Der FC Bayern macht zum Auftakt der neuen Bundesliga-Saison kurzen Prozess mit RB Leipzig. Die Sachsen können dem Offensivfußball des Rekordmeisters nichts entgegensetzen. Das wahre Spektakel aber spielt sich auf der Tribüne ab.

In einem als ewiger Freudentaumel für den FC Bayern München daherkommenden Eröffnungsspiel der 63. Bundesliga-Saison lehnt sich Uli Hoeneß in der 42. Minute auf der Ehrentribüne nach vorne. Das Stadion feiert gerade den zweiten Treffer von Michael Olise, das dritte Tor der Bayern insgesamt. Das Stadion kommt aus dem Feiern nicht mehr raus und mit dem Stadion natürlich auch die Bosse des FC Bayern.

Der Sieg gegen RB Leipzig ist bereits vor der Pause eingefahren. Auf dem Platz spielt nur eine Mannschaft. RB Leipzig ist indisponiert, erinnert phasenweise an den FC Schalke 04. Der war 2020 zum Auftakt der Pandemie-Saison mit einem 0:8 aus der Allianz Arena gejagt worden. Danach gab es für den Meister kein Heimspiel mehr zum Saisonauftakt. Beim Comeback des "Heimauftakts für Meister" fünf Jahre nach Schalkes Horrortrip nach München demütigt Bayern nun die Gäste aus Sachsen. Am Ende steht es 6:0 für den Rekordmeister (alle Highlights hier auf RTL+).

Das genaue Ergebnis kann Hoeneß kurz vor der Pause noch nicht wissen, aber die Anerkennung muss raus. Was oben auf der Ehrentribüne passiert, beschreibt Max Eberl, der Sportvorstand des Rekordmeisters, später so: "Er reichte mir die Hand rüber und ich habe sie gerne genommen. Weil das 3:0 einfach ein schönes Tor war." Eines von vielen schönen Toren, wie Eberl voller Stolz anmerkt und aus dem Schwärmen nicht mehr herauskommt. Fast sei dieses Spiel perfekt gewesen, nur Kleinigkeiten hätten dazu gefehlt, das Team bereite ihm große Freude und überhaupt: ach, wie schön doch alles ist!

Bayern freut sich über die Duftmarke

Wenn Eberl über die Mannschaft des FC Bayern spricht und besonders über das, was auf dem Platz passiert, strahlt er. Oder er wird fuchtig. Nicht an diesem Abend. Nach einem 6:0 muss er das nicht, aber an anderen Abenden, wenn er sich vor seine Spieler schmeißt und rumpoltert. Der FC Bayern liefert immer eine ordentliche Show ab. An diesem Freitag ist es eine spektakuläre Show. Eine, die in dieser Form vielleicht so früh in der Saison nicht zu erwarten war.

"Mir geht es sehr, sehr gut heute Abend", sagt er. "Wir haben eine Duftmarke gesetzt. 6:0 gegen RB Leipzig. Das ist ein Ausrufezeichen und das muss man so stehen lassen." Vielleicht nicht nur stehen lassen, sondern auch anschauen. Denn Eberl muss nicht einmal übertreiben, wenn er von dem 3:0 durch Olise schwärmt, er muss nicht übertreiben, wenn er wenig später Luis "Lucho" Diaz in den Himmel lobt und das 2:0 durch den Neuzugang von Liverpool speziell hervorhebt.

Der Treffer in der 32. Minute durch Lucho ist ein perfekter Treffer. "Keine Ahnung, wie viel Ballkontakt wir vor dem Strafraum auf engstem Raum hatten. Das ist fußballerisch schon außergewöhnlich." Tatsächlich wird der unter die Latte gehämmerte Ball vom 70-Millionen-Mann aus der Premier League mit einer perfekten Kombination über ein paar Dreiecke tief in der Leipziger Hälfte herausgespielt.

