Freistaat Sachsen stellt "Mantrailer"-Programm ein
- Doktorarbeit wurde zum PR-Coup für die Polizei Sachsen
- Verwaltungsgericht macht Weg für Prüfung durch Universität Leipzig frei
- Kritiker wirft Doktorarbeit statistische Mängel vor
- Warum Fälle, bei denen die Hunde Beweismittel waren, trotzdem nicht neu aufgerollt werden
Die Polizei Sachsen hat ihr Programm zur Ausbildung sogenannter "Mantrailer"-Hunde eingestellt. Das bestätigte das Sächsische Innenministerium MDR Investigativ auf Anfrage. Die noch im Dienst der sächsischen Polizei befindlichen Hunde würden nicht mehr für Ermittlungs- oder Strafverfahren eingesetzt: "Die Hunde kommen ausschließlich zur Personensuche, wenn jede Hilfe gebraucht werden kann, in einem Zeitraum von 24 Stunden zum Einsatz", so Martin Strunden, Sprecher des Sächsischen Innenministeriums.
Wunderwaffe "Mantrailer"?
Zuvor hatte eine an der Universität Leipzig vorgelegte Doktorarbeit für Aufsehen gesorgt. Sie sollte zeigen, dass Personenspürhunde – sogenannte Mantrailer-Hunde – zuverlässig individuelle Gerüche aufspüren können, selbst nach Wochen und Monaten noch. Laut den Forschungsergebnissen von Studienleiter Leif Woidtke sollten die getesteten Hunde sogar DNA-Spuren erschnüffeln können.
Woidtke ist jedoch nicht nur Autor der Studie. Er ist auch Polizeidirektor und Dozent an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Und so wurden die Studienergebnisse schnell zum PR-Coup für die Polizei Sachsen. Für Strafverfahren hoffte man da schon auf ganz neue Möglichkeiten, um Täter zu überführen: "Möglicherweise können jetzt die Richter auf Grund dieser wissenschaftlichen Veröffentlichung tatsächlich einen höheren Beweiswert zumessen, als dies bisher geschehen ist", so Woidtke 2018 im Gespräch mit dem MDR.
Verwaltungsgericht Leipzig macht Weg für Prüfung der Studie frei
Schnell wurden Zweifel an den Ergebnissen laut. Die Uni prüfte die Doktorarbeit intern, fand jedoch keinen Grund zur Beanstandung. Doch die Zweifel blieben – und wurden lauter, so dass die Universität Leipzig sich gezwungen sah, die Studie erneut auf ihre Wissenschaftlichkeit überprüfen zu lassen.
Dagegen klagte Polizeidirektor Woidtke. Im September 2024 entschied zunächst das Verwaltungsgericht Leipzig und nach dessen Berufung auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht, die Klage abzuweisen. "Das Verfahren ist damit rechtskräftig beendet", so ein Sprecher der Verwaltungsgerichts Leipzig auf MDR-Anfrage. Woidtke selbst antwortete auf Fragen dazu nicht.
Universität Leipzig: Ständige Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird entscheiden
Für die Universität Leipzig bedeutet das, sie könnte nun mit der Überprüfung der Ergebnisse beginnen. "Die Ständige Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird in ihrer nächsten Sitzung das weitere Vorgehen zum Prüfverfahren festlegen", bestätigt eine Sprecherin der Universität MDR Investigativ.
Woidtke antwortete weder auf Fragen des MDR zur Einstellung des Mantrailer-Programms noch zur Kritik an seiner Doktorarbeit.
Die Ständige Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird in ihrer nächsten Sitzung das weitere Vorgehen zum Prüfverfahren festlegen.
