Im vergangenen Jahr lieferte Triathlet Patrick Lange sein Meisterstück ab: Zum insgesamt dritten Mal und sechs Jahre nach seinem zweiten Sieg triumphierte er erneut beim Ironman Hawaii und krönte sich damit zum Ironman-Weltmeister. Aufhören kam danach für ihn nicht Frage, und so steht er am kommenden Sonntag erneut am Start der Ironman-WM – mit 39 Jahren und damit als mit Abstand ältester Athlet unter den Favoriten.

Nicht auf Hawaii, sondern in Nizza. Nachdem Ironman die WM 2023 nach Geschlechtern örtlich und zeitlich getrennt hatte und es einen ständigen Wechsel zwischen Big Island und der französischen Mittelmeerstadt anstrebte, ist dieses Konstrukt ab 2026 wieder Geschichte. Die Männer suchen also zum zweiten und letzten Mal ihren Profi- sowie die Altersklassen-Weltmeister an der Côte d'Azur. Ab 2026 geht es zurück zum ursprünglichen Modus: ein Renntag auf Hawaii für Frauen und Männer.

WELT: Herr Lange, sind Sie guten Mutes, in Nizza die jüngere Konkurrenz im Griff zu haben?

Lange: Es wird nicht leichter, das ist klar, aber wenn ich hingehen würde und es nicht für möglich hielte zu gewinnen, könnte ich auch zu Hause bleiben. Also ja, ich glaube nach wie vor daran, dass ich diese Weltmeisterschaftsmagie wieder anknipsen kann. Die Enttäuschung beim Ironman Frankfurt war ja leider fast erwartbar – das Rennen ist mir leider noch nie geglückt. Es ist irgendwie verflucht für mich, auch wenn es drumherum natürlich eine total schöne Veranstaltung ist. Deshalb gibt es mir auch keinen Knacks.

WELT: Sie hatten dort Magen-, Fuß- und Rückenprobleme, wurden am Ende Siebter.

Lange: Der Fuß tat auch lange danach noch weh. Das war total krass. Und im Prinzip „nur“, weil ich in Frankfurt beim Laufen zum Fahrrad, barfuß vom Schwimmen kommend, auf einen Stein getreten bin, der unter dem Teppich lag. WELT: Und was macht der Rücken?

Lange: Den habe ich im Griff. Die Saison läuft nicht glatt, das ist ganz klar. Die Adduktorenverletzung hat länger gedauert als gedacht. Und nach Frankfurt habe ich auch ein paar Tage länger gebraucht, um wieder ins Training zu kommen. Letztens hat mich dann noch eine Biene ins Gesicht gestochen. Alles Dinge, auf die man verzichten kann, aber ansonsten ist alles gut. Ich bin nach Frankfurt noch mal ins Höhentrainingslager nach St. Moritz für eine spezifische Vorbereitung gefahren, mit vollem Fokus. Ich bin wirklich guten Mutes, dass ich mich wieder in die Position gebracht habe, um vorn mitreden zu können – und darum geht es. Erneut um das Podium kämpfen zu können.

WELT: Um etwas mit Leidenschaft und viel Aufwand zu betreiben, braucht es einen Grund. Was ist Ihr „Warum“ – vor allem: Wie hat es sich in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Lange: Ich glaube, das hat sich gar nicht so sehr verändert. Vor allem in schweren Zeiten oder Momenten besinne ich mich gerne darauf zurück, warum ich das Ganze einst angefangen habe, warum ich gut bin in dem, was ich mache – und dann, was ich damit bewirken kann. Letzteres hat sich tatsächlich verändert: Während ich früher den Wunsch hatte, etwas bewirken zu können, sehe ich jetzt, dass ich tatsächlich Leben verändern kann. Und das ist wirklich ein großer Teil meines Antriebs. Natürlich finde ich Erfolge toll und möchte gewinnen, und das Pushen der eigenen Grenzen treibt mich ebenfalls. Ich habe auch weiterhin Spaß am Triathlon.