Luis Diaz auf Joshua Kimmich, der auf Harry Kane und der auf den einlaufenden Serge Gnabry, Hackentrick und am Ende der Kette wartet wieder "Lucho", der ehemalige Schützling von Jürgen Klopp. Luis Diaz setzt den Ball unter die Latte. Kimmich fallen die Augen aus. Er reißt seinen Mund weit auf, schreit und mit ihm schreit ein ganzes Stadion.

Leipzig kassiert heftige Schläge

Nur die Leipziger nicht. Sie stehen dort und staunen. Sie staunen auch beim 3:0 und sie kommen bei Kanes Hattrick in der zweiten Halbzeit nicht mehr mit dem Staunen hinterher. Das erste Tor legen sie sogar auf. Im Fallen stochert Castello Lukeba den Ball im Strafraum zu Bayerns Olise. Lukeba und Innenverteidigerkollege Willi Orban sehen die Bälle sonst über ihre Köpfe fliegen und die Gegner in ihren Rücken enteilen. Die Außenverteidiger Ridle Baku und David Raum trugen ihren Teil dazu bei. "Wir haben aufs Maul bekommen", erklärt der neue Leipziger Kapitän später um Fassung ringend vor den Mikrofonen.

Die Münchener vermöbeln Leipzig. Das löst in der Liga trotzdem kaum Angst und Schrecken aus. 18 von 18 Erstligatrainer haben ohnehin auf den FC Bayern als Meister gesetzt. Zu sehr hat der Rekordmeister die Machtverhältnisse bereits im vergangenen Jahr wieder gerade gerückt. Zu gut hat der Klub sich auch in diesem Sommer verstärkt. Diaz aus Liverpool, Jonathan Tah aus Leverkusen, der junge Tom Bischof aus Hoffenheim sind gekommen. Dahinter lauert der 17-jährige Lennart Karl, der gegen Leipzig über 20 Minuten auf dem Platz steht und beinahe trifft. "Wir haben für die jungen Spieler Platz geschaffen", sagt Eberl. Das kann man glauben oder auch nicht. Ist aber an diesem Tag egal.

An diesem Tag geht es um die anstehende totale Dominanz der Münchener. Vincent Kompany hat dem FC Bayern eine klare Struktur verpasst, die Mannschaft weg von Thomas Tuchels hektischen Anpassungen gebracht. Die Abläufe passen an diesem Abend, ständige Positionswechsel in der Offensive lassen kaum Zugriff auf die Offensive zu. Die Bayern sind überall und Leipzig ist nirgends. Einmal sind sie da. Die Leipziger treffen zum 1:4. Doch gejubelt wird nicht lange. Da Lukeba im Vorfeld einen Freistoß andribbelt, wird das Tor von Schiedsrichter Badstübner noch zurückgenommen. Am Ende bleibt immerhin der Rekord: Noch nie hat Leipzig in der Bundesliga höher verloren. So lange sind sie aber auch noch nicht dabei.

Die Stars aus der Premier League treffen

An diesem lauen August-Freitag treffen also nur die Bayern und da sind es drei Top-Stars. Drei Spieler, die in den vergangenen Jahren aus der Premier League an die Isar gekommen sind. Diaz erzielt das 2:0, Olise das 1:0 und 3:0 und den Rest erledigt Kane dann mit seinem Hattrick in der 64., 74. und 78. Minute. Zusammen haben diese drei Spieler 218 Millionen Euro gekostet. Eine Menge Geld, eine Menge Qualität. In Deutschland kann sich das niemand sonst leisten. In Deutschland hat aber auch niemand sonst die Strahlkraft, derartige Spieler überhaupt anzulocken. Woanders heuern die Jungstars an, in München sind es große Namen. Namen, die jeder kennt, der irgendwann einmal Fußball geschaut hat.

Doch die jährlichen Neuzugänge aus der Premier League sind auch eine Täuschung. Denn Geld und Strahlkraft sind dem FC Bayern über die Jahre ein wenig abhandengekommen. Während drüben in England der ehemalige Trainer Pep Guardiola bei Manchester City immer mal wieder über einen viel zu großen Kader klagt, während auf der Insel Chelsea massenhaft Spieler loswerden will, kann der Rekordmeister keinen ähnlichen Kader mehr finanzieren. Weil der Bundesligist teils höhere Gehälter zahlen muss, um die Stars aus der erfolgreichsten und sportlich ausgeglichensten Liga nach Deutschland zu locken. Es ist eine Art Festland-Zuschlag für die Spieler von der Insel und für die Spieler, die von der Insel ferngehalten werden sollen.

