Lange Zeit wurde über ein Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg in Berlin diskutiert. Heute wurde ein Gedenkstein enthüllt - allerdings nur vorübergehend.

Auf der Plattform X in Polen hat der 30 Tonnen schwere Findling bereits einen Namen: "Das ist ein Stein der Schande", heißt es immer wieder in den Kommentaren zahlreicher polnischer User. Am Montag wurde mit diesem Monolithen der Gedenkort des Überfalls von Nazi-Deutschland auf seinen Nachbarn Polen eingeweiht. Mitten in Berlin zwischen Reichstagsgebäude und Bundeskanzleramt, hier stand einst die Kroll-Oper, in der Hitler den Überfall bekannt gab.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sagt, der Gedenkstein sei auch Symbol für das Gewicht der Geschichte. Seine Inschrift auf Deutsch und Polnisch sei "gewissermaßen ein Schwur", meint Weimer. "Nie soll Leid der Polinnen und Polen, das von deutschem Boden ausging, in Vergessenheit geraten."

Lange hatte die Politik in Deutschland über diesen Schritt diskutiert. Der Stein ist ein Provisorium, ein endgültiger Beschluss des Bundestags über ein Mahnmal steht noch aus.

Bissige Kommentare aus Polen

Die in Polen regierende Liberale Bürgerplattform mit Ministerpräsident Donald Tusk nimmt den Deutschen ihren guten Willen bei dieser Initiative ab. Dass Deutschland das Thema der Kriegsreparationen völkerrechtlich als abgeschlossen sieht, nimmt sie still zur Kenntnis.

Umso bissiger fallen die Kommentare aus Polen aus. Die ehemalige polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło von der rechtskonservativen PiS-Partei schreibt, der Brocken sei "wahrscheinlich der Stein, der ihnen vom Herzen gefallen ist, als Donald Tusk den Kampf um Reparationen aufgegeben hat". Ein Teil der politischen Szene in Polen unterstreicht immer wieder, dass die Versöhnung zwischen Deutschland und Polen nur dann gelingt, wenn Deutschland endlich Kriegsreparationen zahlt.

Polen war das Land, das von Hitler-Deutschland als erstes überfallen wurde und von der Weltkarte verschwinden sollte. Es hat rund sechs Millionen Opfer zu beklagen, das sind etwa 17 Prozent der damaligen Bevölkerung. Das Ausmaß der deutschen Zerstörungswut war nicht nur in direkten Kampfhandlungen zu sehen, sondern in der brutalen Besatzungsherrschaft und planmäßigen Massenmorden an Zivilisten. Heute, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, gibt es in Polen kaum eine Familie, die dieses Trauma nicht kennt.

Öffentlicher Appell an den Bundestag

Im Jahr 2012 fragte deshalb Władysław Bartoszewski, ehemaliger polnischer Außenminister, Auschwitz-Überlebender und langjähriger deutsch-polnischer Brückenbauer, warum es in Berlin eigentlich kein Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gibt. Sein Ruf blieb zunächst ungehört. Zu diesem Zeitpunkt stand in Deutschland das Projekt "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" im Fokus - ein Vorhaben, das in Polen mit Skepsis betrachtet wurde, da es die deutsche Opferperspektive betonte.

Erst ein öffentlicher Appell an den Bundestag von 200 Persönlichkeiten aus Politik, Forschung und Zivilgesellschaft, der den Bundestag aufforderte, ein "Denkmal zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung 1939-1945" zu errichten, brachte die Debatte in Gang. Die Initiatoren waren die ehemaligen Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth und Wolfgang Thierse, Andreas Nachama von der Gedenkstätte "Topografie des Terrors", Dieter Bingen vom Deutsch-Polnischen Institut und Florian Mausbach, Leiter des Bundesamts für Bauwesen.

Museum statt Denkmal?

2018 schlug der Historiker Stefan Lehnstaedt vor, statt eines Denkmals ein Museum zur deutschen Besatzung in Polen zu errichten. Sein Argument: Kaum jemand in Deutschland weiß, was die Deutschen in Polen im Zweiten Weltkrieg angerichtet haben.

Was zunächst schlüssig klang, entpuppte sich bald als Bremse. Die Polen befürchteten, mittels eines Museums von den Deutschen über ihr Leid belehrt zu werden. Dabei sollte doch das Denkmal ein Zeichen des Geständnisses und der Reue sein. Die Debatte geriet immer wieder ins Stocken.

Im Jahr 2020 verabschiedete der Bundestag einen Beschluss, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, an prominenter Stelle in Berlin einen Ort des Gedenkens und der Begegnung zu schaffen. Drei Jahre vergingen, bis die damalige Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) das Konzept des "Deutsch-Polnischen Hauses" genehmigt, das auf dem Gelände der ehemaligen Kroll-Oper errichtet werden sollte. Das Haus sollte Denkmal, Dokumentation und Begegnung verbinden.

"Ohne Geständnis gibt es keine Versöhnung"

Die Initiatoren des Appells von 2017 äußern nun die Sorge, der Bau eines so komplexen "Deutsch-Polnischen Hauses" könnte sich über viele Jahre hinziehen - so lange, dass die wenigen polnischen Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs das Denkmal womöglich nicht mehr erleben werden.

Aber erst dem neuen polnischen Botschafter Jan Tombiński gelingt es, die neue Bundesregierung und den Berliner Senat von dieser Idee zu überzeugen. Gegenüber rbb-COSMO sagt er: "Es sind vor allem die Deutschen, die dieses Denkmal brauchen."

Bei der Enthüllung des provisorischen Gedenksteins sind die Pioniere des Appells sichtlich gerührt. Florian Mausbach sagt es laut: "Dieser Stein ist ein Geständnis. Ohne Geständnis gibt es keine Versöhnung."

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke