Inhalt des Artikels:

  • Warum wolltet ihr diesen Podcast machen?
  • Welche Geschichten erzählt ihr denn genau?
  • Warum habt ihr euch für den Titel “Ungebremst” entschieden?
  • Was ist euch bei der Arbeit am Podcast besonders schwer gefallen?
  • Und warum geht es im Podcast bislang kaum um den Täter?

"Ungebremst" ist der neue Storytelling-Podcast des Mitteldeutschen Rundfunks zum Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt vor einem Jahr. Über fünf Folgen hinweg erzählen die Hosts Jana Merkel und Daniel Salpius die Geschichten von Menschen, deren Leben nach dem 20. Dezember 2024 nicht mehr so ist wie vorher. Die als Verletzte, Ersthelfer und Einsatzkräfte Schreckliches erlebt haben. Und die alle vor einer gemeinsamen Herausforderung stehen: Dem Weg zurück ins Leben.

Hier berichten die Autoren von ihrer Recherche, von den Hürden, vor denen sie standen, und sie erklären, warum sie sich für den Titel "Ungebremst" entschieden haben.

Warum wolltet ihr diesen Podcast machen?

Daniel Salpius: Wenn es um den Anschlag von Magdeburg geht, ist immer viel von Zahlen die Rede: Sechs Tote. Fast 350 Verletzte. 1.600 Betroffene. Dieses Ausmaß ist in Deutschland wirklich beispiellos. Aber es ist schwer, die Tragweite dieser Tat anhand der bloßen Zahlen richtig zu erfassen. 

Die Gespräche mit den direkt Betroffenen, mit Opfern des Anschlags hatten eine unheimliche Wucht. Da wurde es konkret. Und wir können dadurch erst wirklich verstehen, was das eigentlich bedeutet: Schwerst verletzt zu werden, mit Absicht, durch einen Täter mit Agenda. Aber auch, wie lang und schwer der Weg zurück ins Leben für die meisten Opfer war und ist und welche seelischen Wunden da gerissen wurden.

Auch in den Gesprächen mit Ersthelfern und professionellen Rettungskräften wurde uns erst so richtig bewusst, wie groß die Herausforderungen waren, vor denen sie an diesem Abend standen, wie schwer das war, was sie zu meistern hatten und wie auch sie mit den Erinnerungen kämpfen.

Diese Geschichten müssen also unbedingt erzählt werden. Nur so lässt sich das Ausmaß dieser Tat wirklich verstehen. 

Natürlich hat uns auch die Frage beschäftigt, wie es überhaupt zu diesem Anschlag kommen konnte und wer die Verantwortung dafür übernimmt. Dazu haben wir monatelang recherchiert, vertrauliche Akten gewälzt, Interviews geführt. Auch das muss erzählt werden, auch dafür haben wir diesen Podcast gemacht.

Welche Geschichten erzählt ihr denn genau?

Jana Merkel: Da sind Sarah und Steven, die mit ihrem fünfjährigen Sohn am 20. Dezember 2024 den Magdeburger Weihnachtsmarkt besucht haben und die schwer verletzt wurden. Und die danach erstmal nicht wussten, wo ihr Partner ist, wo ihr Kind ist, und ob sie das Ganze überlebt haben. Da ist Andreas, der sich nach dem Anschlag spontan zum Weihnachtsmarkt aufgemacht hat, um Erste Hilfe zu leisten. Und für den danach nichts mehr so war wie zuvor, weil auch er ein Trauma erlitten hat.

Wir treffen auch den Polizisten, der Taleb A. – ganz allein, mit gezogener Waffe – gestoppt hat und der in unserem Podcast erstmals öffentlich über die Festnahme und seine Gefühle in diesem Moment spricht.

Susann Sölter haben wir getroffen, die als Notärztin vor Ort Verletzte versorgt und triagiert hat und die in den Tagen und Wochen danach auf der Intensivstation weiter um das Leben der Menschen gekämpft hat. Anna Ngoli erzählt uns, wie sich die Notaufnahme des Städtischen Klinikums vorbereitet hat für diesen "Massenanfall von Verletzten", wie es in deren Sprache heißt. 