WELT: Aber?

Lange: Ich habe im Laufe der Zeit immer mehr gemerkt, dass Leute zu mir kommen und zum Beispiel sagen: „Ich hatte mit dem Sport überhaupt nichts zu tun, mir ist dein Buch in die Hände gefallen, und ich habe 60 Kilo abgenommen und mit Sport begonnen. Das hat mein Leben verändert. Ich bin gesund, und ich finde es geil.” Da geht mir das Herz auf. So etwas freut mich. Es gibt dem Ganzen noch einen anderen Sinn. Auch in dem letztjährigen Hawaii-Erfolg steckt ja einiges. Dieses Durchhaltevermögen und es noch mal allen gezeigt zu haben, die mich schon abgeschrieben hatten. Zu sehen und zu zeigen, dass sich Hartnäckigkeit auszahlt.

WELT: Ist es denn auch so, dass Sie das Quälen und Leiden bei langen, harten Einheiten oder im Wettkampf genießen? Oder ist „Qual“ eh das falsche Wort?

Lange: Ich glaube, in dem Moment gibt es wenige Menschen, die das wirklich genießen. Wer das behauptet, ist schon hart, aber genau deswegen macht man es ja. Man will sehen, wo die körperlichen Grenzen sind, wie weit man sich selbst pushen kann. Man möchte in Grenzbereiche vorstoßen, die man vielleicht so noch nicht erfahren hat. Und wenn ich das wirklich erreicht habe, macht mich das stolz. Ich weiß nicht, ob „quälen“ da das richtige Wort ist.

WELT: Sie meinen, weil es für die meisten Menschen negativ besetzt ist?

Lange: Genau, denn ich sehe daran nichts Negatives. Lieber: sich ans Limit bringen. Generell ist diese Sportart keine Qual für mich. Denn ich kann genau das als Job ausüben, was ich mein Leben lang machen wollte, wofür ich fast 20 Jahre hart gekämpft habe. Das weiß ich zu schätzen und rufe es mir ins Gedächtnis, wenn ich mal schlechte Einheiten habe. Es ist nach wie vor so, dass ich diesen Job über alles liebe, immer noch neugierig bin, neue Trainingsmethoden auszuprobieren, neue Rhythmen, ein neues Rennen und anderes. Mich holt das gesamte Thema immer noch emotional ab und macht mich einfach glücklich. Deswegen empfinde ich das auch nicht als Qual. Ich würde auch sagen: Triathlon macht mich heute sogar noch glücklicher, als es das jemals getan hat. Einfach aufgrund des Erfolges im vergangenen Jahr, weil dadurch enorm viel Druck abgefallen ist.

WELT: Bringt das eine gewisse Ruhe und Freiheit mit sich?

Lange: Definitiv. Dass ich den Sport nicht mehr zehn Jahre machen werde, ist klar. Und für mich ist es ein wichtiger Teil dieses langsamen Abschlusses, die verbleibende Zeit wirklich versuchen zu genießen. Zu genießen, wie gut es noch geht.

WELT: Abschluss? Über was reden wir konkret?

Lange: Vielleicht noch zwei Jahre, vielleicht auch anders. Sicher ist nur, dass ich keine zehn Jahre mehr dabei sein werde, aber noch ein paar Jahre. Es bleibt natürlich eine mentale Herausforderung, aber ich möchte die restliche Zeit im Spitzensport bewusst mitnehmen.

WELT: Hat sich denn etwas Weiteres verändert durch diesen Druckabfall, durch eine gewisse Ruhe und Freiheit? Können Sie leichter abschalten, sich auch mal zurücklehnen?

