hat hier alles durcheinander gebracht." Inklusion ist keine Einbahnstraße.

So richtig keinen Bock hat Tan Caglar auf seine Challenge: ein Zelt aufbauen, einfach weil er am Camping fast alles hasst.Bildrechte: MDR/Sonja Bald

Challenge: Respekt!

Tan Caglar räumt ein, selbst in Deutschland gab es in den letzten zehn Jahren Fortschritte. Eine Challenge bleibt sie trotzdem. "Ich komme ja aus dem Sport und ich nehme sie jeden Tag an, um zu beweisen: 'Geht nicht, gibt's nicht'". Und: "Ich mache mir nicht so viele Gedanken darüber, was andere Leute von mir erwarten oder eben nicht erwarten. Sobald man in die Kommunikation kommt und sich austauscht, dann wird es entspannter."

Okan Seese würde sich freuen, wenn die alltägliche Kommunikations-Challenge nicht so eine einseitige Sache bliebe. "Es wäre toll, wenn auch hörende Menschen ein bisschen dazu lernen." Sie könnten was aufschreiben, Gebärden lernen, auf der Volkshochschule, sagt er. Auch die Anerkennung der DGS als Amtssprache wäre ein weiterer Schritt, Barrieren abzubauen, stellt er fest und merkt an: "Die Menschen werden älter, toi, toi, toi bleiben sie dabei gesund. Aber es gibt Unfälle oder so was wie einen Hörsturz durch zu viel Stress, und dann vielleicht mal die Situation, wo man nicht mehr sprechen und hören kann." Er wünscht sich einen "Paradigmenwechsel" im Umgang mit Behinderungen allgemein.

Eine gelbe Blinden-Binde wird Timur Turgan auch künftig nicht tragen, um ins Bild zu passen. Die würde ihm anders als der weiße Stock auch nicht wirklich helfen, Barrieren zu erkennen. Die Grill-Challenge mit Andi war für ihn, jetzt da er alleine in einer Wohnung lebt und zu oft Lauchcremesuppe oder Pizza gegessen hat, eine echte lebenspraktische Erfahrung: "Ich habe sonst ja oft Angst, aber da stand ich mit Andi, der echt einen guten Humor hat, an diesem Grill und war total glücklich." Eine Angst hat er jetzt nicht mehr: "Fleisch zu essen, was nicht richtig durch ist." Denn er kennt einen neuen Lifehack ...

Lifehacks sind das eine. Was den Alltag auch sehr erleichtern würde: ein bisschen mehr Respekt. Behinderungen sucht sich keiner aus wie ein Kostüm.

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