• Der Redner Elias Leppe verbreitet im Vortrag Inhalte der rechtsesoterischen "Germanischen Neuen Medizin", die von Ryke Geerd Hamer gegründet wurde.
  • Es gab bereits Todesfälle von Anhängern der Pseudomedizin, die ihre Krebserkrankung nicht richtig behandelt lassen haben.
  • Der Landesverband Sachsen des Kinderschutzbundes kritisiert den Ortsverband scharf und erwägt einen Ausschluss.

Die idyllische Kleinstadt Kamenz in Ostsachsen. Mitte Mai hat hier in einem Sportzentrum ein Vortrag stattgefunden, bei dem es vor allem um eine rechtsesoterische Lehre ging: die sogenannte "Germanische Neue Medizin". Mit versteckter Kamera filmten zwei Teilnehmer die Veranstaltung, die von der Vorsitzenden des Ortsverbands des örtlichen Kinderschutzbundes organisiert worden ist. 

Der Redner ist Elias Leppe. Der Österreicher ist bekannt in der esoterischen Gesundheitsszene. Im Internet findet man viele Videos von ihm zu Gesundheitsthemen. In einem davon bewirbt er ein Kinderbuch: "Die Naturgesetze betreffen alle Wesen auf diesem Planeten. Und hier wird das eben in Form von einer Geschichte, einer Indianergeschichte dargestellt …". 

Leppe bezieht sich auf "Germanische Neue Medizin"

Um diese sogenannten "Naturgesetze" geht es auch bei dem Vortrag in Kamenz. Es sind viele Eltern mit ihren Kindern da. Auch Elias Leppe hat immer mal wieder ein Kind auf dem Arm. Auf der Einladung war das Thema eher versteckt mitgeteilt: 5 BN – die angeblichen "Fünf Biologischen Naturgesetze" – Kennzeichen der Germanischen Neuen Medizin. Leppe erklärt den Anwesenden: "Die fünf biologischen Naturgesetze sind Naturgesetze – wie das Resonanzgesetz und das Gesetz von Ursache und Wirkung. Das sind Dinge, die kann man nicht aushebeln, die sind in der Natur verankert!"

Der Österreicher Elias Leppe bei seinem Vortrag in KamenzBildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Leppe erzählt vom Gründer der "Germanischen Neuen Medizin", Ryke Geerd Hamer. Der lehrte, dass hinter jeder Krankheit ein biologischer Konflikt stecke, den der Kranke erst mal bearbeiten müsse. Wenn das geschehe, verschwinde auch die Krankheit. Jede Krankheit – auch Krebs. Doch Hamer verlor seine Approbation, behandelte weiter, musste ins Gefängnis. 

Leppe fährt in seinem Vortrag fort (zitiert gemäß Gedächtnisprotokoll von Anwesenden): "Hamer hat etwas wieder entdeckt, was nicht wiederentdeckt werden darf. Denn damit würde sehr viel in der Pharma- und in der Schulmedizin obsolet werden. Er hat etwas aufgedeckt, was nicht aufgedeckt werden darf." Gemeint sind moderne Therapiemethoden bei Krebs, wie Strahlen- oder Chemotherapie, die abgelehnt werden. Hamer starb 2017 in Norwegen. 

Beratungsstelle weiß von Todesfällen

Der Verein Sekten-Info Nordrhein-Westfalen beobachtet die Szene und kennt das Wirken von Elias Leppe. "Bei der 'Germanischen Neuen Medizin' wird insbesondere bei Krebs – aber auch bei vielen anderen Krankheitsbildern – vermutet, dass hier die Pharmaindustrie zusammen mit der Gesundheitspolitik ein eigenes Spiel betreibt und Leute letztlich krank macht und nicht heilt", erklärt der Geschäftsführer des Vereins, Christoph Grotepass.

Das beziehe die Gruppe auch etwa auf Chemotherapie oder Bestrahlung. Dort spielten auch die Ängste der Menschen vor invasiven Verfahren hinein, die dann "lieber die sogenannte natürliche Medizin bevorzugen wollen in der Vorstellung, dass es diese gäbe. Zu diesem Bereich haben wir hier Beratungsfälle, die auch Krankheiten und schlimme Verläufe bis hin zu Todesfällen schon gezeitigt haben."

Wir haben hier Beratungsfälle, die auch Krankheiten und schlimme Verläufe bis hin zu Todesfällen gezeitigt haben.

Christoph Grotepass, Sekten-Info NRW e.V.

Bereits vor zehn Jahren hatte MDR INVESTIGATIV über einen solchen Todesfall berichtet. Ein 66-Jähriger, der laut seiner Tochter auf Hamers Lehre vertraute und schließlich an einer Krebserkrankung starb. Doch auch bei Kindern gab es Todesfälle dieser Art. Aufsehen erregte Mitte der 90er Jahre der Fall eines sechs Jahre alten Mädchens. Die Eltern wollten ihre Tochter nicht mit modernen Krebstherapien behandeln lassen. Schließlich wurde ihnen das Sorgerecht entzogen, sie wurde behandelt und überlebte.

Ryke Geerd Hamer gründete die Pseudomedizin der "Germanischen Neuen Medizin". Der Arzt verlor seine Approbation. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Beim Vortrag in Kamenz werden die Lehren dieser sogenannten Medizin am Beispiel von Hodenkrebs erklärt. Leppe führt das, wie er sagt, zweite der fünf biologischen Naturgesetze an: "Es gibt immer, hinter jeder Krankheit, einen biologischen Sinn. Evolutionsbedingt", erklärt er den Teilnehmern. Beim Hodenkrebs gehe es darum, dass man ein Kind verloren habe. Wobei das Kind, so Leppe, auch etwas anderes sein könnte: zum Beispiel der Hund. Oder die Firma. In jedem Fall ein Schockerlebnis.

