Urteilen Gerichte bei Vergewaltigungen zu milde?
- In Vergewaltigungsfällen haben die Gerichte großen Spielraum – so spielen die Lebensumstände des Täters auch eine Rolle.
- Das Messen mit zweierlei Maß kann das Vertrauen in die Gleichheit vor dem Gesetz gefährden.
- Frauenrechtsorganisationen fordern: Gerichte müssen sich mehr über sexuelle Gewalt informieren.
Johanna Wiest ist Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt bei der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes. Sie sagt: "Es gibt immer wieder solche Urteile, bei denen man sich an den Kopf fasst. Es gab 2024 eine Untersuchung, die gezeigt hat, dass Richterinnen und Richter den gesetzlichen Strafrahmen bei Sexualstraftaten nicht ausschöpfen. Man hat 86 Gerichtsurteile zu Vergewaltigungen beziehungsweise zu sexuellen Übergriffen mit Gewalt untersucht und dabei festgestellt, dass die Urteile alle im unteren Drittel des vorgegebenen Strafmaßes lagen."
Betroffene fühlten sich dann nicht ernstgenommen und machtlos. Nur 10 bis 15 Prozent der Vergewaltigungen würden überhaupt angezeigt, sagt Wiest: "Insgesamt gibt es Schätzungen, dass nur bei einer von hundert Vergewaltigungen in Deutschland wirklich eine Verurteilung erfolgt. Und das darf wirklich nicht sein."
Großer juristischer Spielraum: Tätermerkmale werden berücksichtigt
Doch wie groß ist der juristische Spielraum für Richterinnen und Richter? Tatsächlich sehr groß, sagt Pia Pielhau von der Juristischen Fakultät an der Leibniz Universität Hannover: "Das ist auch bewusst so angelegt. Die Strafzumessung erfolgt unter Berücksichtigung aller für und gegen den Täter sprechenden Umstände. Und dazu zählen wir zum Beispiel Tatmerkmale, zum Beispiel das Maß an Gewalt und auch die Dauer des Übergriffs. Aber auch Tätermerkmale. Das kann die Reue sein, das Geständnis, berufliche Perspektiven, aber auch das Vorleben."
Zwei bis 15 Jahre gibt der Strafrahmen für ein schwerwiegendes Delikt wie eine Vergewaltigung vor. Im unteren Bereich kann die Strafe auf Bewährung ausgesetzt werden – wenn davon ausgegangen wird, dass der Täter keine weitere Tat begeht. Pia Pielhau sagt: "Viele der anerkannten Strafmilderungsgründe, zum Beispiel ein gutes soziales Umfeld, Ausbildung, Reue, die sind vor allem bei Tätern aus privilegierten Milieus zu finden."
Vertrauen in Justiz ist gefährdet
Juristisch könne man das zwar erklären, gesellschaftlich sei es aber nur schwer vermittelbar: "Denn das Gefühl, dass Karriere oder vielleicht auch Herkunft mildernde Wirkung haben, beschädigt natürlich das Vertrauen in die Gleichheit vor dem Gesetz."
Das Gefühl, dass Karriere oder vielleicht auch Herkunft mildernde Wirkung haben, beschädigt natürlich das Vertrauen in die Gleichheit vor dem Gesetz.
Und trotzdem stehe laut Pielhau in einem Strafverfahren erstmal der Täter im Vordergrund, nicht das Opfer und jeder Fall sei eine Einzelfallentscheidung. Auch die Bandbreite dessen, was als Vergewaltigung gilt, sei sehr groß.
Frauenrechtsorganisationen: Gerichte müssen sich fortbilden
Katharina Göpner ist Co-Geschäftsführerin beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. 227 Beratungsstellen haben sich dem Verband angeschlossen. Göpner sagt: "Wir wissen aus der Erfahrung der Arbeit der Beratungsstellen, dass im Gericht oft Wissen über sexualisierte Gewalt, Vergewaltigungen und ihre Folgen fehlt. Zum Beispiel: Was für ein Bild gibt es von einer Vergewaltigung oder wie die auszusehen hat oder was gibt es für Bilder darüber, wie sich Betroffene verhalten in solchen Situationen? Und Betroffene machen deshalb häufig die Erfahrung, dass ihnen nicht geglaubt wird oder ihnen eine Mitschuld gegeben wird an dem, was passiert ist."
Die Frauenrechtsorganisationen fordern: Richterinnen und Richter sollten sich verpflichtend über sexualisierte Gewalt und ihre Folgen für die Opfer fortbilden lassen. Und der mögliche Strafrahmen bei Vergewaltigungen müsse ausgeschöpft werden. Denn Strafen hätten auch eine abschreckende Wirkung auf mögliche Täter.
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