Drei Wochen mehr Vegetation: Stadtbeleuchtung verschiebt die Jahreszeiten
Die Stadt schläft nicht, sagt man. Und das gilt in gewisser Weise auch für die Pflanzen in der Stadt, zumindest schlafen sie, was ihre Winterruhe angeht, deutlich kürzer als ihre Verwandten auf dem Land. Laut einer aktuellen Studie verlängern künstliche Beleuchtung und städtische Wärmeinseln die Vegetationsperiode von Pflanzen um etwa drei Wochen.
Früher Frühling, später Herbst, kurzer Winter
Eine internationale Forschungsgruppe, zu der auch Franz Hölker vom Forschungsverbund ‘Verlust der Nacht’ gehörte, analysierte Satellitendaten von 428 Städten auf der Nordhalbkugel über einen Zeitraum von sieben Jahren. Darunter waren mehr als 15 deutsche Großstädte – auch Leipzig und Dresden. Ziel der Forschungsgruppe war herauszufinden, wie künstliches Licht und städtische Wärmeinseln den Lebensrhythmus von Pflanzen beeinflussen.
Ihre Ergebnisse waren eindeutig: In Städten beginnt die Vegetationszeit im Schnitt 12,6 Tage früher als im Umland und endet 11,2 Tage später. Verantwortlich dafür ist laut Analyse der Forschungsdaten weniger die Wärme, die sich in Asphalt und Beton staut, sondern vor allem das nächtliche Kunstlicht. Die Helligkeit in Städten nimmt demnach exponentiell zur Stadtmitte hin zu – und mit ihr auch der Eingriff in die natürlichen Abläufe von Bäumen und Sträuchern.
Noch stärker als auf den Anfang der Vegetationsperiode wirkt sich das Licht auf deren Ende aus – also den Zeitpunkt, an dem Blätter sich verfärben und Pflanzen sich auf den Winter vorbereiten. Bäume in der Stadt bleiben deutlich länger "wach" als ihre Verwandten auf dem Land. Ein Effekt, der aber je nach Region und Klima unterschiedlich stark ausfällt – in Europa beispielsweise beginnt die Vegetationszeit laut Studie früher als in den gleichen Breiten Nordamerikas, obwohl nordamerikanische Städte heller leuchten.
Was bedeutet das für die Umwelt?
Eine verlängerte Vegetationsperiode kann durchaus Vorteile haben – durch längere Wachstumszeiten oder bessere Kohlenstoffbindung. Gleichzeitig können Pflanzen so aber in zeitliche Konflikte mit Insekten, Vögeln und der Bodenruhe geraten, was das ökologische Gleichgewicht belasten kann.
Die Forschungsgruppe weist zudem darauf hin, dass die großflächige Einführung von LED-Beleuchtung, deren Licht für Pflanzen besonders wirksam ist, die Effekte noch verstärken könnte. Hierzu sei mehr Forschungsarbeit nötig.
Die Studie empfiehlt ausdrücklich, dass Städte künftig nachhaltigere Beleuchtungslösungen umsetzen sollten, die nicht nur Energieeffizienz und Sicherheit berücksichtigen, sondern auch den Schutz städtischer Vegetation mitsamt ihren ökologischen Funktionen. Ziel sei es, durch gezielte Maßnahmen widerstandsfähige und gesunde urbane Ökosysteme zu fördern. Die Forschungsgruppe betont, dass eine einfache Lösung nicht existiert – die Planung urbaner Beleuchtung müsse sich jedoch stärker als bisher an biologischen Rhythmen der Natur orientieren.
Deutsches Citizen-Science-Projekt "Nachtlichter" ausgewertet
Doch wo genau kommt all das Licht eigentlich her? Genau dieser Frage widmet sich eine weitere, im selben Fachjournal veröffentlichte Studie, die nicht auf Satellitendaten setzt, sondern auf Beobachtungen vom Boden: In einem groß angelegten Citizen-Science-Projekt untersuchten Forscherinnen und Forscher mithilfe von mehr als 200.000 Lichtzählungen in 33 deutschen Städten, welche Lichtquellen für die nächtliche Aufhellung tatsächlich verantwortlich sind – und wie stark sie sich über den Abend verändern.
Das Ergebnis: Es sind längst nicht nur die Straßenlaternen, die die Nächte erhellen. Vor allem Fensterlichter, Werbeleuchten und beleuchtete Fassaden tragen erheblich zum sogenannten "Skyglow" bei – also der diffusen Aufhellung des Nachthimmels, die Pflanzen, Tiere und Menschen aus dem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus bringen kann. In manchen Stadtvierteln überwiegt das Fensterlicht gegenüber der öffentlichen Beleuchtung deutlich – besonders in Mischgebieten mit Wohn- und Geschäftsflächen.

Im Schnitt mehr als eine künstliche Lichtquelle pro Einwohner nach Mitternacht
Die große Forschungsgruppe vom "Team Nachtlichter" zeigt außerdem, dass sich das Lichtaufkommen über die Nacht hinweg deutlich verändert: Während öffentliche Laternen oft konstant leuchten, sinkt die Zahl der erleuchteten Fenster und Schilder nach Mitternacht stark. Dennoch bleibt selbst in der tiefsten Nacht viel Licht an. "Durch Hochrechnungen auf ganz Deutschland konnten wir abschätzen, dass landesweit etwas mehr als ein Licht pro Deutschem nach Mitternacht eingeschaltet bleibt", sagt Projektleiter Christopher Kyba. In Städten wie Leipzig, Berlin oder Köln übertrifft dabei die Zahl der beleuchteten Fenster die der Straßenlaternen mitunter deutlich.
Besonders innovativ an der Studie ist nicht nur der Umfang der Daten, sondern auch deren Detailtiefe: Durch die Beteiligung Tausender Bürgerinnen und Bürger konnten einzelne Lichtquellen getrennt erfasst und nach Typ, Helligkeit und Uhrzeit ausgewertet werden. Auf dieser Grundlage empfiehlt die Forschungsgruppe eine neue, ganzheitliche Herangehensweise an städtisches Lichtmanagement. "Sowohl die Energie- und Beleuchtungspolitik als auch die Forschung über die Auswirkungen von künstlichem Licht auf die Umwelt haben sich im Allgemeinen auf die Straßenbeleuchtung konzentriert", sagt Christopher Kyba. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein breiterer Ansatz, der die gesamte Beleuchtung berücksichtigt, erforderlich ist, um die Umweltauswirkungen des Lichts in den Städten zu verstehen und zu mindern."
Links / Studien
- L. Wang et al. (2025): "Artificial light at night outweighs temperature in lengthening urban growing seasons", Nature Cities
- Team Nachtlichter (2025): "Citizen science illuminates the nature of city lights", Nature Cities
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