Kinder und Familien als Influencer: Wo hört Privatsphäre auf und fängt das Business an?
- Eine Petition macht auf der Thema Ausbeutung und psychische Belastung durch die Vermarktung von Kinderfotos im Internet aufmerksam.
- Kinderschutzexperten betonen das Recht auf Privatsphäre, Einwilligung und Beteiligung der Kinder, wenn Eltern sie bei Social Media zeigen.
- Toyah Diebel, selbst Influencerin und Mutter, fordert Medienkompetenz als Schulfach, um verantwortungsbewussten Umgang mit Bildern zu stärken.
Die Welt der Influencer ist längst auch zu unserer Welt geworden. Sie umgeben uns, tagtäglich, mit ihrem Alltag, ihrem (Luxus-)Shopping, ihren Rezepten, ihren Empfehlungen, ihren Einrichtungs- und Deko-Ideen. Die Liste ist nahezu endlos. Influencer-sein ist ein Beruf, der Moderation, Fotografie, Videoschnitt, Dramaturgie, Werbewirtschaft, Modelling und nicht selten auch Schauspiel vereint. Und Verhandlungen, Investitionen, Kommunikation und Buchhaltung; es ist ein selbstständiges Gewerbe.
Influencer vermarkten sich, ihre Reichweite und ihre Fähigkeit, eine bestimmte Zielgruppe authentisch ansprechen und somit erreichen zu können. Das gilt für Erwachsene – und Kinder. Und zwar vice versa: Kinder und Jugendliche sind als kaufkräftige Zielgruppe und Zuschauer interessant, aber auch als sogenannte Creator, also diejenigen, die für die Bilder und Inhalte "verantwortlich" sind.
Kinder stehen deshalb seit vielen Jahren vor der Handykamera, entweder vor der eigenen als Kids-Influencer oder der Kamera der Eltern im Rahmen des Family-Influencings. Sie machen somit das, was erwachsene Influencer auch tun: lächeln, posieren, werben; Fremde am eigenen Leben teilhaben lassen.
Werbung, Tanzen, Story-Time – ist das Arbeitszeit?
So weit, so gut, könnte man meinen. Eltern und Kinder verdienen Geld mit ihrem Alltag, mit "ein paar Videos", "mal eine Story hier, mal eine Story da". Die berühmtesten Vertreterinnen hierfür sind Sarah Harrison oder Anna Maria Damm, die ein Millionenpublikum erreichen. Kindergeburtstag, Friseurbesuch, Kleidung anprobieren, alles mögliche wird von Familieninfluencern gepostet.
Das Bespielen verschiedener Kanäle kann allerdings sehr zeit- und arbeitsintensiv sein, auch (oder vor allem) für Kinder. Und für Kinderarbeit gelten in Deutschland Regeln, die im Jugendarbeitsschutzgesetz festgeschrieben sind. Dort steht unter anderem, dass Kinder unter 15 Jahren nur in Ausnahmefällen und nur zu bestimmten Uhrzeiten arbeiten dürfen.
Aber: Werden die Gesetze auch eingehalten? Die Rechtsanwältin Olivia Alig schreibt hierzu in einem Artikel der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, im Kinder- und Jugendmedienschutz bestehe eine Herausforderung frei nach dem Motto: "Wo kein Kläger, da kein Richter".
Familienrichterin Isabell Götz äußert die gleichen Bedenken. Sie sagt im Podcast "FamRZ" (Familienzeitschrift für das gesamte Familienrecht) im April dieses Jahres: "An Film-Sets, an denen auch Kinder arbeiten, gibt es beispielsweise Gesetze, die eingehalten werden müssen. Im Kinderzimmer ist nunmal niemand dabei."
Kinderhilfswerk: Recht auf Privatsphäre wird gefährdet
In Berlin wurde eine Petition beim Bundestag (Petition Nr. 172605) eingereicht, deren Initiatorin, Tiktokerin Annemarie Lehmkemper, eine Verschärfung der Gesetze hinsichtlich dem Zeigen und Nutzen von Videos und Fotos von Kindern fordert: "Kinder, welche früh im Internet gezeigt und vermarktet werden, können mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Opfer von Mobbing werden." Außerdem leide die Psyche unter dem Druck und das Verhältnis zwischen Eltern und Kind werde gestört, da Eltern teilweise auch die Rolle eines Arbeitgebers einnähmen, begründen sie ihre Forderung.