Max Eberl macht alles, aber Hoeneß will mehr

"Wir sind Fußballjunkies", sagt Eberl vor dem Spiel bei Sky. Dort redet er über seine Vorfreude auf die neue Saison. Dabei wollen alle nur hören, wie er sich gegen den neuesten Befehl des Aufsichtsrats auflehnt. Eberl darf keine Spieler mehr kaufen. Er muss jetzt leihen. Nachdem er doch schon eine ganze Offensive abgegeben hat. Thomas Müller ist weg, Leroy Sané auch. Mathys Tel, Kingsley Coman und Paul Wanner spülen ordentlich Geld in die Kassen. Aber nicht genug. Nur für die DFB-Star Florian Wirtz oder Nick Woltemade gibt es ein Umbruchssondervermögen. Beide sind aus unterschiedlichen Gründen aber verhindert. Das Sondervermögen wird gestrichen.

Eberl muss das gestalten, was er gestalten darf. Uli Hoeneß macht immer noch die Ansagen. Ein Leihspieler soll her und da sind alle ganz aufgeregt: Weil ein Leihspieler kein echter Transfer ist und es kaum vorstellbar scheint, dass ein Leihspieler den FC Bayern in der Champions League in Richtung Titel führen kann. Das Problem beim FC Bayern ist nicht der Bundesliga-Titel, es ist die Königsklasse. Dort ist Jahr für Jahr vor dem Finale Endstation. Zu wenig für das Selbstverständnis des Klubs.

Dort entscheidet sich, ob die Saison gut oder schlecht oder vielleicht doch überragend abläuft. Dort aber verdichtet sich die Qualität derart, dass ein zu kleiner Kader schnell durch Verletzung oder Erschöpfung aus der Spur geworfen werden kann. Was gegen Leipzig oder Hoffenheim reicht, kann in Spielen gegen Barcelona, Liverpool oder auch Inter plötzlich nicht mehr reichen.

Deutschland ist süchtig nach dem FC Bayern

"Wir sind vorsichtige Kaufleute", sagt Präsident und Aufsichtsratsboss Herber Hainer vor dem Spiel im Vereinsmuseum. Dort verkündet er die Vertragsverlängerung mit der Telekom und liefert den entscheidenden Satz. Er sagt: "Wir liefern jeden Tag Content." Darum geht es im Unterhaltungsgeschäft Profifußball. Keiner weiß das besser als Uli Hoeneß. Er hat das Unterhaltungsgeschäft Profifußball in Deutschland erfunden und die Konkurrenz stehengelassen.

Der FC Bayern ist der dominierende Klub in Deutschland. Der Rekordmeister lässt niemanden kalt. Alles, was in München passiert, wird überhöht. Die Bayern nehmen es gerne mit. Sie sind eine Content-Maschine, das Land ist süchtig nach den neuesten Erzählungen des Sterns des Südens. Die aktuelle wird maßgeblich von Eberl geprägt. Da reicht Hoeneß ihm nach spektakulären Toren seiner Spieler die Hand und Eberl nimmt sie gerne an. Er ist ein Fußballjunkie unter Kaufleuten.

Eberl ist aber auch ein Kaufmann. Einer, der nur noch leihen darf. "Am 22. August werden wir nicht mehr die eierlegende Wollmilchsau finden, die wir gerne hätten und die noch zu verleihen ist und die nichts kostet. Das ist zu viel der Wünsche, glaube ich", sagt Eberl und lacht und wenn er genau ist, kann er die auch im Januar noch finden. Bis zum nächsten Transferfenster dürfte dieser Kader erst einmal ausreichen. Bayerns Probleme beginnen meist erst, wenn die Tage wieder länger werden. Jetzt aber werden sie kürzer.

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