Inhalt des Artikels:

  • Desinformation befeuert Vorbehalte gegen den Euro
  • Fake News und tatsächliche Pläne der EU
  • Bulgarischer Lew seit Jahren an den Euro gekoppelt 
  • Gute Wirtschaftsprognosen für Bulgarien

"Alles ist teurer geworden, meine Rente reicht nur für das Nötigste", klagt die 68-jährige Rossitza Kaltschewa. Für den wöchentlichen Einkauf beim nahe gelegenen Discounter gibt die Rentnerin aus Sofia bis zu 200 Lew aus. Das sind umgerechnet etwa 100 Euro. Mit ihrer Rente von 450 Euro liegt sie im Landesdurchschnitt. "Weder die Renten, noch die Gehälter steigen so schnell wie die Inflation", sagt Rossitzas Mann Iwajlo während sie die Einkäufe einpacken. Wie die Kaltschews denken viele in Bulgarien und befürchten, dass mit dem Euro alles noch teurer wird. Die rechtspopulistische und russlandfreundliche Partei "Wasraschdane" (Dt.: Wiedergeburt), die drittstärkste politische Kraft im Land, nutzt diese Ängste gezielt.

Die Lebensmittelpreise in Bulgarien steigen. Viele in Bulgarien befürchten, dass die geplante Euro-Einführung das Preisniveau zusätzlich anheben wird.Bildrechte: imago/ecomedia/robert fishman

Desinformation befeuert Vorbehalte gegen den Euro

Seit Monaten läuft in den sozialen Netzwerken eine regelrechte Desinformationskampagne gegen die Einführung der Gemeinschaftswährung. Die Fake News gipfelten vor Kurzem in einer absurden Äußerung von Rada Lajkowa, einer bulgarischen Europaabgeordneten der Partei "Wasraschdane" in der EP-Fraktion "Europa der souveränen Nationen". Ende April unterzeichnete Lajkowa in Moskau einen Partnerschaftsvertrag mit Putins "Einiges Russland". Sie behauptet, dass die Ersparnisse der Bulgaren für die europäische Aufrüstung herangezogen werden könnten.

Die bulgarische Währung Lew. Gegen seine Ablösung durch den Euro führt die Wasraschdane-Partei eine Desinformationskampagne.Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Lajkowa erklärte in einem Podcast, die Europäische Kommission überlege gerade, wie Ersparnisse, die Bürger ein halbes Jahr lang unangetastet auf ihren Bankkonten liegen haben, für die Finanzierung von europäischen Aufrüstungsprojekten konfisziert werden könnten. Lajkowas tausendfach geteilte Äußerung erreichte auf Facebook knapp zwei Millionen Menschen, über 18.000 haben darauf reagiert und 3.500 haben kommentiert. Einen Artikel mit ähnlichen Behauptungen, der ebenfalls vielfach geteilt worden ist, veröffentlichte im März die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS.

Fake News und tatsächliche Pläne der EU

Was Lajkowa und die TASS-Meldungen verbreiten, weist der bulgarische Europaabgeordnete der GERB-Partei, Emil Radew, entschieden als Fake News zurück: "Diese gezielte Desinformationskampagne will Ängste schüren und die Bulgaren gegen Europa aufbringen. Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt – wir stehen an der Schwelle des Beitritts zur Eurozone."

Auch die Europäische Kommission, bulgarische Regierungsvertreter und Europaabgeordnete der demokratischen Parteien dementierten. Was die EU tatsächlich plant, ist ein Mechanismus, der private Investitionen von EU-Bürgern erleichtern soll. Bei den EU-Plänen zur "Spar- und Investitionsunion" bleibe die Kontrolle über ihr Geld bei den Bürgerinnen und Bürgern selbst, betont Radew.

Bulgarischer Lew seit Jahren an den Euro gekoppelt 

Preisschwankungen wird es laut der bulgarischen Regierung nach der Euro-Einführung nicht geben. Das begründete Finanzministerin Temenuschka Petkowa wiederholt mit einer Besonderheit Bulgariens: 1997 wurde der Wechselkurs des bulgarischen Lew infolge einer drastischen Finanzkrise und Hyperinflation zunächst an die D-Mark und ab 2002 an den Euro gekoppelt und ist entsprechend konstant.  

Bulgariens Weg zum Euro wurde im EU-Beitrittsvertrag von 2007 festgeschrieben. Das Land nimmt seit 2020 am Europäischen Wechselkursmechanismus (ERM) teil und steht unter der Aufsicht der Europäischen Zentralbank. Es erfüllt die sogenannten Maastricht-Kriterien weitestgehend: weniger als 60 Prozent Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), aktuell ca. 20 Prozent, und ein Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent des BIP; stabile Wechselkurse und die langfristige Angleichung der Zinssätze an die der Eurozone.

Ein Ziel hat Bulgarien aber bisher verfehlt: Die Inflation liegt knapp über dem von den Maastricht-Kriterien erlaubten Wert. Deshalb wurden die Pläne zur Einführung des Euro in den vergangenen Jahren bereits zweimal verschoben. "Ich hoffe, dass wir mit gemeinsamen Anstrengungen die öffentlichen Finanzen Bulgariens stabilisieren können und dass es für 2026 den ersten Haushalt in Euro geben wird", sagte Finanzministerin Petkowa nach der Verabschiedung des Staatshaushalts für das laufende Jahr. Mit einer Teuerungsrate von 2,5 Prozent im Februar erfülle das Land nun auch die Inflationskriterien, erklärte die Regierung.

Gute Wirtschaftsprognosen für Bulgarien

Bulgarien verzeichnet derzeit eine historisch niedrige Arbeitslosenquote von etwa vier Prozent. Auch die Wirtschaftsprognosen der EU-Kommission für Bulgarien sind für 2025 und 2026 positiv. Außerdem gehen Ökonomen davon aus, dass die Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung mehr ausländische Investoren ins Land locken wird. Auch könnte die Kreditwürdigkeit Bulgariens besser bewertet werden, was die Kosten für die staatliche Schuldenaufnahme senken würde.  

Der Chef der Bulgarischen Nationalbank Dimitar Radew versicherte, auch die technische Infrastruktur für den Beitritt zur Eurozone sei vorhanden. "Die Zahlungs-, Informations-, Buchhaltungs- und Statistiksysteme Bulgariens sind vollständig auf den Betrieb in der Eurozone vorbereitet. Wir sind auch für den Währungsumtausch bereit. Wir drucken seit vier Jahren Euro-Banknoten und produzieren jetzt Testchargen bulgarischer Euro-Münzen", sagte Radew.

Entwurf der bulgarischen 1-Euro-MünzeBildrechte: Bulgarische Nationalbank

So lassen die Erfüllung aller Kriterien und ein breiter politischer Konsens den Beitritt Bulgariens zur Eurozone als reine Frage der politischen Zustimmung der EU-Führung erscheinen. Rechtspopulistische Kräfte wie die "Wasraschdane"-Partei hingegen nähren die Sorgen vor der Einführung der Gemeinschaftswährung.

In Sofia steckt Iwajlo Kaltschew nach dem Wochenendeinkauf den Kassenzettel in die Hosentasche. Der ist bedruckt mit Preisen – in Lew und Euro. Ein kleines Stück Papier, das für viele Bulgaren zum Symbol ihrer Sorge geworden ist. Die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten bleibt, trotz aller politischen Beteuerungen.

MDR (usc)

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