Wo die Brandmauer bröckelt
In der CDU gilt ein Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD. Doch in manchen Kommunen Ostdeutschlands bröckelt die Brandmauer. Recherchen von Report Mainz zeigen, wie weit die Positionen innerhalb der Union auseinandergehen.
Melanie Haller ist in Sorge: Das Kulturprogramm des Netzwerks für Demokratische Kultur im sächsischen Wurzen steht auf der Kippe. Es sei "wahnsinnig deprimierend", erzählt die Vereinsmanagerin. Veranstaltungen für das kommende Jahr seien bereits geplant gewesen, doch die Stadt habe dem Verein die Kulturraumförderung zum ersten Mal seit 20 Jahren versagt.
Anfang September lehnte der Wurzener Stadtrat ab, private Spenden an das Netzwerk weiterzuleiten - eine weitreichende Entscheidung. Denn diese wären aufgrund komplizierter Förderrichtlinien notwendig gewesen, um die überregionale Förderung in Höhe von 70.000 Euro zu erhalten. Das Brisante: CDU- und AfD-Vertreter stimmten gemeinsam gegen die Annahme der Spenden.
"Keinerlei Berührungsängste" in Wurzen
Haller erinnert sich noch gut an die Stadtratssitzung. Ein Zögern habe es nicht gegeben, sagt sie: "Es war wirklich komplett klar, die sind alle dagegen. Es war eindeutig zu sehen, dass es da keinerlei Berührungsängste zwischen der CDU und AfD gibt." Auf Fragen von Report Mainz antwortet der CDU-Stadtverband aus Wurzen nicht.
Seit 2018 gilt in der CDU ein Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD. Der Parteivorsitzende Friedrich Merz hat wiederholt betont: "Wir werden mit der Partei, die sich Alternative für Deutschland nennt, nicht zusammenarbeiten" - auch auf kommunaler Ebene nicht.
Obwohl die AfD in Sachsen als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft ist, wie auch in drei weiteren Bundesländern, finden sich weitere Beispiele gemeinsamer Politik. In Cottbus kam es zu einem gemeinsamen Antrag von AfD und CDU, um nur noch das Mindestmaß an Flüchtlingen aufzunehmen. In Dresden stimmte die CDU einem AfD-Antrag zu, eine Bezahlkarte für Asylbewerber einzuführen.
"Angesichts der Wahlergebnisse nicht zielführend"
Im Landkreis Bautzen kritisiert der CDU-Landrat Udo Witschas die Brandmauer offen. Er halte sie "angesichts der Wahlergebnisse für nicht zielführend", schreibt er dem ARD-Politikmagazin. Ein Foto aus dem Frühjahr zeigt ihn Arm in Arm mit dem AfD-Kreis- und Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse.
2022 schlossen sich im Landkreis Bautzen CDU-Kreisräte einem AfD-Antrag an, Integrationsleistungen für ausreisepflichtige Ausländer zu kürzen. Auch in diesem Jahr gab es gemeinsame Entscheidungen, unter anderem wurde einem örtlichen Demokratieprojekt die Förderung verweigert. Gestrichen wurde auf Antrag der AfD auch die Stelle der Ausländerbeauftragten - in geheimer Abstimmung. Ob auch die CDU zugestimmt hat, ist unklar.
Für den SPD-Kreisrat Gerhard Lemm ist die Nähe zur AfD auch bei anderen CDU-Kreisräten deutlich sichtbar: "Die AfD stellt einen Antrag. Und die CDU ist dann der Meinung: Doch, finden wir richtig - und stimmen dem zu", sagt er. Das erlebe man hier seit Jahren.
CDU-Landrat Witschas betont gegenüber Report Mainz, er arbeite nicht mit der AfD zusammen. "Vielmehr bespreche ich mich mit deren Mitgliedern in der Sache - wie mit jedem anderen gewählten Kreisrat auch." Ähnlich äußert sich auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Kreistag.
Gemeinsamer Antrag gegen Windenergieanlagen
Ein prominenter Gegner der Brandmauer ist der CDU-Politiker Manfred Kolbe, ehemals sächsischer Justizminister. Bis 2013 saß er im Bundestag, seit vergangenem Jahr ist er im Kreistag Leipzig. Im Oktober 2024 unterzeichnete er einen offenen Brief mit der Forderung, die CDU müsse auch mit der AfD reden.
Die Brandmauer hält er für falsch, sagt er im Interview mit Report Mainz. Er hat mit AfD-Kreisräten erst im Sommer einen gemeinsamen Antrag eingebracht und ist der Meinung: "Die, die ich da näher kennenlerne, das sind sicherlich Demokraten und keine Rechtsextremisten."
Die Einstufung des Verfassungsschutzes in Sachsen hält er für problematisch: "Es handelt sich um eine nachgeordnete Landesbehörde, wo also praktisch die Regierung ihre politischen Gegner als extremistisch einstuft und versucht, so aus dem Rennen zu nehmen." Erstaunliche Worte für einen ehemaligen CDU-Justizminister.
Konsequenzen für Brandmauerdurchbrüche
Wenn eigene Parteimitglieder so über den Staat sprechen, sei das ein "ganz schlimmes Alarmzeichen, dass auch in der Union einige wenige Kräfte versuchen, die Grundausrichtung der Partei zu zerstören", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter. Wichtig sei, dass sich die Union ihrer Wurzeln im Klaren sei, "christlichen, liberalen und sozialen und die haben mit einer Kooperation mit der AfD wirklich nichts zu tun".
Für Brandmauerdurchbrüche fordert er vom CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz deutliche Konsequenzen: "Er hat ja gesagt, wenn dies zur Regel wird, dann müssen die Menschen die Partei verlassen - und dann wird er sicherlich beim Wort genommen werden."
Auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel, der von 2009 bis 2014 Staatssekretär in einem SPD-geführten Landesministerium war, betont die Gefahr, in die die CDU bei einer Annäherung an die AfD laufe. "Die Gefahr ist, dass sich in der demokratischen Mitte Kräfte herausarbeiten, weil sie sagen: Eigentlich könnten wir mit den Extremisten gemeinsame Sache machen, weil wir sind die Stärkeren, wir sind die Klügeren, wir sind die Weitsichtigeren und wir werden das unter Kontrolle halten", sagt Schroeder.
Das sei aber ein Trugschluss und werde die Union nicht nur gefährden, sondern am Ende zerstören. "Das heißt, ein größerer Teil der Union wird das nicht mitmachen und dann wird es zu einem Schisma innerhalb der Union kommen", so der Wissenschaftler.
Eine bundesweite Umfrage zur Brandmauer beantwortet die Mehrzahl der CDU-Kreisverbände nicht. Report Mainz hatte die mehr als 300 CDU-Verbände aller Landkreise und kreisfreien Städte nach ihrer Position dazu gefragt. Nur 12 Prozent haben geantwortet. Von den wenigen, die geantwortet haben, stehen fast alle zum Unvereinbarkeitsbeschluss.
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