• Sachsen-Anhalt testet ein Konzept, das es ähnlich vor 40 Jahren schon einmal gab.
  • Sachsen setzt in seinen Schulen auf Praktika und digitale Lerntage.
  • In Thüringen bleibt es beim "Tag der Praxis".

Es ist Mittwoch. Lennox Schmidt ist diesen Morgen ab 7:30 Uhr im Wohnpark in Wolmirstedt unterwegs. Dort kümmert sich der Schüler um ältere und pflegebedürftige Menschen. Er weckt sie, verteilt Frühstück und hält hier und da einen Plausch. Lennox Schmidt ist 13 Jahre alt und besucht eigentlich die Sekundarschule im benachbarten Zielitz. Aber einen Tag pro Woche verbringt der Achtklässler nicht in der Schule, sondern in der Einrichtung des Pflegedienstleiters Humanas.

Die Inhalte und Erfahrungen bei den Lerntagen werden dokumentiert.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Diesen sogenannten Praxislerntag bietet die Schule seit gut zwei Jahren an. Dabei besuchen die Schülerinnen und Schüler der achten Klassen ein Halbjahr lang Unternehmen in der Region. Kerstin Ahlers ist die Leiterin der Schule. Sie sieht in dem Modell nur Vorteile. Es motiviere die Schüler, denn sie könnten das, was sie in der Schule lernen, in der Praxis anwenden, sagt sie. Außerdem stärke so ein Tag in einem Betrieb ihr Selbstbewusstsein.

Zehn Schulen beteiligen sich am Modellunterreicht

Das Konzept vom Praxislerntag ist nicht ganz neu. Auf dem Stundenplan der Schulen in Ostdeutschland standen über viele Jahrzehnte sogenannte Unterrichtstage in der Produktion. Auch damals ging es unter anderem darum, Schülerinnen und Schülern einen Einblick in die Arbeitswelt zu geben. Heute geht es daneben auch darum, vereinfacht gesagt, den Stundenplan zu optimieren. Es fehlen ausreichend Lehrerinnen und Lehrer. Und da sollen – so beschloss es die Landesregierung von Sachsen-Anhalt vor etwa drei Jahren – neue Unterrichtsmodelle Abhilfe schaffen.

Aktuell beteiligen sich zehn Einrichtungen im Land an dem Projekt, darunter sechs Sekundarschulen und vier Gemeinschaftsschulen. Eine dieser "neuen" Ideen ist das sogenannte 4+1-Modell. Dabei gehen die Schülerinnen und Schüler wie bisher vier Tage in die Schule und haben Unterricht. Der fünfte Tag kann für Schüler der 5. und 6. Klassen als Praxislerntag in der Schule oder ab der 8. Klasse in einem Unternehmen absolviert werden. Eine der Schulen nutzt ihn für die 7. Klasse auch als digitalen Lerntag von zu Hause aus.

Lennox bespricht seine Erfahrungen mit der für ihn zuständigen Mentorin aus dem Unternehmen sowie dem zuständigen Lehrer seiner Schule.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch die beteiligten Unternehmen profitieren vom Lerntag in der Praxis. "Der größte Vorteil ist wirklich, dass wir den Schülerinnen und Schülern ein Bild der Pflege vermitteln können, wie es einfach wirklich ist", sagt Humanas-Geschäftsführer Fabian Biastoch in Wolmirstedt. Es sei schön zu sehen, wie die jungen mit den älteren Menschen umgehen. Humanas habe zwar keine allzu großen Sorgen, ausreichend Pflegepersonal zu bekommen, aber der Kontakt zum Nachwuchs sei sehr hilfreich. Lennox Schmidt selbst hat großen Respekt vor seiner Ausgabe. "Der Job ist schwierig und manchmal auch sehr emotional", sagt der Schüler. Nach der Schule möchte er allerdings nicht in der Pflege arbeiten. Er will zur Bundeswehr – das stand bei ihm schon vor dem Halbjahr mit Praxislerntag fest.

Noch offen, wie es in Zukunft weitergeht

Dass die Schule mithilfe des 4+1-Modells wirklich Stunden von Lehrkräften einspart, sieht Schulleiterin Kerstin Ahlers nicht. Die Organisation der Praxislerntage mit den Absprachen der Betriebe, der Eltern und Schülern benötige sehr viel Zeit. Ein Lehrer der Schule sei für das Projekt verantwortlich und kümmere sich neben den organisatorischen Dingen auch um die inhaltliche Begleitung der Schüler. Viel mehr Entlastung sei durch die Seiteneinsteiger gekommen – und, dass die Schule in 80 Minuten-Blöcken unterrichte und nicht mehr in herkömmlichen 45-Minuten-Einheiten. Diese Umstrukturierung helfe den Lehrkräften, sich effizienter vorzubereiten.

Wie es in Sachsen-Anhalt mit dem 4+1-Modell weitergehen soll, ist noch nicht klar. Laut Bildungsministerium hatte sich ein Großteil der Beteiligten gewünscht, dass es weitergeführt werden soll. Auch darum erlaubte das Land zehn Schulen bis zum Ende des Schuljahres 2025/26 die Fortführung. Eine Umfrage unter den Lehrerinnen und Lehrern hatte gezeigt, dass sich durch die Projektarbeit mehr Möglichkeiten für die pädagogische Beobachtung der Schüler ergaben. Auch die Kommunikation innerhalb des Kollegiums habe sich dadurch verbessert.

