• Muslimische Frauen nutzen Hilfsangebote wie Beratungsstellen und Frauenhäuser meist spät – wenn es innerhalb der Familie zu keiner Lösung kam.
  • Eine Muslima berichtet, dass ihr Mann nach der Flucht nach Deutschland nicht akzeptieren wollte, dass sie etwa kein Kopftuch mehr tragen wollte.
  • Die Religionszugehörigkeit im Zusammenhang mit Straftaten wird bislang nicht in polizeilichen Statistiken erfasst.

Im Leipziger Café Mazaj in der Nähe der Eisenbahnstraße. Es läuft arabische Musik, einige Gäste rauchen Wasserpfeife. Das Café ist beliebt bei Frauen aus arabischen Ländern. Eine Journalistin und ein Journalist von MDR INVESTIGATIV kommen mit einigen von ihnen ins Gespräch – über Rollenbilder im Islam, den Koran und Gewalt gegen Frauen. Eine Muslima sagt, sie fühle sich in ihrer Beziehung gleichberechtigt. Eine andere Frau erklärt, in einer Ehe sollten beide arbeiten und sich um den Haushalt kümmern. "Ich bin verheiratet und habe Kinder. Mein Mann macht beides: Er geht arbeiten und macht auch den Haushalt."

Anders klingen die Gespräche über familiäre Rollenbilder vor einem arabischen Supermarkt in Halle an der Saale. Eine Gruppe von arabischen Männern wartet davor. Einer von ihnen erzählt: "Bei uns Muslimen ist es nicht erlaubt, dass Frauen arbeiten. (...) [Die Frau] muss nirgendwohin gehen. Sie muss zu Hause bleiben, die Wohnung sauber halten und sich um mich kümmern." Er bezieht sich dabei auch auf den Koran. MDR INVESTIGATIV gegenüber äußern sich viele Männer in dieser Weise. Aber stimmt das?

Die Islamwissenschaftlerin Professor Dina El Omari erklärt, es sei Auslegungssache ob der Koran eine Schrift sei, die sich für Gleichberechtigung oder die Unterdrückung der Frau einsetzt. "Der Text gibt beides her. Da er eben in einer patriarchalen Gesellschaft entstanden ist, kann man ihn hierarchisch lesen, wenn man ihn wörtlich liest. Man kann ihn aber eben auch geschlechtergerecht lesen, wenn man ihn historisch verortet und neu interpretiert für den jetzigen Kontext."

Die Islamwissenschaftlerin Dina El Omari, betont, der Koran kann zur Rollenbildern von Männern und Frauen verschieden interpretiert werden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Muslimische Frauen nutzen Hilfsangebote erst spät

In den Kommentarspalten der sozialen Medien wird migrantischen, insbesondere muslimischen Männern oft vorgeworfen, gewaltbereiter zu sein – auch in partnerschaftlichen Beziehungen.

Frauen, die einen gewalttätigen Partner haben, können in Frauenhäusern Schutz und Beratung finden. Die bundesweite Frauenhaus-Statistik 2023 zeigt: 69 Prozent der Schutzsuchenden waren nicht in Deutschland geboren. Die drei häufigsten Herkunftsländer: Syrien, Afghanistan und die Türkei. Das liegt jedoch auch daran, dass migrantische Frauen oft kein Geld haben, um im Notfall eine Unterkunft zu bezahlen. Auf dem angespannten Markt erleben sie bei der Wohnungssuche außerdem häufig Diskriminierung.

In Weimar betreibt das Frauenzentrum eine Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen und bietet Schutzwohnungen mit insgesamt 13 Plätzen an. "Die häusliche Gewalt in Partnerschaften, die hat es gegeben, bevor wir muslimische Flüchtlinge aufgenommen haben. Und die gibt es immer noch auch in deutschen Familien", erklärt Ilona Helena Eisner, die seit vier Jahren in dem Zentrum arbeitet. Sie sagt, es gebe keine Unterschiede bei der Ausprägung der Gewalt und den Drohungen. "Wenn ich mir keine Hilfe hole, dann werden die Abstände kürzer und die Gewaltausbrüche werden stärker. Das erleben wir in jedem Kulturkreis, egal, wo die Frauen herkommen", erklärt Eisner. 

