Einer gegen alle Deutschen
Erfolg fußt im Sport, ganz grundsätzlich, auf drei Säulen: Talent, Training und Wille/Disziplin. Im Spitzenbereich finden sich vornehmlich Athleten, bei denen allen drei Voraussetzungen in besonderem Maß ausgeprägt sind. Wenigen genügt es, ihr Talent mit hohen Trainingsumfängen zu paaren, mancher erreicht Höchstleistungen allein dank Talent und großer Willenskraft. Und beliebt bei den Fans sind meist jene, die sich über viel Training und eisernen Willen zum Erfolg bringen, sich ihre Leistungen also erarbeiten. Mindestens zwei der drei Komponenten müssen gegeben sein. Es sei denn, man ist Luka Doncic.
Wohl kein Sportstar unserer Zeit ist in seiner Karriere so weit gekommen, ohne die in die Wiege gelegten Fähigkeiten so wenig weiterentwickelt zu haben. Der Slowene galt schon im Alter von zwölf Jahren als Basketball-Wunderkind. Und noch heute sieht man seine außergewöhnlichen Fähigkeiten und seine spielerische Leichtigkeit auch Abseits von Wettkämpfen, wenn er Bälle aus aberwitzigen Distanzen schier gelangweilt in den Korb wirft. Mal einhändig, mal beidhändig, ob im hohen Bogen bis kurz unter das Dach der Trainingshalle oder auf direktem Weg flach durch den Ring. Doncics Talent ist einzigartig und hat ihn zum Superstar gemacht, doch wie bei Genies so häufig der Fall, ist der Wahnsinn nicht fern.
Momentan weilt Doncic in Riga bei der Europameisterschaft mit Slowenien. Wobei der vermeintlich unverfängliche Satz durchaus gewagt ist. Eigentlich ist die Nationalmannschaft mit ihm unterwegs. Am Mittwochabend (20 Uhr, live bei MagentaSport und RTL) trifft er im Viertelfinale auf Deutschland, und weil Basketball laut Regelwerk eine Mannschaftssportart ist, wird der Superstar der Los Angeles Lakers auch im siebten Turnierspiel wieder vier Statisten als Mitspieler an die Seite gestellt bekommen. Klingt übertrieben? Schauen wir auf die Zahlen der jüngsten Doncic-Dominanz.
Im Achtelfinale am Sonntag gegen Italien stand es nach dem ersten Viertel 29:11 für Slowenien, und mit seinen 22 Punkten hatte der 26-jährige Alleinunterhalter nicht nur doppelt so viele Zähler wie die gesamte gegnerische Mannschaft, sondern auch mehr als alle anderen Spieler auf dem Feld, Slowenen und Italiener, zusammen erzielt.
Nach der ersten Hälfte (50:40) waren es 30, am Ende 42, was beim 84:77 letztlich die halbe Miete bedeutete. Doncic ist – wenig verwunderlich – der herausragende Superstar dieses EM. 204 Punkte hat er in den bisherigen sechs Spielen erzielt. Und die Lücke zum zweitbesten Schützen dieser EM sagt viel aus: Finnlands Lauri Markkanen kommt auf gerade einmal 156 Zähler.
Deutschland hat viele Waffen, Slowenien eine
Der slowenische Basketball ist eine One-Man-Show und damit das komplette Gegenteil der deutschen Delegation. Die ungeschlagene DBB-Auswahl hat mit den beiden NBA-Spielern Franz Wagner (Orlando Magic) und Dennis Schröder (Sacramento Kings) nicht nur zwei herausragende Akteure, sondern besticht vor allem durch ihre Qualität in der Breite. Während Doncic durchschnittlich 33,4 der 40 Minuten pro Spiel auf dem Feld steht, kommt Schröder auf 27,3 Minuten, Wagner konnte sogar noch länger geschont werden, steht im Turnier bei durchschnittlich 23,5 Minuten.
„Gegen die Deutschen brauchen wir das perfekte Spiel, um sie zu schlagen“, sagte er nun vor dem Viertelfinale, meinte damit wohl vor allem sich selbst und fügte mit Blick auf den gegnerischen Kader etwas neidisch an: „Sie spielen unglaublich. Wagner ist der Hauptakteur, der Motor, aber sie haben so viele Waffen.“
Bis tief in den Kader kann Bundestrainer Alex Mumbru, der sich die Chefrolle aufgrund seiner Erkrankung mit seinem Assistenten Alan Ibrahimagic teilt, je nach Spielsituation und Gegner und ohne Reibungsverluste auf nahezu gleichwertige Alternativen zurückgreifen.
Bestens zu beobachten war das im Achtelfinale gegen Portugal. Als bei Wagner, Schröder, Andreas Obst und den anderen deutschen Schützen der Ball partout nicht durchs Nylon wollte, setzten die deutschen Trainer auf Maodo Lo, der wie selbstverständlich das Spiel von der Bank kommend entschied und einen standesgemäßen Sieg herauswarf. Deutschland hat eine außergewöhnliche Mannschaft, Slowenien einen einzigartigen Mann.
