Die großen Zeiten der Sportfreunde Siegen sind lange vorbei. Die Region ist zu einem blinden Fleck im deutschen Profifußball geworden. Dabei steckt im Siegerland wirtschaftlich und sportlich riesiges Potenzial. Das beginnen die Sportfreunde nun wieder zu heben.

Die Sportfreunde Siegen atmen in diesen Tagen die Luft der großen Fußballwelt. Zweimal ging es gegen Borussia Dortmund, an diesem Samstag kommt der FC Schalke 04. Der eingeschlafene Traditionsklub aus dem Siegerland stillt für ein paar Momente eine gigantische Sehnsucht. Die Gegner der Sportfreunde sollen endlich wieder die Namen tragen, die nach Profifußball klingen, nicht mehr nach Provinz. Viel zu lange hat sich dieser Verein, der in den 1920er- und 1950er-Jahren reüssierte und Titel gewann, durch die Niederungen gewühlt. Schluss damit, Abflug in bessere Zeiten.

Den ersten Zielflughafen auf dem Weg nach oben haben die Siegener erreicht. Nach dem Aufstieg aus der Oberliga Westfalen spielt die Mannschaft nun in der Regionalliga-West. Da heißt es nicht mehr Wiemelhausen oder Finnentrop-Bamenohl (bei allem Respekt!). Nun geht es zum Stadion am Zoo, zum Wuppertaler SV, nun geht es ins herrlich abgerockte Niederrheinstadion, zu Rot-Weiß Oberhausen, nun geht es gegen die zweiten Mannschaften von Schalke 04 und des BVB. Und wie gut sich das anfühlt!

Die späte Eskalation gegen den BVB


Niemand spürte das am vergangenen Sonntag mehr als Jubes Mba Tibah Ticha. Die Sportfreunde waren in der Roten Erde in Dortmund Sekunden davon entfernt, zum ersten Mal seit 18 Monaten ein Auswärtsspiel zu verlieren. Doch dann, in der 95. Minute, schlug der junge Innenverteidiger zu, 2:2 gegen BVB II. Die Siegener konnten ihr Glück kaum fassen. In Unterzahl hatten sie dieses Spiel bei einem vermeintlichen Liga-Favoriten noch gedreht, in dem sie geführt und Malik Hodroj mit Rot verloren hatten, in dem sie in Rückstand geraten waren, um dann doch noch zu eskalieren. 500 Fans feierten mit ihnen.

Einer von ihnen war Matthias Georg, der Geschäftsführer der Siegener. Ein Name, der ganz eng am Aufschwung der Sportfreunde klebt. Seit etwas mehr als einem Jahr ist er zurück in der Heimat. Am 14. April 2024 gab er nach zehn Jahren Regionalliga-Erfahrung bei Kickers Offenbach und dem benachbarten TSV Steinbach Haiger den Job als Berater des 1. FC Düren auf und übernahm in seiner Heimatstadt. "Das Spiel in Dortmund, das war schon ein sehr emotionales Ding", sagt Georg im Gespräch mit ntv.de. Die Sportfreunde hatten auf den Platz gebracht, was sie sich schon im Jahr angeeignet hatten: eine erstaunliche Resilienz, eine bemerkenswerte Mentalität. "Unsere Mannschaft hat eine gute Struktur, eine gute Disziplin. Wir halten die Räume eng, machen es den Gegnern sehr schwer. Das ist schon ein stabiles defensives Fundament. Und vorne haben wir Spieler, die aus wenig Chancen viele Tore machen können. Man hat schon gesehen, dass wir uns nicht verstecken müssen."

Regionalliga? Gerne, aber nicht zu lange

Was aber tatsächlich möglich ist in der Regionalliga, in der sich nach dem Aufstieg des MSV Duisburg kein alles überstrahlendes Schwergewicht mehr befindet, das möchte Georg noch nicht prognostizieren. Nur so viel: "Mit dem Abstieg wollen wir nichts zu tun haben und das ist schonmal das größte Kompliment für einen Aufsteiger, wenn uns dies gelingt."

Die Sportfreunde sind kein gewöhnlicher Aufsteiger. Keiner, der den Weg nach oben gefunden hat und erstmal schauen muss, wie es dort zur Sache geht. Die Sportfreunde wollten hoch und wollen rasch weiterziehen. Noch nicht in dieser Saison, aber spätestens in zwei Jahren, in drei Jahren. Sie fühlen sich historisch zu höherem berufen. Der sportliche Erfolg soll mit der entfachten Euphorie mithalten, auch wenn das immens schwer zu stemmen ist. Wie groß diese ist, wurde den Sportfreunden vor ein paar Tagen vorgelebt. Zur Saisoneröffnung gegen die Profimannschaft des BVB kamen mehr als 18.000 Zuschauer ins Leimbachstadion, ausverkauft.

