Post aus Kanada, die hat man jetzt auch nicht alle Tage: MDR WISSEN-Nutzerin Birgit grüßt uns aus Kitchener bei Toronto und schickt ein Bild, mit dem man sich in einem Paralleluniversum wähnen darf. Normaler Baum, dahinter ein unnormal knallroter Mond (großes Bild oben).

Einen ganz ähnlichen Schnappschuss hat uns Antje ein paar Stunden vorher "untergeschoben". Wieder ein normaler Baum, aber eine unnatürlich rote Abendsonne, die im Grunde aussieht, wie der rote Mond aus Kanada – nur diesmal aufgenommen in Adendorf bei Bonn. Tja, was soll man sagen: Der rote Mond, die tiefrote Abendsonne, das hat hüben wie drüben die gleiche Bewandtnis.

Bildrechte: Antje Collette

Warum sehen Mond und Sonne so rot aus?

Aus Übersee bahnt sich in diesen Junitagen Rauch seinen Weg nach Europa und sorgt in der ganzen Republik für ein ähnliches Schauspiel, zumindest dann, wenn Wolken nicht die Sicht auf die Dinge verhageln. Ursache ist die hohe Intensität an Waldbränden im Mai in den zentralkanadischen Provinzen Ontario – da ist Birgit grad –, Manitoba und Saskatchewan. Auch jetzt kämpft die Feuerwehr im ganzen Land gegen mehr als 200 Waldbrände. In den am stärksten betroffenen Regionen herrscht Ausnahmezustand, mehr als 31.000 Menschen wurden evakuiert.

Mit sicherem Abstand lassen sich die Resultate der Brände auch in Europa beobachten: Kleine Rauchpartikel in der Atmosphäre wirken vor dem weiß-gelben Mond wie ein Fotofilter oder eine Brille gegen Bildschirm-Müdigkeit: Das blaue Licht wird herausgefiltert, das rote bleibt übrig.

"Waldbrände treten in borealen Wäldern häufig im Frühjahr und in den Sommermonaten auf", erklärt Mark Paddington, Leiter des Atmosphären-Überwachungsdienstes im europäischen Erdbeobachtungsnetzwerk Copernicus. "Bis Anfang Juni zeigen unsere Daten, dass die zentralen Regionen Kanadas einige sehr intensive Wochen in Bezug auf Waldbrandemissionen erlebt haben. Diese Daten und die Tatsache, dass wir den Rauch in Europa beobachten können, spiegeln das Ausmaß der Brände und ihre Auswirkungen in Manitoba und Saskatchewan wider."

Dieses "Beobachten", auf das sich Paddington hier bezieht, lässt sich in zweierlei Hinsicht verstehen: Dadurch, dass sich durch die Verbrennung mehr Partikel in der Atmosphäre befinden, erleben wir einen exotischen Mond und Sonnenuntergänge, die an romantischem Spektakel wirklich alles geben. Durch die Überwachung mit mehreren Satelliten lässt sich aber auch der Rauchtransport an sich beobachten. Eine erste Wolke zog schon Mitte Mai in den Mittelmeerraum, zum ersten Juni erreichte dann eine viel größere den Nordwesten Europas.

Luftverschmutzung und Waldbrandrauch: Auch da, wenn man nichts sieht

Und es lässt sich noch mehr sehen – auch dann, wenn der Mond nicht rot ist. Und zwar mit Lidar-Lasertechnik, wie sie am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos) in Leipzig zum Einsatz kommt. Ein Lidar-Laser, der die Umgebung räumlich abtasten kann, mag all jene wenig beeindrucken, die diese Technik bereits im Smartphone haben. Das Ding am Tropos ist da allerdings eine ganze Nummer größer als die Handy-Spielerei. Es kann Rauchpartikel in großen Höhen entdecken – bisher allerdings mit Einschränkungen: Ob es sich um Waldbrand- oder Vulkanrauch oder schlichtweg um städtische Verschmutzung handelt, kann die Technik (noch) nicht unterscheiden.

Das größte und älteste Lidar am Tropos hat einen Namen: MARTHA. Das klingt nett und steht für "Multiwavelength Atmospheric Raman Lidar for Temperature, Humidity, and Aerosol Profiling", also "Atmosphärisches Raman-Lidar mit mehreren Wellenlängen für Temperatur-, Feuchte- und Aerosol-Profilierung". Merken Sie sich einfach Laser.Bildrechte: Tropos/Tilo Arnhold

Für den Laser am Tropos gab es allerdings vor drei Jahren ein ordentliches Upgrade: Er ist nun auch in der Lage, die sogenannte Fluoreszenz von Aerosolpartikeln in der Atmosphäre zu messen. Fluoreszenz, diesen lustigen Effekt kennen wir vom Schwarzlicht auf der Bowlingbahn. Durch die Technik konnten etwa bei den kanadischen Waldbränden vor zwei Jahren Aerosolschichten gemessen werden, die mit der bisherigen Standardtechnik unbemerkt geblieben wären.

Und auch 2022 zeigte die Technik, was sie drauf hat: Am 21. September des Jahres schien die obere Troposphäre weitestgehend sauber zu sein, der Laser sagte aber etwas anderes und entdeckte Aerosole in fünf, sieben, neun und zehn Kilometern Höhe. "Die höheren Schichten wären ohne die zusätzlichen Fluoreszenzinformationen vermutlich nicht als Aerosolschichten erkannt worden", sagt Cristofer Jimenz vom Tropos. Das heißt auch: Die Luft über Europa ist möglicherweise mehr verschmutzt als gedacht.

Wolkenbildung durch unscheinbare Rauchpartikel

Solche hohen Aerolsolschichten sind nicht sonderlich dick und deshalb erstmal unscheinbar. Die Forschenden am Tropos in Leipzig weisen aber darauf hin, dass durch die Partikel die Wolkenbildung beeinflusst werden kann. Die Eiswolken – also Zirruswolken –, die daraus entstehen, können wiederum einen direkten Einfluss auf das einfallende Sonnenlicht und das Klima am Boden haben. Bisher galt Waldbrandrauch in dieser Hinsicht nicht sonderlich wirkungsvoll, die Beobachtungen geben aber nun Anlass, die Bildung von Wolken durch Waldbrände weiter zu untersuchen.

Und was ist mit der Exotik am Abendhimmel? Dem roten Mond? Der tiefroten Sonne? Gut möglich, dass die uns noch erhalten bleiben, denn die Wolke vom 1. Juni war nicht die letzte, so Copernicus auf MDR WISSEN-Anfrage. Weitere Rauchfahnen könnten Deutschland am Sonntag oder Montag erreichen. Ob die auch einen guten Fotofilter abgeben? Wir werden sehen. Voraussetzung für ein Spektakel mit rotem Mond bleibt ohnehin, dass die dickeren Wolken ein paar Etagen drunter den Blick freimachen.

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