• Studie: E-Scooter sind keine unsicheren Verkehrsmittel – Forscher fordern größere Räder und einen Führerschein.
  • Streitpunkt: Trotz vieler Kopfverletzungen wird keine Helmpflicht empfohlen.
  • So sind die Unfallzahlen in mitteldeutschen Städten.

Die meisten Unfälle mit E-Scootern sind Alleinunfälle, bei denen kein anderer Verkehrsteilnehmer beteiligt ist. In acht von zehn Fällen ist der Tretrollerfahrer der einzige Verletzte. Meist handelt es sich um leichte Verletzungen. Auch knapp die Hälfte aller E-Scooter-Unfälle mit Schwerverletzten und sehr seltenen Todesopfern passieren ohne weitere Beteiligte.

Das sind zentrale Ergebnisse einer großen Studie, die die Unfallforschung der Björn-Steiger-Stiftung vorgestellt hat. Aus Sicht der Forscher ist eine unzureichende Reifengröße vieler Scooter-Modelle ein wichtiger Faktor beim Unfallrisiko. Außerdem verstießen viele Scooter-Fahrer gegen die Straßenverkehrsordnung.

Daraus leiten die Studienautoren Forderungen nach einer Erhöhung der Mindestgröße der Räder an den Tretrollern ab sowie nach einem Führerschein für die Nutzung der im Straßenverkehr zugelassenen Modelle. Die häufig von Fußgängern oder Radfahrern geäußerte "gefühlte" Gefährdung durch E-Scooter halten sie für überzogen.

Die Untersuchung basiert auf Polizeidaten zu E-Scooter-Unfällen, Behandlungen in der Notaufnahme des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB) in den Jahren 2019 bis 2024 sowie Unfallsimulationen der Technischen Universität Berlin.

Was macht die Björn-Steiger-Stiftung

Die Björn Steiger Stiftung mit Sitz in Winnenden (Baden-Württemberg) wurde 1969 von Ute und Siegfried Steiger gegründet, nachdem ihr achtjähriger Sohn Björn bei einem Verkehrsunfall wegen zu später Nothilfe starb. Die Stiftung engagiert sich für die Verbesserung des Rettungswesens in Deutschland, initiierte unter anderem die Einführung der Notrufnummern 110/112, Gründung und Aufbau der Rettungsflugwacht (DRF) sowie die Einrichtung von Notrufsäulen an Bundes- und Landstraßen. Dazu kommen Projekte wie der Baby-Notarztwagen oder die Aktion Herzsicher. Mittlerweile arbeitet die Stiftung auch stark für Unfallprävention.

Unfallforscher fordern größere Räder für E-Scooter

Entgegen der vielfach geforderten Helmpflicht für E-Scooter sehen die Studienautoren eher bei anderen Punkten Handlungsbedarf: Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Björn-Steiger-Stiftung, spricht sich für größere Räder an E-Scootern aus. 45 Prozent aller Schwerverletzten und Getöteten seien Alleinunfälle, erläutert Brockmann MDR AKTUELL, ausgelöst meist durch Hindernisse im Straßenraum wie Bordsteine oder Unebenheiten auf der Strecke.

Und dabei spielt der Studie zufolge die Radgröße der Scooter eine zentrale Rolle: Bei den üblichen Acht-Zoll-Rädern (etwa 20 cm Durchmesser) könnten selbst kleine Hindernisse zu schweren Stürzen führen. Unfall-Simulationen zeigten, dass größere Raddurchmesser dieses Risiko deutlich senkten. Brockmann fordert für Neufahrzeuge, die Radgrößen auf mindestens 10 Zoll (25 Zentimeter) heraufzusetzen. Verleiher ruft er auf, das bei der Ersatzbeschaffung sofort umzusetzen.

Eine Unfallstudie für E-Scooter hält größere Raddurchmesser als Schutzmaßnahme für effektiver als eine Helmpflicht.Bildrechte: picture alliance/dpa/KEYSTONE | Anthony Anex

Die Forscher kritisieren auch, dass E-Scooter die einzigen Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr seien, für die man keinen Führerschein brauche. Nötig sei mindestens eine Moped- oder Mofa-Prüfbescheinigung. Polizeistatistiken belegten ein hohes Unfallrisiko bei Scooter-Fahrern durch die falsche Benutzung von Fahrbahnen (etwa Einbahnstraßen). Auch Alkohol spiele oft eine Rolle.

Bei Abbiegeunfällen der Scooter mit zwei oder mehr Beteiligten könnten der Studie zufolge alle Maßnahmen helfen, die auch bei Unfällen mit Fahrrädern diskutiert werden. Dazu gehören getrennte Ampelphasen, das Freihalten der Sichtachsen und eine bessere Erkennbarkeit der Wegeführung.