Sachsen setzt auf Praktika und digitale Lerntage

In Sachsen gibt es ein anderes Konzept. Dort können Schulen das bisherige zweiwöchige Schülerbetriebspraktikum in den Klassenstufen sieben bis zehn in einzelne Praxistage über mehrere Wochen verteilt umwandeln. Wie genau die zehn Tage aufgeteilt werden, wird in den Schulen von der Schulkonferenz geregelt, teilt ein Sprecher des Bildungsministeriums mit.

Außerdem gibt es in Sachsen das sogenannte digitalgestützte Selbstlernen – seit diesem Schuljahr ausgeweitet auf alle Oberschulen, Gymnasien, Gemeinschaftsschulen und Berufliche Schulzentren. Das Modell soll mit 15 Unterrichtsstunden pro Schuljahr in zwei Klassenstufen (empfohlen 7. und 8. Klasse) starten. Auch hier entscheidet die Schule über die genaue Umsetzung, etwa ob die digitale Lernzeit zu Hause oder unter Aufsicht in der Schule stattfindet. Für die Entscheidung spielten unter anderem die Kompetenzen und das Alter der Schülerinnen und Schüler eine Rolle, so das Bildungsministerium. "Eine Durchführung im häuslichen Umfeld ist nicht Ziel der Einführung des digitalgestützten Selbstlernens." 

Darüber hinaus wird im aktuellen Schuljahr an 20 Schulen im Freistaat getestet, wie sich über die 15 digitalen Lernstunden hinaus zwei zusätzliche digitale Stunden pro Woche auf den Unterricht auswirken. "Daraus sollen weitere Erkenntnisse zur Implementierung des digitalgestützten Selbstlernens gewonnen werden."

Laut Ministerium hat Sachsen bei der Erprobung der neuen Unterrichtsformen ein anderes Ziel als Sachsen-Anhalt. "Sachsen-Anhalt fokussiert die Unterrichtsabsicherung. Das digitalgestützte Selbstlernen in Sachsen zielt auf die Unterrichtsentwicklung", teilt ein Sprecher mit. Eine Bilanz der Tests soll im Freistaat in etwa einem Jahr gezogen werden.

Thüringen bleibt beim "Tag der Praxis"

In Thüringen werden derzeit keine neuen Unterrichtsmodelle getestet. Auch die Einführung des sogenannten 4+1-Modells sei aktuell nicht geplant, sagt ein Sprecher des Bildungsministeriums. Gegen den Lehrermangel und den Ausfall von Unterrichtsstunden wirbt der Freistaat üblicherweise um Lehrkräfte und hat etwa die Kapazitäten beim dualen Studium erhöht, um mehr Nachwuchs zu bekommen.

Außerdem können Schulen die Möglichkeiten des sogenannten Distanzunterrichts nutzen. Dabei lernen die Schüler in räumlicher Trennung von Lehrerinnen und Lehrern – ähnlich den digitalen Lerntagen in Sachsen. Voraussetzung dafür ist allerdings ein pädagogisches Konzept, dass von der jeweiligen Schulkonferenz bestätigt wurde. Der Distanzunterreicht kann ab der 5. Klasse hybrid in der Schule oder auch von zu Hause aus durchgeführt werden.  

In Thüringen gibt es mit dem "Tag in der Praxis" ein laut Ministerium erfolgreiches und auch preisgekröntes Projekt zur beruflichen Orientierung von Schülerinnen und Schülern an Regel- und Gemeinschaftsschulen. Der Praxistag ist Gewinner des Deutschen Fachkräftepreises 2025 in der Kategorie "Innovatives Netzwerk". Der Tag ist als Gemeinschaftsprojekt der Agentur für Arbeit Thüringen Nord mit den Kammervertretern der Region und dem Staatlichen Schulamt Nordthüringen entstanden. Er wurde mittlerweile auf insgesamt rund 90 Schulen in ganz Thüringen ausgeweitet.

Abfedern von Unterrichtsausfall nicht primäres Ziel

Beim "Tag in der Praxis" geht es um die berufliche Orientierung der Schüler – in insgesamt vier Berufsfeldern. Die Schülerinnen und Schüler starten mit den Praktika jeweils im zweiten Halbjahr der 8. Klasse und durchlaufen innerhalb eines Jahres vier Unternehmen ihrer Wahl an einem festgelegten Schultag in der Woche. "Schülerinnen und Schüler erleben so hautnah den Alltag in den Unternehmen und sind somit besser auf den Übergang von der Schule in das Berufsleben vorbereitet", sagt der Ministeriumssprecher. Die Unternehmen hätten die Möglichkeit, ihre Fachkräfte von morgen kennenzulernen. 

Der Tag in der Praxis sei ähnlich dem 4+1-Modell aus Sachsen-Anhalt. Allerdings ist auch in Thüringen wie in Sachsen das Ziel, damit nicht Unterrichtsausfall zu kompensieren, sondern praxisnahe Berufsorientierung zu geben.

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