• Die Studie des federführenden Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim zeigt eine große Dunkelziffer sexualisierter Gewalt.
  • Diese Form der Gewalt geht besonders häufig von Familienmitgliedern und Verwandten aus.
  • Rund 38 Prozent der Betroffenen sprechen aus Scham und Angst nicht von ihren Erlebnissen.

Millionen Menschen in Deutschland werden im Kindes- und Jugendalter Opfer von sexualisierter Gewalt. Einer neuen Studie zufolge haben 12,7 Prozent der 18- bis 59-Jährigen solche Taten als Kinder oder Jugendliche bereits erlebt – das sind 5,7 Millionen Menschen. Bei den Frauen liegt die Betroffenenrate bei 20,6, bei den Männern bei 4,8 Prozent. Das Ausmaß solcher Taten in Deutschland sei "erschreckend groß", sagte der Mannheimer Psychiater und Studienkoordinator Harald Dreßing. Über das Internet und soziale Medien haben nach eigenen Angaben bereits fast 32 Prozent sexualisierte Gewalt erlebt.

Die Erhebung zeigt nach Angaben der Forscherinnen und Forscher erstmals das Ausmaß der Taten und deren Verteilung auf einschlägige Tatorte auch jenseits der katholischen und evangelischen Kirche. Dort war in den vergangenen Jahren immer mehr Missbrauch bekannt geworden. Nun zeigt die federführend am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim entstandene Studie "ein erhebliches Dunkelfeld" solcher Taten insgesamt. 

Verwandte üben besonders häufig sexualisierte Gewalt aus

Gefragt wurde nach Taten gegenüber Unter-14-Jährigen und nach Taten gegenüber Unter-18-Jährigen gegen deren Willen. Gefragt wurde etwa nach sexueller Belästigung oder Nötigung, aber auch nach Annähern im Internet für spätere sexuelle Übergriffe.

Betroffene gaben der Studie zufolge am häufigsten an, in der Familie oder durch Verwandte sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Fast alle Befragten berichteten von nicht gewollten Berührungen, mehr als ein Fünftel vom Eindringen in den Körper. Auffällig sei, dass Männer deutlich häufiger sexualisierte Gewalt in Sport- und Freizeiteinrichtungen oder durch kirchliche Mitarbeiter erlebten.

Mehr als ein Drittel der Opfer schweigt aus Angst

Rund 38 Prozent der Betroffenen hatten demnach bisher nicht mit anderen Personen über die erlebte sexualisierte Gewalt gesprochen. Als Grund nannten sie häufig Schamgefühle und die Angst, dass einem nicht geglaubt werde. "Das zeigt, dass es immer noch ein erhebliches Dunkelfeld gibt und es vielfach an geschützten Räumen fehlt, in denen Menschen das Erlebte offen ansprechen können, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen", sagte Dreßing. Bei fast einem Drittel der Fälle spielten laut der Untersuchung digitale Kanäle, also beispielsweise Social Media, Messenger-Dienste und Chats, eine wichtige Rolle. In diesen Fällen ging es unter anderem um die ungewollte Zusendung pornografischen Materials, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen oder Zwang und Druck, sexuelle Bilder und Videos zu teilen.

Eckiger Tisch fordert besseren Schutz

Die Betroffeneninitiative Eckiger Tisch begrüßte die Studie. Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend hätten in den vergangenen Jahren entscheidend dazu beigetragen, das Dunkelfeld aufzuhellen. Die Spitze des Eisbergs sei dadurch sichtbar geworden. "Mit den nun vorgelegten Zahlen sehen wir erneut klarer", so die Initiative.

Es komme jetzt darauf an, als Gesellschaft das ganze Ausmaß dieser Katastrophe tatsächlich wahrzunehmen und Maßnahmen zu etablieren, um Jungen und Mädchen besser zu schützen. Sexueller Kindesmissbrauch sei nicht nur individuelles Schicksal, sondern ein fortdauernder gesellschaftlicher Skandal. Nötig sei eine "gesellschaftspolitische Kraftanstrengung", damit die nächste Generation sicher vor sexueller Gewalt aufwachsen könne.

Missbrauchsbeauftragte plant bundesweite Erhebung in Schulen

Nach eigenen Angaben ist die im vergangenen Jahr realisierte Studie repräsentativ, rund 3.000 Antworten von Befragten wurden ausgewertet. Initiiert wurde sie vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Beteiligt waren das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit, die Kinder-und Jugendpsychiatrische Klinik in Ulm und das Kriminologische Institut in Heidelberg. Kooperationspartner war das Umfrageinstitut infratest dimap. Finanziell beteiligten sich die Weiße-Ring-Stiftung, der Verein Eckiger Tisch sowie der Kinderschutzbund.

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, plant eine bundesweite Erhebung zur Häufigkeit sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Dazu soll es Befragungen in 9. Schulklassen in allen Bundesländern geben.

dpa/KNA (lik)

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