Wie innovative Wohn-Projekte auf dem Land Schule machen könnten
- Eine Berlinerin hat eine Eigentumswohnung gegen das Dorf Billberge in der Altmark getauscht.
- Genossenschaftliche Finanzierung soll Bewohnerinnen und Bewohnern den Zugang erleichtern.
- Ein ökologisches Modellprojekt will einen ehemaligen Verwaltungssitz des Johanniterordnes in Werben wiederbeleben.
Die Berlinerin Marlene Brühl hat sich ein Dorf gekauft. Nicht, um es zu besitzen, wie sie sagt. Die Geschäftsfrau möchte einen besonderen Ort erschaffen. In fünf Jahren, so stellt sie es sich heute vor, leben hier Familien mit Kindern und ältere Menschen beisammen, teilen sich Räume zum Arbeiten und nutzen in ihrer Freizeit Gemeinschaftsplätze.
Das Dorf heißt Billberge. Es befindet sich in der Altmark im Norden von Sachsen-Anhalt. Direkt an der Elbe mit Badestrand steht ein altes Gutshaus. Wer ein Synonym für das Paradies sucht, könnte hier fündig werden: Rund um den Gutshof sind Stallungen, Wiesen für Pferde und Scheunen. Es gibt ein paar sterile Mietshäuser aus der DDR-Zeit, drei bewohnte Einfamilienhäuser und ganz viel Platz. Die nächste größere Stadt, Stendal, ist nicht weit entfernt.
Ein Dorf für eine Berliner Eigentumswohnung
Marlene Brühl läuft gerade durch ihr Paradies. Allerdings ist dieses etwas – nun ja, leer. Unentdeckt, würden Optimisten sagen. Und optimistisch ist die Geschäftsfrau. Brühl hat Billberge selber bereits vor einigen Jahren entdeckt, als sie eine Bleibe für ihr Pferd suchte, das sich in der Großstadt nicht wohl fühlte. Damals war Billberge noch ein christliches Jugenddorf vom Bildungsträger CJD. Der wollte es komplett verkaufen.

So kam Marlene Brühl ins Spiel. "Wie die Jungfrau zum Kinde", sagt sie. Sie habe eine Eigentumswohnung in Berlin verkauft und besitzt dafür nun rund 80 Prozent des Dorfes. Den Rest teilen sich drei Familien und ein Reitverein. Aus dem ehemaligen Gut Billberge soll nun ein "Werkdorf an der Elbe" entstehen – mit dem Namen Gutleben Billberge.
Dafür hat sich Brühl professionelle Hilfe geholt. Sie kooperiert für ihre Vision mit der Genossenschaft vielleben. Der Zusammenschluss von Entwicklern, Architekten und Enthusiasten ist bereits geübt in der Umsetzung von neuen Wohnkonzepten auf dem Land. Aktuell baut die Genossenschaft auf einem alten Industrieareal im brandenburgischen Wiesenburg ein sogenannten KoDorf – also ein Dorf zum Leben und Arbeiten.
Hauptwohnsitz in der Altmark
Ähnliches soll auch in Billberge entstehen. Die Zeichnungen dafür sind bereits fertig. Überall im Dorf stehen Schilder, auf denen sich Interessenten ansehen können, wie es einmal werden soll. Die Pläne sind ehrgeizig. In die bestehenden Gebäude sollen 17 neue und moderne Wohnungen gebaut werden. Zusätzlich sind bis zu 22 komplett neue kleinere und größere Wohnhäuser geplant, die jeweils in Gruppen zu einer Art Hof angeordnet werden.
Außerdem sollen Räume und Hallen für Büroarbeitsplätze und Handwerksbetriebe entstehen. "Wir wollen keine Wochenendsiedlung im Grünen, sondern die Menschen, die hier leben möchten, müssen auch ihren Hauptwohnsitz hierher verlegen", sagt Stefan Willuda.
Die Menschen, die hier leben möchten, müssen auch ihren Hauptwohnsitz hierher verlegen.

Willuda ist vom Team Betahof, welches das Projekt in Billberge ebenfalls berät. Er kümmert sich auch darum, dass Menschen überhaupt auf diese neue Form des Zusammenlebens aufmerksam werden. "Wir haben ein erstes Treffen in Billberge organisiert und laden zu weiteren Infoveranstaltungen ein", sagt Willuda. Ziel sei es, eine sogenannte Pioniergruppe zusammen zu bekommen. Das seien etwa zehn feste Interessenten. Erst dann könne das Projekt wirklich starten.
Finanzierung über Genossenschaft
Das hat auch etwas mit der besonderen Finanzierungsform des Vorhabens zu tun. Denn anders als beim normalen "Häuschen im Grünen" erwerben die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner die Grundstücke und Häuser nicht. "Sie werden mit einer Einmalzahlung Mitglied in unserer Genossenschaft und zahlen dann ein monatliches Nutzungsentgeld", sagt Willuda. Somit müssten keine sehr hohen Kredite von den Bewohnern aufgenommen werden.
Einen Kredit zum Bauen nimmt die Genossenschaft auf, die auch in Zukunft die Grundstücke von der jetzigen Eigentümerin Marlene Brühl übertragen bekommt. "Der Besitz hier war mir nie wichtig, sondern dass sich etwas entwickelt." Sie hofft, dass in den nächsten fünf Jahren ihre Vision wahr wird.
Wohnen in früheren Verwaltungsräumen, Ställen und Scheunen
Einen Schritt weiter ist schon ein ähnliches Projekt in Werben. Die kleine Hansestadt mit rund 900 Einwohnern befindet sich ebenfalls an der Elbe in der Altmark – ein Stück nördlich von Billberge. Eine Projektgruppe hat sich der Komturei in Werben angenommen. Diese wurde im 12. Jahrhundert vom Johanniterorden gegründet und war eine Art Verwaltungssitz. Sie war damals die wichtigste Niederlassung des Ordens im nordöstlichen Deutschland. Dementsprechend mächtig und beeindruckend sehen die Backsteingebäude rund um den großen Hof noch heute aus.

Hier soll ein ökologisches Modellprojekt entstehen, das pflegebedürftigen Senioren ein neues Zuhause bieten will – genau wie jüngeren Paaren, Singles oder Familien. Erwerbstätige finden Büros, Ateliers und Werkstätten in direkter Nachbarschaft, für Urlauber gibt es Ferienwohnungen. Damit sollen nicht nur neue Bewohner nach Werben gelockt werden. Auch Alteingesessene können so künftig in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben, wenn sie pflegebedürftig werden.
Im ehemaligen Verwalterhaus der Komturei sind die Ferienwohnungen so gut wie fertig – die Vermietung beginnt noch diesen Sommer. Der Boden ist bereits geölt, die Elektriker installieren gerade die Lichter, als Architekt Jurek Brüggen über das Gelände führt. Zusammen mit seiner Kollegin Aimée Michelfelder will er die historischen Gebäude zu neuem Leben erwecken – und das möglichst nachhaltig.
Durch Experimentieren auch für künftige Bauprojekte lernen
"Wir haben mit sehr vielen ökologischen Materialien gearbeitet", erklärt Brüggen. Der Lehmputz werde in einigen Räumen bewusst sichtbar gelassen. Noch sichtbarer soll es von außen werden: Wo aktuell Holzstützen die Balkone tragen, sollen Bäume gepflanzt werden, die nach 15 bis 20 Jahren die Tragstruktur übernehmen könnten. "Das sind so Experimente, die wir gerne machen, um zu schauen, ob man auch mit lebenden Bäumen tragende Strukturen bauen kann." Dass das unter Umständen auch nicht funktionieren könnte, sieht der Architekt gelassen: "Im schlimmsten Fall müssten wir neue Stützen einbauen."
Brüggen und Michelfelder sind überzeugt: Was sie hier durch Ausprobieren lernen, lässt sich später auch auf weitere Projekte übertragen – vom ökologischen Sanieren bis hin zu Wohnkonzepten. Auch für städtische Bauvorhaben könnte das spannend werden. Es gebe Phasen, wo es sehr anstrengend sei, räumt Michelfelder ein. "Das hat dann aber meistens mit Bürokratie zu tun und nicht mit den Menschen."

Von ruinenartigen Gebäuden, in denen sich bereits Sträucher breit machen, lässt sich das Architekten-Duo nicht abschrecken. Es gebe keinen Neubau mehr, den sie in ihrem Büro gerade planen. Ihre Konzepte entstehen aus dem Bestand – so auch auf dem Gelände der ehemaligen Komturei. Für den Langstall sei schnell klar gewesen, welche Nutzungsform sich anbiete, erklärt Michelfelder: "Das ist hier die größte Fläche, die wir im Erdgeschoss haben." Naheliegend also, hier barrierefreie Wohnungen für pflegebedürftige Menschen einzurichten.
Gemeinschaft für Hof soll in Bauphase zusammenfinden
Das betreute Altenwohnen ist als Nächstes dran – sobald die Ferienwohnungen abgeschlossen sind. Sechs Euro Kaltmiete pro Quadratmeter sind vorgesehen. Durch ein ökologisches Dämm- und Heizkonzept werde die Warmmiete nur geringfügig höher ausfallen, sagt Brüggen. Und auch die übrigen Wohnungen, die zum Schluss angegangen werden, sollen sich in einem ähnlichen Maßstab bewegen. Bis Ende 2033 soll das Gesamtprojekt fertig werden – auch mithilfe von Fördermitteln von Bund, Land und Stadt.
Wenn bis zum Einzug schon Jahre vergangen sind, hat man das schon erproben können und es entsteht eine Gemeinschaft.

Die Suche nach den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern läuft bereits. Aus Erfahrung wissen die Architekten, dass immer auch jemand während des Prozesses abspringt. "Aber wenn bis zum Einzug schon Jahre und Monate vergangen sind, dann hat man das schon erproben können und es entsteht eine Gemeinschaft", sagt Brüggen. Denn alleine auf dem Land zu wohnen, könne er sich als Projekt-Initiator bis heute nicht vorstellen. In einer Hof-Gemeinschaft sieht er dagegen großes Potenzial. Er ist überzeugt: Ist erstmal eine kritische Schwelle überschritten, können auch ländliche Regionen Magnetwirkung entfalten und weitere Menschen anziehen.
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