Empfehlungen: Führerschein und mehr Alkoholkontrollen

Die an der Studie beteiligten Forscher empfehlen:

  • Größere Räder: Brockmann kritisiert, dass die Radgröße in der derzeit in Abstimmung befindlichen Gesetzesnovelle für Elektrokleinstfahrzeuge keine Rolle spielt. Er fordert für neue Scooter einen Mindestdurchmesser von 25 Zentimetern.
  • Nachweis von Kenntnissen der StVO: Auch E-Scooter-Fahrer sollten, wie beim Mofa- oder Mopedführerschein, Kenntnisse der Straßenverkehrsordnung nachweisen. Damit würde das Mindestalter für Scooter-Nutzung automatisch von 14 auf 15 Jahre steigen.
  • Mehr Alkoholkontrollen: Bei verstärkten Polizeikontrollen an einschlägigen Orten sollte laut Brockmann viel öfter auch die sogenannte relative Fahruntüchtigkeit (0,3 Promille) geprüft werden.
  • Keine höhere Höchstgeschwindigkeit: Dringend warnt Brockmann davor, im Zuge einer EU-Harmonisierung das Höchsttempo für E-Scooter in Deutschland von 20 auf 25 km/h zu erhöhen. Die durchgeführten Simulationen zeigten, dass sich dann die Aufprallkräfte kritisch erhöhten.
  • Gleiche Verkehrsflächen für E-Scooter und Fahrrad: Die gesetzlich geplante Angleichung der Verkehrsflächen an das Fahrrad begrüßt Brockmann, da Unklarheiten und die falsche Nutzung (z.B. auf dem Radweg in die falsche Richtung fahren) einige der Hauptunfallgründe seien.
  • Helmpflicht bringt wenig: Für eine Helmpflicht für E-Scooter sieht die Studie keine ausreichende Argumentation.

Meist Kopfverletzungen – Streit um Helmpflicht

Die Daten der Unfallklinik Berlin bestätigen frühere Ergebnisse, wonach E-Scooter-Fahrer sich bei Unfällen überwiegend im Kopfbereich verletzen. Jedoch waren von insgesamt 322 Fällen im Untersuchungszeitraum nur acht dieser Kopfverletzungen schwer und eine davon lebensbedrohlich. Meist waren es Gesichtsfrakturen oder sie betrafen den Zahn-Kiefer-Bereich. Gegen solche Verletzungen bieten gängige Fahrradhelme nach Aussage der Studienautoren keinen wirksamen Schutz, seien aber dennoch zu empfehlen.

Denn es gibt auch lautere Rufe nach einer Helmpflicht: Seit 2020 werden bundesweit alle E-Scooter-Unfälle mit Schwerverletzten im Trauma-Register der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie erfasst, bis 2024 waren es 538 Schwerverletzte. Die weitaus häufigsten Verletzungen betrafen den Kopf, hier vor allem Schädelfrakturen und Hirnblutungen. Gut 80 Prozent wurden auf der Intensivstation behandelt, 26 Menschen starben. Fast jeder zweite verunglückte E-Scooter-Fahrende war jünger als 25 Jahre, 78 Prozent waren männlich.

Die Helmtragequote in Deutschland ist bei Leih-Scootern extrem niedrig, bei privaten Nutzern liegt sie bei 25 bis 30 Prozent. Biomechanische Simulationen zeigen, dass ein Fahrradhelm durchaus helfen kann. Eine Unfallstudie des Fraunhofer-Instituts kommt zu dem Schluss, dass ein Helm die maximalen Beschleunigungen auf den Kopf um bis zu 70 Prozent senken kann. Daraus und aus typischen Unfallmustern resultieren in der Debatte um schärfere Regeln für E-Scooter Forderungen wie:

  • eine allgemeine Helmpflicht und Bereitstellung durch Anbieter
  • digitale Nutzungseinschränkungen (z. B. Sperrzeiten nachts oder am Wochenende)
  • App-basierte Alkoholchecks vor dem Fahrtantritt

E-Scooter: Bestand, Technik und Regeln

  • Bestand: Laut Gesamtverband der Versicherungswirtschaft waren 2023 knapp eine Million E-Scooter in Deutschland unterwegs. Das war ein Anstieg um fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders stark wuchs der Bestand an privaten E-Scootern (+37% auf 780.000), während die Anzahl der Leih-Scooter nur um knapp ein Zehntel auf etwa 210.000 zunahm. Einer ADAC-Studie zufolge nutzen etwa 15 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren E-Scooter.
  • Technik: E-Scooter sind Tretroller mit Elektroantrieb. Das Bundesverkehrsministerium regelt die Nutzung von Scootern und Segways mit einer Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge (EKfV). Die Höchstgeschwindigkeit ist auf 20 km/h begrenzt. Die Nennleistung (Dauerleistung) ist auf 500 Watt beschränkt (0,68 PS). Die kurzzeitige Maximalleistung kann jedoch etwa 800 Watt erreichen, also mehr als ein PS. Unterschieden wird zwischen einfachen E-Scootern ohne Fahrerlaubnis im öffentlichen Raum und Modellen mit Zulassung für Radwege und Straßen. Letztere müssen unabhängige Bremsen vorn und hinten haben, einen Front- und Rückstrahler mit Schlussleuchte sowie eine Klingel. Sie benötigen eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE), Fahrer müssen eine Haftpflichtversicherung abschließen.
  • Regeln: Das Bundesverkehrsministerium schreibt Tempo 20 als Höchstgeschwindigkeit vor. Es wird kein Führerschein benötigt, jedoch ist ein Mindestalter von 14 Jahren für die Benutzung vorgeschrieben. Wenn möglich, sollen Radwege benutzt werden oder Seitenstreifen von Straßen. Auf Gehwegen und in Fußgängerzonen sind Scooter häufig verboten oder das Tempo muss ggf. bis auf Schrittgeschwindigkeit angepasst werden. Es gilt dieselbe Alkoholgrenze wie beim Autofahren. Eine Helmpflicht besteht nicht, es wird aber empfohlen, einen Helm zu tragen.