Die Frauen in den Schutzwohnungen in Weimar sind hauptsächlich Deutsche. Eine Besonderheit nimmt die Sozialarbeiterin aber doch wahr bei Frauen aus muslimischen Ländern. Die Frauen, die Gewalt erleben, unterstützten sich gegenseitig, berichtet Eisner. "Die wissen durchaus, dass Gewalt da eine Rolle spielt, aber sie versuchen, es innerhalb der Familie zu lösen. Und erst dann, wenn es gar nicht mehr geht, dann kommen sie nach außen und suchen die Hilfeangebote, die wir in Deutschland haben."

Muslimische Frauen versuchen Probleme innerhalb der Familie zu lösen. Erst wenn es gar nicht mehr geht, suchen sie die Hilfeangebote.

Ilona Helena Eisner, Frauenzentrum Weimar

Ilia erlebt Gewalt in der Ehe

Viele geflüchtete Frauen landen daher erst spät im Hilfesystem. MDR INVESTIGATIV hat mit Ilia gesprochen. Das ist nicht ihr richtiger Name, sie möchte anonym bleiben. Sie kam 2015 mit ihrem Mann und zwei Kindern aus Afghanistan nach Deutschland. Sofort hätten die Probleme angefangen, erzählt sie, denn ihr Mann habe nicht akzeptiert, dass sie hier freier leben wollte. "Mein Mann hat gedacht, das ist so wie in seiner Heimat hier. Ich wollte mit zwei Nachbarinnen rausgehen, spazieren oder einkaufen. Und er hat gesagt, das darfst du nicht. Ich habe gesagt, doch, das darf ich hier. Nach dem zweiten Mal, als ich das gesagt habe, hat er mich schlimm geschlagen und mir die Nase gebrochen", berichtet Ilia.

Sie sei noch drei Jahre bei ihm geblieben. Nach der Trennung übte die Familie ihres Ex-Mannes und die afghanische Community Druck auf sie aus. Sie kehrte jedoch zu ihm zurück, als der Druck für sie zu groß wurde. Ilia erzählt, nach einiger Zeit habe er sie wieder heftig geschlagen, bis heute.

Die Gewalt hat mit dem Islam nichts zu tun. Das steht auch nicht im Koran.

Ilia, 2015 aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet

Aber welche Rolle spielt die Religion bei häuslicher Gewalt? Ilia hat früher Kopftuch getragen. "Seit einem Jahr trage ich kein Kopftuch mehr. [Mein Mann] sagt, du bist Muslima und du musst immer mit Kopftuch rausgehen. Aber ich finde, die Gewalt hat mit dem Islam nichts zu tun. Das steht auch nicht im Koran", erzählt sie. "Mein Mann sagt, ich bin ein Mann, ich bin stark und ich muss dich schlagen, denn du bist eine Frau und du musst mir gehorchen."

Solche Geschichten hört Ilona Helena Eisner häufig. Doch sie betont: patriarchales Denken von Männern gebe es auch bei Deutschen. "Möglicherweise ist es in muslimischen Familien ein Teil der Kultur und bei uns denken wir, das sei nicht mehr der Teil der Kultur."

Möglicherweise ist es in muslimischen Familien ein Teil der Kultur und bei uns denken wir, das sei nicht mehr der Teil der Kultur.

Ilona Helena Eisner, Sozialarbeiterin in Weimar

Kaum Daten zu Religionszugehörigkeit und Gewalttaten 

5,5 Millionen Muslime leben in Deutschland, knapp die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Westen sind es überwiegend Türken und Kurden, die seit den 60er Jahren eingewandert sind. Seit 2015 kamen viele Syrer, Iraker und Afghanen – diese stellen die größte Gruppe der Muslime im Osten.