Wissenschaftlich falsche Behandlungsmethoden

Derzeit hat diese "germanische" Medizin auch in den Sozialen Medien Hochkonjunktur. Die Deutsche Krebsgesellschaft warnt daher vor dieser Pseudomedizin. Die Onkologin Professor Jutta Hübner vom Uniklinikum Jena glaubt, dass man es hier mit sektenartigen Strukturen zu tun hat. Davon dass führenden Vertreter der "Germanischen Medizin" eine Wahnvorstellung haben, geht sie nicht aus. "Ich glaube, dass die ein ganz klares Programm haben, diese Menschen von sich abhängig machen wollen. Und dass die durchaus durchschauen, dass sie hier etwas erzählen, was wissenschaftlich falsch ist", erklärt die Medizinerin.

Meine Erfahrung ist, dass sie dadurch in eine sektenartige Struktur geraten, aus der sie sich auch aus psychischen Gründen kaum noch befreien können. Also selbst wenn sie vielleicht merken, der Krebs wächst weiter, kommen sie nicht mehr raus aus dem System.

Jutta Hübner, Onkologin am Uniklinikum Jena

"Für Patienten kommt es glaubwürdig rüber, und das führt dazu, dass sich Patienten an entscheidenden Punkten, wo man den Krebs entdeckt und ihn behandeln kann, falsch entscheiden und erst mal auf diese Germanische Medizin setzen", sagt Hübner. "Und meine Erfahrung ist, dass sie offensichtlich dadurch auch in eine sektenartige Struktur geraten, aus der sie sich auch aus psychischen Gründen kaum noch befreien können. Also selbst wenn sie vielleicht merken, der Krebs wächst weiter, kommen sie nicht mehr raus aus dem System."

Wie sehr Elias Leppe an seine Botschaften glaubt, ist unklar. Ein Interview wollte er MDR INVESTIGATIV nicht geben und auch keine Fragen beantworten. Die Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Kamenz, die diesen Vortrag organisiert hat, war offensichtlich von all dem sehr angetan. Auch sie stimmte einem Interview nicht zu. 

Oberbürgermeister spricht von Toleranz

Von der Stadt Kamenz erhält der örtliche Kinderschutzbund jährlich mehrere zehntausend Euro. Das Geld fließt in den Erhalt eines Spielplatzes und den Betrieb eines Freizeittreffs. Daher stellte MDR INVESTIGATIV auch eine Anfrage an den Oberbürgermeister der Stadt, Roland Dantz, um zu erfahren, was er von solchen Vorträgen in seiner Stadt hält.

Der OB lädt zum Interview in die Räume einer Ausstellung, die zur 800-Jahr-Feier der Stadt eröffnet wurde. Das Thema: Aberglaube und Magie. Dantz sieht Parallelen. "Möglicherweise wäre die Einladende für diese Veranstaltung hier in Kamenz vor mehreren hundert Jahren (…) auf den Scheiterhaufen gestellt worden. (…) Wollen wir Inquisition? Wollen wir die Rückkehr des Mittelalters? Oder wollen wir in einer aufgeklärten Gesellschaft in der Hinsicht die Dinge diskutieren? Und dazu gehört auch das Vermeiden von medialer Inquisition. Dagegen bin ich auch, ganz ausdrücklich. Und das lehrt uns diese Ausstellung."

Der parteilose Oberbürgermeister fordert also zur Toleranz auf. Schließlich sei es jedem selbst überlassen, welche Behandlung seiner Krankheit er will, und welche nicht. 

Landesverband erwägt Ausschluss

Anders sieht das der Landesverband des Kinderschutzbundes Sachsen. "Diese 'Germanische Neue Medizin' ist natürlich eine Sache, wo jeder Erwachsene für sich selber entscheiden kann: Was will ich an gesundheitlichen Maßnahmen, oder was will ich nicht", erklärt die Vorsitzende Silke Brewig-Lange. Aber in diesem Fall seien insbesondere auch Kinder und junge Erwachsene betroffen. 

"Und dort ist es einfach so, dass die einem besonderen Schutz unterliegen, und dort sicherzustellen ist, dass entsprechend den Standards in der Medizin auch entsprechende Behandlungen vorgenommen werden können, wenn sie denn erforderlich sind. Und das sehen wir eben bei solchen Vortragsreihen nicht, dass das dann noch möglich ist."

Die Vorsitzende des Kinderschutzbundes Sachsen, Silke Brewig Lange, kritisiert die Einladung des umstrittenen Esoterikers. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Aus ihrer Sicht sei der Fall absolut schwerwiegend. "Wenn von der Vorsitzenden (vom Ortsverband Kamenz des Kinderschutzbundes) so eine Veranstaltung organisiert und dann auch noch darüber hinaus dort mitgewirkt wird." Der Kinderschutzbund Sachsen will sich neben der Vorsitzenden auch an die anderen Vorstandsmitglieder des Ortsverbandes wenden. So keine Konsequenzen gezogen werden, erwägt er, seinen Ortsverband Kamenz notfalls ganz auszuschließen.  

Der Vortrag Mitte Mai dauerte sechs Stunden. Soweit der Redaktion bekannt wurde, hat von den anwesenden Zuhörern niemand wirklich Kritik an dem geäußert, was an diesem Tag in Kamenz vorgetragen wurde.  

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