Statistik: Kein erhöhtes Risiko für Querschnittslähmungen

Facebook-Post vom 13. August mit der Aussage von Samuel Koch: "Die neue Nummer 1 für Querschnittslähmungen bei Jugendlichen sind E-Scooter."Bildrechte: Facebook/NDR

Für Aufsehen sorgte im Sommer eine Aussage des Schauspielers, Autors und Influenzers Samuel Koch, der seit seinem Unfall 2010 in der TV-Show "Wetten, dass..?" querschnittsgelähmt ist. Koch wird zitiert mit den Worten: "Die neue Nummer 1 für Querschnittslähmungen bei Jugendlichen sind E-Scooter." MDR AKTUELL hat bei Koch nachgefragt, welche Datengrundlage er dafür habe. Daraufhin räumte sein Vater ein, die Aussage beziehe sich auf einen Einzelfall und subjektiven Eindruck.

Auch Brockmann widerspricht klar einem angeblichen Zusammenhang zwischen E-Scooter-Unfällen und höheren Zahlen an Querschnittsgelähmten bei Jugendlichen. Dafür gebe es keinerlei Belege.

Die auf Querschnittlähmungen spezialisierte Klinik Bergmannstrost in Halle sieht ebenfalls keine Auffälligkeiten durch E-Scooter-Unfälle. Der Direktor des Zentrums für Rückenmarkverletzte, Klaus Röhl, teilte MDR AKTUELL mit, seine Erfahrungen deckten sich nicht mit der Aussage von Koch. In seiner Klinik sei noch nie ein Patient mit Querschnittlähmung nach Sturz mit einem E-Scooter behandelt worden. Hauptursachen für Rückenmarkverletzungen seien vielmehr Unfälle mit Fahrrädern und E-Bikes, mit Motorrädern oder auch Kopfsprünge in flache Gewässer.

Zahl der Unfälle mit E-Scootern steigt - Leipzig in Mitteldeutschland vorn

Die Zahl der E-Scooter-Unfälle mit Verletzten bundesweit ist im Jahr 2024 nach Polizeidaten auf knapp 12.000 gestiegen. Das ist ein Plus um etwa 2.500 oder gut ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr. Ähnlich sieht es beim Anstieg der Todesopfer von 22 auf 27 aus. Mehr als 1.500 Menschen wurden im vergangenen Jahr bei solchen Unfällen schwer verletzt. Fast 11.000 oder knapp 84 Prozent der Verunglückten waren die E-Scooter-Fahrer selbst, darunter alle 27 Todesopfer.

In den befragten mitteldeutschen Städten gab es in jüngster Zeit vergleichsweise wenig Schwerverletzte und keine Todesopfer bei Unfällen mit E-Scootern.

Wie die Polizei in Dresden MDR AKTUELL mitteilte, wurden von 2022 bis 2024 insgesamt 208 E-Scooter-Unfälle erfasst. Dabei gab es 145 Leicht- und 28 Schwerverletzte.
In Erfurt erfasste die Polizei in den letzten sechs Jahren insgesamt 83 Unfälle unter Beteiligung von E-Scootern, mit insgesamt 52 Verletzten, darunter sieben Schwerverletzte.
In Halle wurden laut Polizei in den vergangenen drei Jahren 148 E-Scooter-Unfälle erfasst mit insgesamt 135 Verletzten. Die Zahl der davon Schwerverletzten war in jedem Jahr einstellig.

Bis auf Leipzig mit steigender Tendenz (2024: 74 Unfälle) zeigten sich jedoch keine auffälligen Entwicklungen in den abgefragten Städten.

Fazit: Die Forderung nach größeren Rädern wäre mit Auflagen für Hersteller und Verleiher von E-Scootern verbunden. Einen Führerschein müssten die Nutzer bezahlen und eine Verpflichtung würde die Nutzerzahl beschränken. Außerdem sollte das dann konsequenterweise auch für alle Pedelecs und E-Bikes gelten. Eine Helmpflicht würde massiv ins Geschäftsmodell der E-Scooter-Verleiher eingreifen, da die Helme zusätzlich zum Roller bereitgestellt werden müssten.

MDR AKTUELL(ans)

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke