Taugt der Ostdeutsche Karneval zum immateriellen Kulturerbe?
- Eine Gemeinsamkeit der ostdeutschen Kanevalsvereine ist die Diktaturerfahrung in der DDR.
- Vor allem durch Freiwillige haben sich vielfältige Traditionen im ostdeutschen Karneval herausgebildet.
- Mit einer Aufnahme ins immatrielle Kulturerbe erhofft man sich mehr Wertschätzung für die Vereine.
Der Antrag zur Anerkennung als immatrielles Kulturerbe betone die Vielfalt des ostdeutschen Karnevals, sagte Juliane Stückrad MDR KULTUR. Die Ethnologin arbeitet in der Volkskundlichen Beratungsstelle in Thüringen und hat die Karnevalsverbände bei ihrer Bewerbung begleitet.
Was alle ostdeutschen Karnevalsvereine prägt, ist die Diktaturerfahrung.
Juliane Stückrad studierte in Leipzig Ethnologie und Kunstgeschichte. 2010 wurde sie im Fach Volkskunde an der Friedrich-Schiller-Universität Jena promoviert. Bildrechte: Susanne Schleyer Ostdeutscher Karneval und die DDR
Stückrad betonte als entscheidende Gemeinsamkeit die Diktaturerfahrung: "Was alle ostdeutschen Karnevalsvereine prägt, ist die Diktaturerfahrung und das Verhalten, auch die Widerständigkeit im Karneval zum SED-Regime."
Karneval im Osten Deutschlands sei älter als die DDR, erklärte Stückrad. Gerade Wasungen habe eine lange Tradition. Eine große Zahl Vereine sei allerdings in zwei Etappen in den 1950er- und 1970er-Jahren gegründet worden. "Also wir haben so einige sehr traditionelle, ältere Karnevalshochburgen und dann eben doch eine große Reihe an Neugründungen zur DDR-Zeit", schlussfolgerte Stückrad.
Der Karneval in Wasungen in Thüringen hat nicht nur eine lange Tradition, sondern ist auch heute noch der größte Faschingsumzug in Thüringen.Bildrechte: picture alliance/dpa | Bodo SchackowTraditionen im ostdeutschen Karneval
In der DDR waren die Karnevalsvereine laut Stückrad Zensur ausgesetzt: "Die Büttenreden mussten eingereicht werden, aber die Menschen hatten natürlich eine große Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen." Diese Kreativität setze sich bis heute fort, findet die Ethnologin. Büttenreden, Tänze und Wagen würden selbst von Laien in ihrer Freizeit gebaut, auch ein Unterschied zum professionalisierten Rheinischen Karneval.
Narren ziehen beim Historischen Karnevalsumzug in Wasungen mit einem aufwändig gestalteten Wagen durch die Straßen.Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael ReichelEine traditionelle Figur in Thüringen und Sachsen-Anahlt sei der sogenannte Erbsbär, erzählt Stückrad. Dabei wird einer Person am ganzen Körper Stroh befestigt und diese dann durch das Dorf geführt, um Gaben einzusammeln. Eine ähnliche Tradition sei das sogenannte Zampern in der Lausitz, bei dem ebenfalls Gruppen durch die Dörfer gehen, um Speck, Eier oder Schnaps zu erbitten.
Ein sogenannter Erbsbär wird bei einem Festumzug durch Glinde in Sachsen-Anhalt gezogen.Bildrechte: picture alliance / ZB | Jens WolfGeschichte des ostdeutschen Karnevals
Erwähnungen zum Karneval im Osten gibt es bereits 1391 beim "Unweisen Rat" im thüringischen Königsee oder bei einer Quittung von 1524 zu einem Fass Bier in Wasungen, ebenfalls in Thüringen.
Der Karneval im Osten hat seine historischen Wurzeln zwischen Hofkultur und Volksbrauch. Die Bräuche formten sich aus vorchristlichen Winteraustreibungsritualen, später auch im Umfeld höfischer Feste. So gab es an den Fürstenhöfen von Dresden, Weimar oder Gotha "Redouten" genannte Masken- und Tanzveranstaltungen.
Der rheinländische Karneval parodiert das Militär, wie man bei der Prinzen-Garde Köln 1906 e.V. erkennen kann.Bildrechte: imago images/Future ImageDiese höfischen Feiern wurden auf die Bevölkerung übertragen. Das unterscheidet den ostdeutschen vom rheinländischen Karneval, der eine Parodie auf das Militär sei, sagte der Präsident des Landesverbands Thüringer Karnevalvereine Christoph Matthes.
Gemeinsame Bewerbung ostdeutscher Karnevalsverbände
Für die Anerkennung des ostdeutschen Karnevals als immaterielles Kulturerbe hatten sich im Oktober fünf Karnevalsverbände gemeinsam beworben. Sie stammen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg/Berlin sowie Mecklenburg-Vorpommern.
Christoph Matthes ist der Präsident des Landesverbandes Thüringer Karnevalvereine und hat die Bewerbung zum immateriellen Kulturerbe beim Thüringer Kulturministerium eingereicht.Bildrechte: IMAGO/Future ImageSie wollen zeigen, "dass der Karneval im Osten mehr als nur Verkleidung, Tanz und Musik ist", sagte der Thüringer Karnevalspräsident Christoph Matthes. Die Thüringer Bewerbung wurde beim Thüringer Kulturministerium eingereicht, das sie an das bundesweite Verzeichnis weiterleiten soll, so Matthes weiter.
Bis zur endgültigen Entscheidung kann es bis zu zwei Jahre dauern. Das immaterielle Kulturerbe umfasst lebendige kulturelle Traditionen, von gesellschaftlichen Bräuchen und Festen über historisch gewachsene Handwerkstechniken bis hin zu lokalen Musik- und Tanzformen. Das bundesweite Verzeichnis führt derzeit knapp 170 Einträge auf.
Für das immaterielle Kulturerbe sei es ganz wichtig, was in der Gegenwart passiere, betont die Ethnologin Stückrad. Die Karnevalsverbände in den ländlichen Räumen seien wichtige Kulturakteure. Die Ethnologin hofft, dass mit einer Aufnahme des ostdeutschen Karnevals ins immaterielle Kulturerbe mehr Wertschätzung für die Vereine kommt. Sie leisteten einen entscheidenden Beitrag "für den Zusammenhalt in den Dörfern und Kleinstädten".
Quelle: MDR KULTUR (Gespräch mit Juliane Stückrad), rbb
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