"Wir wollen auf Dauer 3. Liga spielen"

Die Regionalliga ist das größte Nadelöhr im deutschen Fußball. Eine Liga zwischen Profitum und Dorf-Mief. In der vergangenen Saison gab es phasenweise reichlich Chaos. Nur der Erste steigt auf. Der Zweite ist der erste Verlierer. Wie unerbittlich das Leben in dieser Liga sein kann, hat Rot-Weiss Essen erlebt. 13 Jahre brauchte der Klub, um endlich wieder in die 3. Liga aufzusteigen. Da soll es auch für die Siegener hingehen. Mit Ambitionen, nicht aber mit Arroganz. "Wir tun gut daran, uns erstmal in der Regionalliga zu etablieren", sagt Georg. "Aber wir haben schon den Anspruch, dass wir auf Dauer in der 3. Liga spielen wollen. Aber wir sollten nicht zu vermessen sein. Auch wenn wir natürlich wissen, dass bei einem Traditionsverein wie unserem die Euphorie schneller wachsen kann als der Erfolg." Der ist in Siegen eine zarte Pflanze, im rasanten Wachstum begriffen. "Wenn man sich die letzten Monate anschaut, dann würde ich schon sagen, dass wir die heißeste Aktie im deutschen Fußball sind, was wir da an Entwicklung hingelegt haben, das war atemberaubend", sagt Georg.

Der Zuschauerschnitt stieg von 800 auf 2400. Und er wird in dieser Saison weitersteigen. Wenn auch nicht in dieser Multiplikation. Die Zahl der Sponsoren hat sich verdoppelt. "Ich kenne kaum einen Klub, der in den vergangenen Monaten so stark gewachsen ist", sagt Georg. "Es ist unser Auftrag, dieses Wachstum weiter nachhaltig zu betreiben." Dass das möglich ist, davon ist der Geschäftsführer fest überzeugt, allein schon wegen der Wirtschaftskraft der Region Südwestfalen, die zu den Top-Drei-Regionen in Deutschland gehört. Die Sportfreunde werden von einem breiten Umfeld getragen. Das ist Georg wichtig. "Wenn einer mal nicht mehr kann oder nicht mehr will, dann fallen wir nicht um." Ein Sponsor, der heraussticht, ist die ortsansässige Irle-Brauerei, die von einem Investor getragen wird. Bereits in den 80er-Jahren war die Brauerei Trikotsponsor der Sportfreunde.

Das Beinahe-Drama mit Patrick Helmes

So rasant sich der Klub den Staub der grauen Jahre abklopft, so präsent sind diese Zeiten indes noch. Als der aktuelle Trainer Thorsten Nehrbauer im Oktober 2023 übernahm, steckte Siegen in der Bedeutungslosigkeit fest. Die Mannschaft wurde am Ende Tabellenachter, jenseits von allen Aufstiegsträumereien, aber auch jenseits von den Regionen, die den Klub endgültig ins Fußball-Nichts stürzen würden. Ein Jahr zuvor, in der Saison 2022/23 wär's fast so weit gewesen. Ausgerechnet unter Patrick Helmes, dem Ortsheiligen, dem 13-fachen DFB-Spieler, der den Verein in der Saison 2004/05 letztmalig in die 2. Bundesliga schoss und dann zum 1. FC Köln ging, war der Abstieg nah. Erst am letzten Spieltag gab's die Rettung.

Im Siegerland war einiges aus den Fugen geraten. Die gewachsene Fußball-Hierarchie in Fetzen gerissen. Die Sportfreunde lagen auf der sportlichen Intensivstation und sahen von dort, wie der 1. FC Kaan-Marienborn an ihnen vorbeigeflogen war, der kleine Stadtteilverein, der so große Investoren und Pläne zusammengebracht hatte. Als Aufsteiger war die Mannschaft Fünfter in der Regionalliga-West, also eine Liga über den großen Sportfreunden, geworden. Das Fußballprojekt Kaan-Marienborn, das den "Siegerländer Weg" ausrief, war jahrelang das rote Tuch. Mit Neid und Missgunst ist das Verhältnis beider Klubs gut beschrieben. Versuche, sie zusammenzubringen, misslangen gnadenlos. Das finanziell gut gefütterte Kaan-Marienborn scheiterte schließlich am eigenen Mega-Wachstum, konnte mit den Regionalliga-Anforderungen nicht Schritt halten und kollabierte. Der Verein ist heute ein Kreisligist.