Es ist die ungleiche Ausrichtung und Philosophie, die dieses Viertelfinalduell so interessant macht. Hinzu kommt der Einsatz, der auf dem Spiel steht. Ein Sieg wäre gleichbedeutend mit der klaren Favoritenrolle auf den Titel. Nach dem Ausscheiden von Serbien und Frankreich wirkt das Duell mit den Slowenen wie ein vorweggenommenes Endspiel. Ohne die Griechen mit Giannis Antetokounmpo und Alperen Sengüns Türken zu unterschätzen, wäre die höchste im Turnier verbliebene Hürde wohl übersprungen.
Die Anklageschrift: zu faul, zu fett, zu satt
Denn auch wenn Doncic während seiner sieben NBA-Jahre bei den Dallas Mavericks und den Lakers als fünfmaliger All-Star bislang nur Auszeichnungen als Spieler einsammelte, hat der Sohn eines jugoslawischen Basketballprofis seiner Vita auch schon Teamerfolge hinzufügen können. Dreimal wurde er als Teenager mit Real Madrid spanischer Meister, zweimal Pokalsieger, 2018 gewann er die EuroLeague. Ein Jahr zuvor war er mit Slowenien überraschend Europameister geworden.
Dass auf Mannschaftsebene in den vergangenen Jahren trotz seiner Fähigkeiten nicht mehr als eine NBA-Finalteilnahme mit Dallas 2024 heraussprang, ist seines außergewöhnlichen Potenzials eigentlich nicht angemessen, für viele Beobachter aber keineswegs verwunderlich.
Zu lang ist die Liste seiner Verfehlungen und Versäumnisse. Die Anklageschrift: zu faul, zu fett, zu satt. Doncic verschwende verantwortungslos sein Talent, habe keine Disziplin, sei chronisch unpünktlich und mit seinem Auftreten ein schlechtes Vorbild für das Team. Er habe keine Führungsqualitäten und werde daher über den aktuellen Status des spektakulären Zauberers nicht mehr hinauskommen.
Es gibt zahlreiche Geschichten und Anekdoten über seine Laster. Und wer seinen schärfsten Kritikern zuhört, könnte meinen, dass er eigentlich am liebsten ausschließlich Zigaretten rauchend und Dosenbier trinkend in Badeschlappen Karten spielen würde. Tatsächlich hat er dieses Bild des Lebemanns aktiv mitgestaltet. Gewichtsprobleme und mangelnde Fitness waren alljährlich unübersehbar, und von einigen Gelagen am Kartentisch gibt es Bildmaterial.
Aus „Luka Magic“ wurde „Skinny Luka“
Unprofessionalität, die zu Jahresbeginn im überraschenden Ende bei den Mavericks mündete. Eigentlich war er auserkoren, in Dallas als Nachfolger der deutschen Ikone Dirk Nowitzki eine Ära zu prägen. Stattdessen zogen die Verantwortlichen die Reißleine und gaben ihn im Februar – nach Meinung vieler unter Wert – im Tausch mit Anthony Davis an Los Angeles ab.
Und auch an neuer Wirkungsstätte holten ihn die alten Vorwürfe schnell ein. Doncic spielte zwar spektakulär, konnte die Mannschaft an der Seite von Superstar LeBron James aber nicht weit bringen. Schon in der ersten Play-off-Runde war Schluss und Doncics Kredit aufgebraucht. Trainer JJ Redick adressierte in seiner Analyse ungewohnt deutliche Kritik an Doncics Defensivverhalten und Fitness.
Sein neues Team war es dann auch, das ihm die Sommerplanung abnahm. Mit einem Stab aus Ernährungsberatern, Physiotherapeuten und Fitnesstrainern musste das schlampige Genie an seinen Defiziten arbeiten. Er begann mit Intervallfasten, nahm täglich mindestens 250 Gramm Eiweiß zu sich, indem er konsequent Eier und Hühnchen zu den Mahlzeiten zu sich nahm. Reis oder Nudeln gibt es seitdem selten. Gegen den Heißhunger helfen ihm Nüsse, die er seitdem bei sich trägt.
Erste Bilder ließen die Basketball-Welt aufschrecken. Aus „Luka Magic“ wurde „Skinny Luka“. Nie hatte man ihn so fit gesehen, und auch er selbst äußerte sich positiv zu seinem neuen Aussehen. Er schlafe besser, sei leistungsfähiger, fühle sich fitter und gesünder, sagte er und stellte für die im Oktober beginnende NBA-Saison damit die Antwort auf eine überaus spannende und viel diskutierte Frage in Aussicht: War Doncic trotz oder wegen seines unprofessionellen Lebensstils so gut? Sprich: Braucht er seine Exzesse, um außergewöhnliche Leistungen abrufen zu können, oder waren Kippen, Bier und Fastfood Hemmnis der Vollendung zum vielleicht großartigsten Basketballspieler der Geschichte?
Erste Indizien sind bei der EM auch für die angereiste Lakers-Geschäfsführung noch nicht erkennbar. Insbesondere bei den ersten beiden Gruppenspielen, den Niederlagen gegen Polen (95:105) und Frankreich (95:103), war eigentlich alles wie immer: Doncic erzielte mit 34 und 39 Zählern spektakulär viele Punkte, hatte gute Statistiken bei Rebounds und Wurfquoten, wirkte am Ende jedoch körperlich ausgelaugt. Alles wie immer also, nur dass er dabei eben besser aussieht.
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