Also mal angenommen, das deutsche Schienennetz ist eine Torte – dann gehören Sahne, Mehl, Zucker und halt die Deko-Kirschen dem Bahn-Konzern. Wer ein Stückchen Torte abhaben möchte, zahlt dafür, so wie man es aus jedem Kaffeehaus gewohnt ist. Wie gut die Torte schmeckt und welche Qualität die Zutaten haben, das entscheidet seit anderthalb Jahren die DB InfraGo – ein neues gemeinwohlorientiertes Unternehmen, das seit seiner Gründung etwas vom Mutterkonzern abgerückt ist.

Aber: "Zum Beispiel gibt es immer wieder Berichte, dass die DB InfraGo zu spät über Baustellen informiert, sodass dann die Bahngesellschaften sehr spät auch erst einen Schienenersatzverkehr einrichten können, Fahrplan ändern können, ihre Kunden, die Bahnfahrer informieren können", sagt Benedikt Schmal von der TU Ilmenau. "Und zuletzt ist ein Problem, dass es sinnvoller sein kann, aus einer rein betriebswirtschaftlichen Perspektive, das Netz so kaputtzufahren, bis der Bund sagt: 'So, jetzt müssen wir richtig Geld in die Hand nehmen'."

Deutsche Schieneninfrastruktur – statt Aktiengesellschaft genossenschaftlich

Die deutsche Schienennetz-Torte schmeckt Schmal zufolge also immer noch nicht so richtig. Die damit verbundenen Einschränkungen sind hinlänglich bekannt und müssen an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Es ist viel mehr Zeit für neue, kreative Ideen, findet Schmal, und wirft im von ihm geleiteten Forschungsforum Mobilitätsökonomik gleich mal eine in den Raum: Was wäre, wenn die Zutaten für die Torte von all denen kommen würden, die ein Stückchen abhaben wollen – Stichwort Genossenschaft? Schließlich organisieren sich einige Banken, Supermarktketten, Wohnungsbaugesellschaften und vor allem Landwirtschaftsbetriebe auch so.

Die Idee dahinter: "Das Schienennetz in die Hand der Nutzer zu geben. Und die Nutzer sind die Eisenbahnverkehrsunternehmen." Also neben der Deutschen Bahn auch jede Menge Privatbahnen im Personen- und besonders im Güterverkehr. Zum Verständnis: Im Personennahverkehr machen die nicht-bundeseigenen Bahnen mittlerweile mehr als ein Drittel aus, Tendenz steigend. Im Güterverkehr sind es sogar über sechzig Prozent. Im Personenfernverkehr hat die Deutsche Bahn mit ihren roten Zierstreifen zwar immer noch ein Quasi-Monopol inne, aber private Anbieter – vor allem Flixtrain oder auch die Westbahn – haben ihre Weichen auf Expansion gestellt. Und dank Bahnreform haben wir gelernt: Weichen kann man nie genug haben.

Ein Herauslösen des Schienennetzes aus dem Bahn-Konzern hätte deutliche Vorteile für alle Bahnen, sagt Benedikt Schmal: "Dass sie Einfluss nehmen könnten auf das Baustellenmanagement, welche Baustellen wie prioritär betrieben werden." Oder, dass Reparaturen dann durchgeführt werden, wenn sie notwendig sind, statt aus wirtschaftlichen Gründen auf Verschleiß zu fahren.

Schöner ICE 3neo, schöne Weiche: Letztere ist nicht selbstverständlich und fehlt vielerorts. Weil Weichen teuer sind, zog die Bahnreform nach sich, viele von ihnen zu entfernen.Bildrechte: imago/Rüdiger Wölk

Eine durchaus charmante Idee, findet auch Klaus Doll vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Er räumt aber ein: "Eigentlich ist das Modell, wie ich den Schienenverkehr organisiere, nachrangig. Es kommt im Wesentlichen darauf an, welche Vision hat der Eigner, der am Ende ja auch die Finanzierung bereitstellt für Investitionen." Im Fall der DB InfraGo wäre das der deutsche Staat. "Nach den Beobachtungen, die man machen kann und den Projekten, die jetzt angeschoben wurden durch die InfraGo, sind die schon auf einem sehr guten Weg." Die Altlasten aus den Neunziger- und Nullerjahren, in denen das Schienennetz börsentauglich gemacht werden sollte, seien schließlich enorm.

Wenn jetzt eine Genossenschaft eingeführt wird, dann ist quasi diese Trennung von Schiene und Betrieb außer der Diskussion

Prof. Dr. Georg HirteTU Dresden

Auch Georg Hirte, der an der TU Dresden zu Verkehrspolitik und Raumwirtschaft forscht, würde dem Modell InfraGo noch etwas Zeit geben, zumal die ihre Gewinne nicht an den Bahn-Konzern, sondern den Bund abführt. Eine Genossenschaft hält Hirte sogar für kontraproduktiv: "Wenn jetzt eine Genossenschaft eingeführt wird, dann ist quasi diese Trennung von Schiene und Betrieb außer der Diskussion, die fällt weg. Es bleibt wieder quasi eine Infrastruktur im Besitz der Unternehmen."

Dem Vorteil der Mitbestimmung würde also im Wege stehen, dass das Schienennetz wieder näher am Bahnbetrieb organisiert ist. Vielleicht wäre es ja auch möglich, eine Schienen-Genossenschaft für alle im Land zu öffnen – sodass auch die Fahrgäste sich ihren symbolischen Meter Schiene kaufen können. Benedikt Schmal von der TU Ilmenau schmunzelt: "Wobei ich schon glaube, in erster Linie sollten die Eisenbahnverkehrsunternehmen beteiligt sein. Auch wenn natürlich der Begriff Bürgerbahn eine ganz neue Bedeutung bekäme." Das Grundproblem würde sich aber möglicherweise auch hier nicht ändern: Für eine leckere Torte braucht es gute Zutaten, egal wer dafür einkaufen geht.

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