Große Pläne für das Stadion

Die Zeit der Grabenkämpfe in Siegen soll nun endgültig begraben werden. "Ich spüre, dass die Region an einem Strang zieht", sagt Georg. Das Siegerland, der blinde Fleck im deutschen Profifußball, möchte wieder sehen und gesehen werden. Und so ist auch die Stadt Siegen wieder aus der Höhle gekrochen und investiert, unter anderem in die Modernisierung des alten Leimbachstadions. "Die Stadt war lange vorsichtig, weil der Erfolg nicht da war", sagt Georg. Es war in der unruhigen Gemengelage schwer, finanzielle Mittel für den Fußball freizugeben. Nun aber bewegt sich was. Das Stadion hat neue Sitzschalen, ein neues Toiletten- und Kassenhaus. Viele kleinere Sanierungsarbeiten sind gemacht worden, große Umbauarbeiten stehen an. Georg träumt davon, bald auch die Gegentribüne zu überdachen. Aktuell ist nur die Haupttribüne von oben geschützt.

Es ist kein Projekt für die nächsten Monate. Aber Georg denkt groß, sportlich wie infrastrukturell. Mit seiner Überzeugung hat er in der Region viele Partner gewinnen können. Die waren ihm gegenüber, so sagt er, direkt aufgeschlossen. Keine Ablehnung, keine Verbitterung, keine Widerstände. Keine Gedanken an den ewigen Misserfolg. Aufbruchstimmung. "Ich habe davon profitiert, dass unser Vorstand schon in den Jahren zuvor mit harter und ehrlicher Arbeit viel Vertrauen wiederhergestellt hat." Vor allem Roland Schöler, dessen Geschichte den Verein extrem bewegt. Der Vorsitzende machte kurz nach dem Aufstieg Ende Mai eine Krebserkrankung öffentlich und zog sich vorübergehend zurück. Mit Freude sieht er nun, wie seine Arbeit dicke Früchte trägt.

"Spieler sollen sehen, dass hier jeden Tag etwas passiert"


Die sehr gut funktionierende Mannschaft um Trainer Nehrbauer, ehemaliger Zweitliga-Profi und zuvor ausgerechnet Erfolgscoach bei Kaan-Marienborn, konnte im Sommer weitgehend zusammengehalten und um ein paar Leistungsträger ergänzt werden. Schlüsselspieler wie Cagatay Kader und Arif Güclü blieben, ebenso Jubes Mba Tibah Ticha, der sich trotz Angeboten für die Sportfreunde und deren Perspektive entschied. Mit Josue Santo wurde ein Sturmtalent verpflichtet, mit Justin Ospelt eine neue Nummer eins. Auch Hamza Saghiri, Dennis Brock und David Kammerbauer schafften es direkt in die Startelf.

Neben dem sportlichen Erfolg, der maßgeblich für die Entwicklung ist, will Georg aber das gesamte Umfeld der Sportfreunde professionalisieren. Und das mit unvermindertem Tempo. Die Bedingungen für das Team sollen verbessert werden. Die Kabine wurde neu gemacht, ein frischer Kunstrasen auf dem Stadiongelände verlegt. "Was wir dringend brauchen, ist eine Rasenheizung. Sonst haben wir unseren Konkurrenten gegenüber einen gravierenden Nachteil", sagt Georg. Bei der Realisierung soll die Stadt helfen. Für einen Videoanalyseraum sind Fördermittel beantragt, für die Physiotherapeuten wurden eigene Geräte angeschafft. Eine Sauna wird angeschafft. "Wir wollen, dass auch die Spieler erkennen, dass der Verein alles für sie tut. Dass hier jeden Tag etwas passiert." Das kann, glaubt Georg, wichtige Argumente liefern, umworbene Fußballer zu halten.

Eine andere Ebene, die der Geschäftsführer angeht: der Stadionbesuch. Der soll attraktiver werden. Neben dem eingeführten, überfälligen Online-Ticketing wurde der Gastrobereich ausgebaut, die VIP-Loge neu gestaltet und der Kids Club installiert. Der Hype um die Sportfreunde ist groß. Jetzt kommt Schalke. Und vermutlich weit über 3000 Zuschauer. Danach geht's im Landespokal aber nach Altenbochum, an den Sportplatz Am Pappelbusch. Die Sportfreunde Siegen leben in einer Zwischenwelt - und atmen die Luft des großen Fußballs.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke