Wie steht es um die deutsche Einheit?
Deutschland feiert 35 Jahre Wiedervereinigung. Bundestagsvizepräsident Ramelow plädiert dafür, die Identifikation Ostdeutscher mit dem Staat zu stärken. Damit hat er eine Debatte über die innere Einheit angestoßen.
"Einigkeit und Recht und Freiheit" - mit Überzeugung singt Bodo Ramelow die dritte Strophe des Lieds der Deutschen. Vor wenigen Wochen sorgte sein Vorschlag einer Volksabstimmung über Hymne, Flagge und Verfassung für heftige Kritik.
In einem Interview sagte der aus Niedersachsen stammende Ex-Ministerpräsident von Thüringen, viele Ostdeutsche fremdelten mit dem System. Eine Aussage, die der Linken-Politiker inzwischen sogar erweitert: "Dieses Fremdeln, von dem ich spreche, ist ein Fremdeln von Ost über West und West über Ost."
Eine Volksabstimmung über eine gesamtdeutsche Verfassung nach Artikel 146 des Grundgesetzes könne helfen, das Fremdeln zu überwinden, hofft Ramelow.
Transformationserfahrungen in Ostdeutschland
Widerspruch kommt von Elisabeth Kaiser, der Ostbeauftragten der Bundesregierung. Die aus Gera stammende SPD-Politikerin verweist auf die jährliche Studie Deutschland-Monitor: "Grundsätzlich muss man sagen, finden die Ostdeutschen, gleich wie die Westdeutschen, die Demokratie als Staatsform in unserem Staat gut. Da sind hohe Zustimmungswerte."
Kaiser weiß aber auch um das Misstrauen vieler Ostdeutscher staatlichen Institutionen gegenüber. Ursache dafür seien die tiefgreifenden Umbrüche im Leben fast aller nach dem Ende der DDR: "Das hat die ganze Generation, die damals im Erwerbsleben stand, geprägt - und auch deren Kinder und Kindeskinder. Und das ist das ostdeutsche kollektive Gedächtnis, mit dem man umgehen muss."
Von Transformationserfahrungen spricht auch die in Leipzig aufgewachsene CDU-Abgeordnete Christiane Schenderlein. Die Ministerin für Ehrenamt und Sport sagt, sie könne keine fehlende Identifikation der Ostdeutschen mit der Gesellschaft ausmachen. Dennoch sieht sie Unterschiede: "Es gibt sicherlich Diskussionen, die wir in Ostdeutschland stärker führen."
Das habe unter anderem damit zu tun, "dass wir eine andere Geschichte erlebt haben. Insgesamt 50 Jahre Diktaturerfahrung - erst der Nationalsozialismus, dann die SED -Diktatur - haben Spuren hinterlassen bei den Menschen."
Ost-West-Debatte nimmt wieder Fahrt auf
Schenderlein beobachtet, dass die Ost-West-Debatte wieder an Fahrt aufnimmt. Das dürfte auch an den Wahlerfolgen der AfD im Osten liegen. Der aus Ostsachsen stammende AfD-Co-Parteichef Tino Chrupalla ist sich sicher: "Eigentlich ist Ostdeutschland nicht bloß vom politischen Spektrum, auch was die Wahlergebnisse angeht, das Thermometer der Bundesrepublik. Die Probleme, die es im Osten heute gibt oder gab, die wird es morgen auch in West-Deutschland geben."
Aber gibt es das von Ramelow beklagte Fremdeln? "Dieses Fremdeln würde ich nicht sagen, aber ich wünsche mir in den Debatten, dass man Ostdeutsche wesentlich mehr einbezieht", sagt Chrupalla.
Mehr miteinander sprechen - das wünscht sich auch die CDU-Frau Christiane Schenderlein: "Auch vielleicht auch in Regionen mal zu reisen. Und gerade auch der Tag der deutschen Einheit bietet sich ja auch dafür an, vielleicht mal die eine oder andere Reise sowohl nach Westdeutschland als auch nach Ostdeutschland zu unternehmen, um weiter zusammenzuwachsen, vielleicht auch an den Stellen, wo es dann doch noch mal kleinere Vorbehalte gibt."
Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen
Auf regionale Eigenheiten verweist die Ostbeauftragte Elisabeth Kaiser: "Unsere Vielfalt macht ja auch unser Land aus. Und ich glaube, auch verschiedene Perspektiven und Erfahrungen bereichern uns ja auch, wenn wir gerade mit neuen Herausforderungen umgehen müssen."
Auch Bodo Ramelow erkennt Unterschiede zwischen Ost und West an, hält aber weiterhin an der Idee einer Volksabstimmung über eine Verfassung fest: "Das haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes uns ins Stammbuch geschrieben. Und um diesen Akt werden wir bis heute, finde ich, willkürlich betrogen."
Die Debatte zeigt: Auch nach 35 Jahren ist der Prozess der Wiedervereinigung noch nicht abgeschlossen.
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