Wir fragen aber auch, was dieser Anschlag mit dem Klima und dem Miteinander in der Stadt gemacht hat. Mit der Gesellschaft. Und warum nach dem Anschlag noch mehr Menschen zu Opfern wurden – Menschen wie Zaineb, die als Krankenschwester selbst die Anschlagsopfer versorgte und danach in Magdeburg rassistisch angegriffen wurde.

Und natürlich treffen wir auch die Verantwortlichen für den Magdeburger Weihnachtsmarkt und stellen ihnen kritische Fragen über mögliche Versäumnisse bei den Sicherheitsvorkehrungen.

Warum habt ihr euch für den Titel “Ungebremst” entschieden?

Daniel Salpius: Der Titel bringt für uns vieles auf den Punkt, was mit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt zu tun hat. Er steht natürlich zuerst für die Art und Weise, wie die Tat ablief. Taleb A. hat nicht gebremst, nachdem er die ersten Menschen mit seinem Auto überfuhr. Im Gegenteil: Er trat immer wieder aufs Gas.

Der Titel beschreibt aber auch die Zeit vor dem 20. Dezember 2024. Denn Taleb A. war kein unbeschriebenes Blatt. Deutsche Sicherheitsbehörden hatten seit 2013 mehr als 100 Hinweise auf ihn registriert. Er beschäftigte Polizeireviere, Landeskriminalämter, das Bundeskriminalamt, den Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst.

Er drohte auf Social Media, er drohte seinem ehemaligen Anwalt, er drohte der Kölner Staatsanwaltschaft, er erklärte vor Arbeitskollegen, dass er sich im Krieg befinde. Die Sicherheitsbehörden sahen trotzdem nur so etwas wie einen wirren “Vielschreiber” in ihm. Sie bremsten ihn nicht. Er konnte sich sozusagen ungebremst weiter in seine Verschwörungserzählung hineinsteigern, die letztlich zur Tat geführt hat.

Und schließlich haben auch die Sicherheitsvorkehrungen in Magdeburg den Täter nicht gebremst. Zufahrten zum Weihnachtsmarkt standen weit offen. Mobile Sperren, die eine Amokfahrt verhindert hätten, gab es nicht. Taleb A. hatte freie Bahn.

Was ist euch bei der Arbeit am Podcast besonders schwer gefallen?

Jana Merkel: Der Anschlag von Magdeburg hat bei den Betroffenen Traumata hinterlassen. Diese Menschen zu kontaktieren und zu interviewen, das hat uns an emotionale und ethische Grenzen geführt. Bei jedem Treffen, jedem Telefonat und jeder noch so kurzen Chatnachricht hatten wir die Sorge, unsere Gesprächspartner mit unseren vielen Fragen zu retraumatisieren.

Wir haben immer versucht, den schmalen Grat zu finden zwischen dem journalistischen Anspruch, die Dinge so genau wie möglich zu schildern und zu verstehen – und dem Respekt vor den persönlichen Grenzen. Das war wirklich schwer. Wir können nur hoffen, dass uns das gelungen ist. Und wir sind all jenen, die mit uns gesprochen haben, dafür sehr dankbar.

Und warum geht es im Podcast bislang kaum um den Täter?

Jana Merkel: Nach einem Anschlag wie in Magdeburg richtet sich die Aufmerksamkeit meist auf den Täter. Nicht selten ist sogar genau das ein zentrales Tatmotiv. Auch Taleb A. wollte das: Aufmerksamkeit für seine Anliegen, mit denen er zuvor, wie er fand, kein Gehör gefunden hatte. Daher haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, ihm keine Bühne zu geben, sondern erst einmal die Betroffenen des Anschlags in den Mittelpunkt zu stellen.

Daniel Salpius: Trotzdem wollen wir die Tat von Magdeburg natürlich in all ihren Facetten verstehen. Deshalb beschäftigt auch uns die Frage, wie Taleb A. zum Täter wurde und warum ihn die Sicherheitsbehörden nicht aufgehalten haben. Wir recherchieren weiter, mit vielen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus - und werden all dem nachgehen.

MDR AKTUELL

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