Lukas Glaser vom Deutschen Kinderhilfswerk war bei der Diskussion beim Petitionsausschuss in Berlin mit dabei. Er sagt im Gespräch mit MDR AKTUELL: "Es geht um vielfältige rechtliche Fragen. Mit Blick auf die für uns maßgebliche UN-Kinderrechtskonvention, sind vor allem das Recht auf Privatsphäre, das Recht auf Beteiligung und das Recht auf Freizeit und Spiel berührt. Je nach konkretem Einzelfall kann auch der Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung relevant werden."
Er bemerke, dass das Thema oft mit Verboten und Bevormundung assoziiert werde. Darum gehe es nicht. Vielmehr: "Dass Familien ihr Familienleben in einem bestimmten Rahmen zeigen wollen, ist normal und sollte nicht verurteilt werden. Das sollte aber nicht auf Kosten der Selbstbestimmung der Kinder gehen, die möglichst früh an der Entscheidung beteiligt werden sollten, wie und wo Fotos und Videos von ihnen in den Digitalen Raum gespült werden."
Harmlose Fotos können in Pädophilen-Netzwerken landen
Regeln müssten dabei dem Alter entsprechen, nur so könne man Schutz- und Befähigungsaspekte in Einklang bringen. Bei Kindern unter sieben Jahren sollte deshalb verboten werden, kommerziell-motivierte Bilder und Videos zu teilen. Zwischen zehn und zwölf Jahren sollten Kinder unbedingt mitentscheiden dürfen, welche Bilder online erscheinen, sagt Glaser.
"Seit Social Media so einen hohen Stellenwert in unserem Leben hat, wird Kindheit kommerzialisiert. Ich sehe das extrem kritisch, weil Kinder nicht mitentscheiden können, ob sie das wollen und welche Konsequenzen es hat", ist Toyah Diebels Haltung. Sie ist Unternehmerin und selbst Influencerin. Die 35-Jährige spricht über Mode, Mutter-sein und ist vielen Menschen bekannt, weil sie 2019 die Kampagne #DeinKindAuchNicht zum Thema Kinderfotos im Internet initiiert hat. Sie erklärt weiter: "Social Media ist ein Ort, der von Erwachsenen für Erwachsene gemacht ist. Kinder müssen hiervon kein Teil sein. Vor allem nicht weinend, nackt oder in Posen, die sexualisiert werden können."
Das sieht Lukas Glaser ganz ähnlich. Neben dem Alter der Protagonistinnen und Protagonisten komme es auch auf die Art der Fotos an. Manche Fotos seien aufgrund der Intimität schon für sich genommen und auch bei einem kleinen Publikum problematisch. Konkret: Schamvolle, verletzliche Momente. Andere Fotos würden ihr Risiko erst auf der Bühne des Digitalen Raums entfalten, wo vermeintlich harmlose Aufnahmen beispielsweise in Pädophilen-Netzwerken landen oder per KI manipuliert werden.
Medienkompetenz als Schulfach gefordert
Diebels Social-Media-Kampagne, die vor sechs Jahren veröffentlicht wurde, ist bis heute Thema, wie sie sagt. Auf verschiedenen Fotos waren Wilson Gonzalez Ochsenknecht und sie selbst abgelichtet, mit verschmierten Gesichtern, weinend oder auf dem Töpfchen. Darunter steht: So ein Bild würdest du nie posten? Dein Kind auch nicht. "Die Kampagne hat eine Diskussion in der breiten Gesellschaft ausgelöst. Das Thema war plötzlich in Talkshows, in den Medien, bei Elternabenden. Mir schreiben bis heute Schulleitungen, Kitas oder auch Eltern dazu, denen gar nicht klar war, was sie da tun."
Die Influencerin spricht sich seither dafür aus, das Problem als ein gesellschaftlich-politisches zu begreifen: "Das ist eine Bildungsaufgabe. Ab der frühesten Kindheit muss Medienkompetenz als Schulfach angeboten werden. Damit wir verantwortungsvoll mit Medien umgehen können." Es werde ihrer Ansicht nach allerdings immer drängender: "Wir dürfen uns nicht mehr so viel Zeit lassen. Denn wir wissen nicht mal ansatzweise, was diese Daten, die wir da so bereitwillig ins Internet stellen, in zehn oder in 20 Jahren bedeuten."
Die zahlreichen Probleme, von Arbeits- bis Datenschutz und Verletzung der Privatsphäre von Kindern, werden mittlerweile auch auf Bundesebene wahrgenommen, sagt Glaser vom Kinderhilfswerk. Und: Eltern seien normalerweise am Schutz ihrer Kinder interessiert. Das Thema bekomme daher zumindest immer mehr Aufmerksamkeit.
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