In Deutschland gibt es keine repräsentativen Zahlen zur Religionszugehörigkeit von Tätern häuslicher Gewalt. In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird nur die Nationalität aufgeschlüsselt. Demnach waren 2023 bundesweit rund 63 Prozent aller Tatverdächtigen bei Partnerschaftsgewalt Deutsche. Zu den häufigsten Staatsangehörigkeiten unter Nicht-Deutschen zählten die Türkei, Syrien und Polen.

In Sachsen sind rund 78 Prozent der Tatverdächtigen bei Straftaten häuslicher Gewalt Deutsche, in Sachsen-Anhalt sind es 81 Prozent, in Thüringen ebenfalls. Die häufigsten Herkunftsländer der nichtdeutschen Tatverdächtigen in den mitteldeutschen Ländern sind Syrien, die Ukraine, Afghanistan und Polen. Der Ausländeranteil beträgt laut der Statistik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen insgesamt neun Prozent. Der Anteil der tatverdächtigen Nichtdeutschen bei häuslicher Gewalt ist mit rund 20 Prozent also gut doppelt so hoch.

Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit von Kriminaliät fördern, sind nach Angaben des Bundeskriminalamts vor allem ein niedriger Bildungsabschluss, Arbeitslosigkeit sowie prekäre Lebensverhältnisse. Zusätzlich würden sich auch traumatische Erlebnisse wie Krieg und Gewalt auswirken, die bei Migranten in einem höheren Maße zuträfen.

Beziehung gerät in Gewaltspirale

Dass Frauen in Deutschland mehr Rechte haben, fällt einigen Männern aus muslimisch geprägten Ländern schwer zu akzeptieren. Bei der Recherche zeigt sich: Viele wollen aus Scham und aus Angst vor Stigmatisierung und Rassismus nicht darüber reden. Der Libyer Ammar ist bereit, mit MDR INVESTIGATIV zu sprechen. Auch er heißt eigentlich anders und will anonym bleiben. Ob er selbst in der Familie und in der Schule Gewalt erlebt habe? "Ja, das ist normal in arabischen Ländern", erzählt er. "Der Vater hat die Macht über die Kinder und übt diese auch aus."

Ammar kommt aus Libyen. Er berichtet davon, dass er seine Frau geschlagen habe. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Er erzählt, 2015 seien er und seine Frau vor dem Bürgerkrieg in Libyen über das Mittelmeer geflohen. In den Jahren sei ihre Beziehung in eine Spirale aus Konflikten und Gewalt geraten. 2019 habe seine Frau sich dann von ihm getrennt – nachdem er sie geschlagen hatte.

"Wir haben uns gestritten. Ich wollte sie zum Schweigen bringen, aber sie hat einfach weiter geredet. Sie wollte mich schlagen, da habe ich zurückgeschlagen. Sie ist zu den Nachbarn gerannt und die haben die Polizei gerufen. Die kam und ein Krankenwagen. Sie war dann zwei Tage im Krankenhaus." Ammar muss aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen, erzählt er, darf seine Tochter nicht mehr sehen. Er meint, seine Frau habe ihn provoziert und ausgenutzt. Strafrechtlich verurteilt wurde er zwar nie, dennoch glaubt er: "Die Frauen haben hier zu viele Rechte. Das ist ein Frauenland. Sie nutzen das aus gegen die Männer."

Die Frauen haben hier zu viele Rechte. Das ist ein Frauenland. Sie nutzen das aus gegen die Männer.

Ammar, kam 2015 aus Libyen nach Deutschland geflüchtet

Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe weist er entschieden zurück. Er habe dem Interview zugesagt, um den Männern eine Stimme zu geben, die unter diesen Umständen leiden. Für Wolfgang Palme, der in einer Beratungsstelle zur täterorientierten Anti-Gewaltarbeit arbeitet, ist die sogenannte Schuldumkehr Alltag: Der Täter schiebt die Verantwortung auf die Frau, sie sei Schuld, dass er zugeschlagen habe. Das entlaste den Täter zunächst.

Wolfgang Palme arbeitet in der Beratungsstelle Triade, die sich auf Täter fokussiert. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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