80 Jahre nach Kriegsende: Traumafolgen werden auch für Nachkommen erforscht
Traumatisierte Enkel, eine fehlende Aufarbeitung des 2. Weltkrieges – Forschende aus Magdeburg haben bereits in einem früheren Projekt gezeigt, wie die Folgen des Krieges noch heute wirken, bei Menschen, deren Eltern als Kinder im Krieg groß wurden, die nie über ihre Erlebnisse sprachen, jedenfalls nicht in Worten. Und wie auch die Aufarbeitung in der DDR versagt hat. Historische Ausblendungen, Nichtaufarbeitung nach dem Motto, 'Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß', so beschrieb es Prof. Jörg Frommer, der mit einem Forschungsteam aus Leipzig, Jena, Rostock und Magdeburg die Folgen des Krieges und von DDR-Unrecht untersucht hat.
"In unserer Familie lagen Geheimnisse, über die nicht gesprochen wurde", sagt auch die Autorin Peggy Patzschke, die ein Buch über ihre Familiengeschichte geschrieben hat, die auch vom Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmt wird. Irgendwann habe sie gemerkt, dass sie über Dinge in ihren Gedanken stolpert, die nicht aus ihrem eigenen Leben stammen. Die Entwurzelung in ihrer Familiengeschichte finde bis heute statt, erklärt Patzschke, die auch für den MDR arbeitet.
Zwei aktuelle Forschungsprojekte des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit, die 80 Jahre nach Kriegsende erschienen sind, bestätigen erneut, wie die Folgen psychischer Traumatisierung an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Besonders betroffen von den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs waren Jüdinnen und Juden durch den Holocaust. Aber auch Millionen andere Menschen wurden in dieser Zeit durch Tod, Vertreibung und Gewalterfahrungen traumatisiert.
Traumatisierung kann sich auf die Gene auswirken
Am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München hat die Direktorin Elisabeth Binder dazu untersucht, wie sich extreme Belastungen wie Krieg oder Verfolgung biologisch "einschreiben". Ein Ergebnis: Die Stresshormonachse von Kindern traumatisierter Eltern – etwa von Holocaust-Überlebenden – ist nachweislich verändert. Die Forschung der Expertin konzentriert sich auf die epigenetischen Mechanismen, die solche Veränderungen erlauben – alsoauf die Frage, wie sich Umwelteinflüsse auf die Aktivität von Genen auswirken.
"Wir sehen Veränderungen in der epigenetischen Regulation von Genen, die für die Stressverarbeitung wichtig sind", erklärt Binder. Diese veränderten Gene konnten beispielsweise bei Kindern von Holocaust-Überlebenden nachgewiesen werden und beeinflussen die Stressresilienz möglicherweise über mehrere Generationen. Binder untersucht dazu mit Kolleginnen mittels Biomarkern und Modellsystemen, wie das Risiko für psychische Erkrankungen über Generationen weitergegeben werden kann.
Kinder traumatisierter Eltern entwickeln häufig selbst psychische Auffälligkeiten
In einem weiteren DZPG-Projekt untersuchen Experten um Hanna Christiansen von der Uni Marburg, wie psychische Erkrankungen in Familien durch gestörte Interaktionen und belastende Lebensbedingungen weitergegeben werden. Dabei zeigt sich, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit selbst psychische Auffälligkeiten entwickeln. Oft sind es feine, alltägliche Mechanismen – fehlende Struktur oder überfordernde emotionale Zustände –, die sich auf das kindliche Erleben und letztlich die psychische Gesundheit auswirken.
"Beide Studien machen deutlich: Transgenerationale Traumaweitergabe ist kein abstraktes Phänomen, sondern eine vielschichtige Antwort des Individuums auf molekularer und psychischer Ebene", betont DZPG-Sprecher Peter Falkai. Und Silvia Schneider vom DZPG ergänzt: "Sie betrifft nicht nur Opfer des Nationalsozialismus, sondern zum Beispiel auch Menschen mit Unrechtserfahrungen in der DDR, Geflüchtete etwa aus Syrien, Afghanistan oder der Ukraine sowie nicht zuletzt Kinder in Deutschland, die mit psychisch kranken Eltern aufwachsen."
cdi/pm
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