Zweifel an Studienergebnissen
Zum PR-Desaster entwickelte sich der einstige PR-Coup für die Polizei Sachsen, als das Fachmagazin "Forensic Science International" Kritik an den Ergebnissen der Leipziger Studie äußerte. In einer "Expression of Concern" hieß es damals: Die Studienzahlen legten die Vermutung nahe, es könnte manipuliert worden sein, ob absichtlich oder unabsichtlich. Einen Beleg dafür konnte das Magazin nicht liefern. Daher bat das Blatt die Leipziger Wissenschaftler um die Rohdaten der Studie und die Videos der einzelnen mit den Hunden gelaufenen Versuchspfade, um die Ergebnisse unabhängig überprüfen zu können.
Dieser Bitte sei nicht zugestimmt worden, mit Verweis auf den Datenschutz, wie es hieß. Das Fazit der Forensic Science International: "Dadurch können die Chefredakteure die Zweifel an der Validität der Methoden und Ergebnisse der Studie nicht ausräumen." Nach MDR-Informationen hat sich an dieser Einschätzung seither nichts geändert.
Weitaus deutlichere Worte findet der Umweltchemiker Kai-Uwe Goss vom Helmholtz-Institut für Umweltforschung in Leipzig. Seit zehn Jahren gehört er zu den schärfsten Kritikern der Arbeit Woidtkes. Woidtkes Doktorarbeit wirft er statistische Mängel vor. Goss beschäftigt sich seit 2000 mit Spürhunden und erinnert sich im Gespräch mit dem MDR, wie er 2014 mit Woidtke eine Zusammenarbeit zum Thema "Mantrailer" plante.
"Die ersten ernsten Bedenken kamen mir dann, als ich diese Hunde dann mal eingeladen habe, hier auf dem Gelände (des Helmholtz-Instituts - Anm. der Red.) ein paar Tests zu laufen, weil ich das einfach mal selbst testen und mich nicht nur auf die Tests von anderen verlassen wollte." Die damalige Vorzeigehündin habe bei Aufgaben vollkommen versagt, die nach Aussage der Polizei eigentlich zum normalen Arbeitsspektrum der Hündin hätten gehören müssen. "Da hat sie überhaupt nichts geleistet und am Schluss sind mir dann noch ganz komische Erklärungen [dafür] geliefert worden."
Neuartige Beweismittel: Forderung nach besserer Überprüfung
In wie vielen Ermittlungs- oder Strafverfahren die sächsischen Mantrailer eingesetzt wurden, ist bislang nicht bekannt. Fest steht nur: Es waren einige spektakuläre Fälle dabei, so zum Beispiel Ermittlungen zur rechtsextremen Terrorzelle NSU oder zum Einbruch ins Grüne Gewölbe. Einer der Strafverteidiger in diesem Verfahren: der Dresdner Rechtsanwalt Andreas Boine, der auch Vorsitzender der Sächsischen Strafverteidigervereinigung ist.
Sein Fazit ist eindeutig: "Man konnte diese Einsätze überhaupt nur durchführen, wenn man einen Verdächtigen hatte, eine Geruchsprobe abnehmen konnte und mit dieser Geruchsprobe hat man den Hund dann zu dem Tatort geführt und hat ihn scheinbar erspüren lassen, ob die betreffende Person mal an dem Tatort gewesen ist. Also es hat immer einen Verdacht vorausgesetzt. Es war immer ein Mittel, das nur dazu geeignet war, einen Verdacht scheinbar zu bestätigen."
Fälle werden wohl nicht neu aufgerollt
Müssen nun Fälle, bei denen die Mantrailer-Hunde als Beweismittel dienen sollten, neu aufgerollt werden? Strafverteidiger Boine bremst die Erwartungen: "Die Konstellation, dass sich im Nachhinein ein Beweismittel als völlig untauglich erweist, ist in der Strafprozessordnung so nicht vorgesehen." Und so dürften Fälle, in denen die Mantrailer als Beweisverfahren eingebracht wurden, geschlossen bleiben.
15 Jahre lang galten die Mantrailer als Wunderhunde – nun ist dieses Kapitel in der sächsischen Polizei beendet.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke