• Wenn Rettungskräfte an Grenzen stoßen: Schwerstbehinderte müssen mit ihren Lebenshilfen gerettet werden.
  • Nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen – was dann?
  • Wie sich der Katastrophenschutz in Chemnitz auf große Notfälle vorbereitet.
  • ASB-Pflegeheim ist vorbereitet: Wir können hier 72 Stunden überleben.

Hochwasser, Stromausfall oder Feuer: Katastrophen können jederzeit und ohne Vorwarnung entstehen. Schon die Gesamtbevölkerung ist laut Studien nur unzureichend auf Krisen vorbereitet. Doch was ist mit Menschen mit schweren Behinderungen? Davon gibt es fast acht Millionen in Deutschland – mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen.

Wenn der Katastrophenfall eintreten sollte

"Für mich geht es dann darum, dass ich in den Rollstuhl komme", sagt Alexander Lösche über den Fall, dass er etwa bei einem Feuer aus seinem Zimmer evakuiert werden müsste. Lösche lebt in Chemnitz in der ersten Etage eines Wohnzentrums des Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) für körperlich schwerstbehinderte Menschen.

Für mich geht es dann darum, dass ich in den Rollstuhl komme.

Alexander Lösche

Der 47-Jährige kann ohne Hilfe nicht aus dem Bett in seinen hochspezialisierten Rollstuhl und ohne Fahrstuhl auch nicht weg. "Die Treppe ist keine gute Idee", sagt er und lächelt verschmitzt. Der Ernstfall ist nicht eingetreten, es geht hier nur um Pläne, die dann greifen sollen.

Wenn Rettungskräfte an Grenzen stoßen: Schwerstbehinderte und spezielle Hilfsmittel

Vermutlich müssten ihn Einsatzkräfte aus dem Gebäude tragen – allein, denn sein Rollstuhl wiegt mehr als 300 Kilogramm. Auf sein spezielles Gefährt ist er aber angewiesen. Nicht nur, um von einem Ort zum anderen zu kommen, sondern auch, damit sein Körper richtig gelagert und bewegt wird. Er könnte keine zwei Stunden auf einem normalen Stuhl sitzen.

Dort ist unser Problem. Im Ernstfall wird der Mensch gerettet.

Silvio WagnerASB-Einrichtungsleiter

"Dort ist halt unser Problem", sagt ASB-Einrichtungsleiter Silvio Wagner. "Im Ernstfall wird der Mensch gerettet." Dafür existiert ein speziell angefertigtes Brandschutzkonzept, welches kontinuierlich überarbeitet und mit der Feuerwehr Chemnitz abgestimmt wird.

Ziel ist: "Dass das Körperersatzstück oder der Rollstuhl auch als Rettungsmittel anerkannt werden." Damit bei einer Evakuierung auch die notwendige Lebenshilfe mitgenommen wird. Die dafür nötigen Informationen liegen in der Einrichtung vor und würden im Einsatzfall weitergegeben.

Manche Menschen können nicht evakuiert werden

"Aber es gibt Menschen, für die darf der Ernstfall eigentlich nicht eintreten", sagt Wagner. Ein Bewohner, der in der Einrichtung lebte, war an Muskeldystrophie (Muskelschwund) erkrankt. Für den Transfer aus dem Bett in den Rollstuhl benötigte dieser zweieinhalb Stunden und entsprechend geschultes Pflegepersonal. "Das sind noch so Blindstellen, wo die hochspeziellen Präventivmaßnahmen ziehen müssen, die in Katastrophen- und Brandschutzkonzepten definiert sind."

Nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen – was dann?

Doch viele Menschen mit Behinderung leben nicht in dafür spezialisierten Einrichtungen, wo die Mitarbeiter wissen, welche Bedürfnisse, welcher Bewohner hat. Von den knapp zehn Prozent der gesamten Bevölkerung, denen laut Statistischem Bundesamt Ende 2023 ein Behinderungsgrad von mindestens 50 anerkannt worden ist, lebt ein großer Teil in einer eigenen Wohnung.

