Merkel erzürnt die Osteuropäer
- Merkel sagte in einem Interview in Ungarn, ein von ihr vorgeschlagenes Gesprächsformat mit Putin sei am Widerstand Polens und der Balten gescheitert.
- Ex-Staatsminister Michael Roth warf Merkel vor, mit ihren Aussagen osteuropäische Vorbehalte gegenüber Deutschland zu bestätigen.
- Osteuropa-Experte Stefan Meister kritisierte Merkels Aussagen, weil sie Russland-Verstehern Argumente lieferten.
Ein karges Studio, blanker runder Holztisch, Kaffeebecher, Wassergläser – und ein Exemplar von Angela Merkles Autobiographie auf Ungarisch. Eine dreiviertel Stunde stand die Altkanzlerin jetzt bei Partizán, einem linksliberalen Online-Medium, Rede und Antwort – auch dazu, ob und wie Russlands Angriff auf die Ukraine zu verhindern gewesen wäre.
Merkels erste These: Corona spielte eine Rolle. "Wenn man sich nicht treffen kann, wenn man nicht Auge in Auge die Meinungsunterschiede austragen kann, dann findet man auch keine neuen Kompromisse mehr. Videokonferenzen reichen nicht", meint Merkel.
Merkel: Polen und Balten lehnten Putin-Gespräche ab
Sie habe schon im Sommer 2021 – also rund ein dreiviertel Jahr vor dem russischen Einmarsch – gefühlt, dass Putin das Minsker Abkommen, das den Frieden in der Ukraine sichern sollte, nicht mehr ernst nahm.
Nach eigener Aussage forderten Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron deswegen ein neues Format, um als Europäische Union direkt mit Putin sprechen zu können: "Aber das wurde von einigen nicht unterstützt. Das waren vor allem die baltischen Staaten, aber auch Polen war dagegen, weil sie Angst hatten, dass wir keine gemeinsame Politik gegenüber Russland haben".
Ob solche Gespräche den Krieg hätten verhindern können – das sei Spekulation, ergänzte Merkel noch.
Merkel bestätigt Vorbehalte der Osteuropäer
Genau wie viele Osteuropäer hat Michael Roth für diese Sätze nur Kopfschütteln übrig. Der ehemalige SPD-Politiker war von 2013 bis 2021 Staatsminister im Auswärtigen Amt, also relativ dicht dran an der Kanzlerin.
Dass Corona in dieser Krise das Problem war – daran erinnert er sich nicht: "Davon habe ich noch nichts gehört. Ich bin ein bisschen überrascht über die Argumentation, weil die Schwierigkeiten und die Kontroversen viel tiefer liegen".
Roth verweist darauf, dass Balten und Polen schon längst von der bevorstehenden russischen Invasion in der Ukraine überzeugt waren – als in Deutschland noch diskutiert wurde, ob man den russischen Truppenaufmarsch wirklich ernst nehmen müsste.
Mit ihren Äußerungen bestätige Merkel jetzt die alten Vorbehalte der Osteuropäer. Nämlich: "Dass wir Deutschen schlicht und einfach unbelehrbar sind. Und dass wir schlicht nicht in der Lage sind, anderen, die ihre eigenen furchtbaren Erfahrungen mit russischem Imperialismus gemacht haben, zuzuhören".
Kritik an Merkels Russland-Politik
Auch Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik findet Merkels Äußerungen schwierig – schließlich habe die Altkanzlerin durch ihre Energiepolitik und den Bau von Nord Stream 2 Putin das Gefühl gegeben, dass er machen könne, was er wolle, da die Deutschen sowieso Gas kauften. "Da hat sie Putin das Gefühl gegeben, dass er angreifen kann und nichts wird passieren."
Das Problem mit Merkels Äußerungen, meint der Politologe: "Es ist Wasser auf die Mühlen von denjenigen, die sagen, dass die Nato und die USA Russland provoziert haben und Russland deswegen in die Ukraine einmarschieren musste, um Menschen zu töten, systematisch Infrastruktur zu zerstören." Dass Merkel denen Argumente liefere, hält Meister für problematisch.
Unterstützung kommt nur vom BSW
Und tatsächlich: Öffentliche Unterstützung erfährt Merkel vom Bündnis Sahra Wagenknecht. Dessen Vorsitzende Amira Mohammed Ali erklärte bei X, die ehemalige Kanzlerin habe nun bestätigt, dass Gespräche mit Putin möglich gewesen wären. Die Nato habe das sabotiert, behauptet die BSW-Politikerin. Und fordert echte Friedensverhandlungen – ohne darauf einzugehen, woran die bislang gescheitert sind.
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