Dabei ist den Einsatzkräften von Feuerwehr, Polizei oder auch Katastrophenschutz bei einer Evakuierung eines Mehrfamilienhauses meist nicht bekannt, welche Bewohner welche Einschränkungen haben – ob jemand nicht hört, nicht spricht oder nicht laufen kann.

Barrierefreie Notfallwarnungen fehlen oft – mit lebensgefährlichen Folgen

"Im Katastrophenfall ist das Sterberisiko für Menschen mit Behinderungen bis zu viermal höher als für Menschen ohne Behinderungen", warnt das Deutsche Institut für Menschenrechte. Als Gründe nennt die Organisation unter anderem, dass Katastrophenwarnungen und Berichterstattungen oft nicht barrierefrei sind. Oder dass Ausgabestellen für etwa Essen und Trinken durch Barrieren versperrt oder die Menschen von der Hilfe anderer abhängig seien.

"Die Vorbereitung auf diverse Katastrophenszenarien verbessert sich zunehmend. Doch die Unterschiede der zu rettenden Menschen und die daraus resultierenden Anforderungen an den Zivil- und Katastrophenschutz werden noch zu wenig beachtet", sagt Britta Schlegel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte im September.

Wie sich der Katastrophenschutz in Chemnitz auf große Notfälle vorbereitet

Torsten Focker leitet einen Zug der 25. Medizinischen Task Force des Freistaats Sachsen im Ehrenamt.Bildrechte: MDR/ Matthias Pöls

Der Katastrophenschutz in Chemnitz versucht sich auf entsprechende Szenarien vorzubereiten, erklärt Torsten Focker. Er ist seit vielen Jahren Teil der 25. Medizinische Task Force (MTF) des Freistaats Sachsen und ehrenamtlicher Zugführer für die Logistik und Transport-Einheit. "Wenn wir kommen, ist kein Strom, kein Funknetz, kein Wasser, kein Essen da."

Im Fall einer nötigen Evakuierung des Pflegeheims – etwa wegen eines Bombenfunds – sei klar: Die MFT würde evakuieren und durch den ASB die Informationen bekommen, welcher Bewohner welchen Bedarf hat.

Wenn der Aufbau der Notversorgung beginnt

Anschließend würde Fockers Einheit den weiteren Transport und die Logistik übernehmen: "Wir würden die Menschen dann in eine Evakuierungsstelle hinfahren." In der Regel sei das eine Turnhalle, ein Hotel oder eine Schule. "Die schweren Fälle – etwa, wenn jemand auf Beatmung angewiesen ist – werden auf die Krankenhäuser verteilt. Das müssen die vorhalten."

Parallel beginnt das Leben in der Lage, je nach eingetretenem Fall. Focker und Team starten den Aufbau der Notversorgung: Strom-Generatoren und Zelte aufstellen, Getränke und Kaffee machen, Suppe kochen. "Ich stehe dann permanent in Kontakt mit der Leitstelle, die uns sagt: 'Fahr mal dort 500 Portionen Suppe hin oder hol dort Hygieneartikel'", so der Verbandsführer der 25. Einheit der MTF. Er und sein Team versuchen dabei die Notversorgung so optimal wie möglich zu gestalten.

Wohnpflegeheim: Wir können hier 72 Stunden überleben

Die ASB-Pflegeeinrichtung sei auf viele denkbare Katastrophenfälle gut vorbereitet. "Es gibt Konzepte, es gibt Regeln, es gibt Alarmpläne. Es gibt einen Notstromgenerator, ein Speiselager oder Gaskocher", erklärt Wagner. "Wir können hier 72 Stunden erstmal überleben." In einem normalen Wohngebiet gebe es mehr Menschen, die hilfsbedürftiger seien.

Alexander Lösche lebt seit über fünf Jahren in der ASB-Einrichtung. Zwei Evakuierungsübungen hat er in dieser Zeit miterlebt. "Dabei habe ich mich zu keiner Zeit unsicher gefühlt. Ich habe immer das Gefühl gehabt, hier ist alles im Griff", sagt er. Andere Bewohner hätten die Übungen allerdings deutlich belastender erlebt, wie Einrichtungsleiter Wagner weiß. Für die Retter bedeute das, in solchen Momenten auf sehr unterschiedliche Befindlichkeiten eingehen zu müssen.

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