Lange: Ich war zum Glück noch nie jemand, der Probleme damit hatte, sich wirklich mal zu entspannen. Ich habe in meiner Kindheit mit Sport begonnen, weil ich ADHS habe – der Sport hat dann alles in meinem Gehirn sortiert und dieses Aktionspotenzial ein bisschen herunterreguliert. Dadurch konnte ich dann auch mal ruhig sitzen. Heute ist es immer noch so. Dadurch, dass es jetzt natürlich viel mehr Training ist, kann ich auch zwei, drei Tage komplett entspannen. Und wenn ich mit meiner Frau im Urlaub bin, dann ist sie eher diejenige, die morgens ins Gym geht, während ich erst mal zum Frühstück gehe und noch eine Portion extra esse. Da bin ich total relaxt und kann das genießen. Ich muss mich nicht dazu zwingen, mich zu entspannen.

WELT: Manch einer hat ein schlechtes Gewissen…

Lange: Das kommt oft dazu, aber bei mir zum Glück gar nicht. Ich trainiere so viel, dass ich mir gerne auch mal einen Tag Pause gönne. Und ich glaube auch, dass das der Schlüssel ist, um einigermaßen verletzungsfrei durch eine Karriere zu gehen. Denn von größeren Verletzungen bin ich ja zum Glück verschont geblieben. Ich hatte zwar in dieser Saison Adduktoren-Probleme, aber ansonsten gab es nichts, was einer Überlastung geschuldet war. Und das zeugt von einer guten Balance.

WELT: Sprechen wir noch mal genauer über Nizza. Ab 2026 geht es für alle zurück nach Hawaii, als Eintagesformat – genau dafür hatten Sie plädiert. Ändert das etwas an der Herangehensweise für Nizza? Die letzte Chance dort?

Lange: Ja, das ist ein guter Punkt. Es wird Richtung Karriereende viele letzte Male geben, dieses ist das erste davon. Ich glaube, dass man sich da noch mal spezieller motivieren kann, vor allen Dingen in schwierigen Phasen während des Rennens. An der Vorbereitung ändert sich nichts. Aber es wird auf jeden Fall für absehbare Zeit und definitiv für den Zeitraum meiner Karriere das letzte Mal sein, dass wir eine Weltmeisterschaft in Europa haben. Und deshalb steht es unter einem besonderen Stern und motiviert extra. Sam Laidlow, der in Nizza, aber noch nicht auf Hawaii gewonnen hat, und ich haben zudem die außergewöhnliche Chance, an beiden Orten zu gewinnen. Das würde für einen sehr wandelbaren, außerordentlichen Athleten sprechen. Und das ist ebenfalls eine Motivation.

WELT: 2023 waren Sie immerhin Zweiter hinter Laidlow.

Lange: Das war großartig, aber ich habe nicht gewonnen. Und es wäre schon etwas ganz Besonderes, wenn du sowohl in Nizza als auch auf Hawaii gesiegt hast und damit bei einer WM unterschiedliche Herausforderungen bravourös gemeistert hast. Klar habe ich unterschiedliche Ironman-Rennen gewonnen, aber der Weltmeistertitel zählt deutlich mehr. Bei einer WM legen alle noch mal eine extra Schippe drauf. Ich muss aber sagen, dass dieser Gap zwischen Nizza und Hawaii signifikant ist.

WELT: Sie meinen in der Wahrnehmung?

Lange: Einerseits in der Außenwahrnehmung, aber auch innerhalb der Szene und bei mir selbst.

WELT: Aus Ihrer persönlichen Meinung haben Sie nie einen Hehl gemacht: Die WM gehört für Sie nach Hawaii. Wie groß also war die Freude, als die Rolle rückwärts vollzogen wurde?

Lange: Sehr groß! Ich war in die Entscheidungsfindung bei Ironman ein bisschen eingebunden. Man muss klar sagen, dass sich Ironman da gewandelt, vor allen Dingen unter dem neuen CEO. Scott DeRue ist deutlich interessierter an den Meinungen der Athleten – sowohl der Age-Grouper, als auch der Profis. Ich habe mich gehört gefühlt. Dass es dann in dieser Geschwindigkeit umgesetzt wurde, hat mich aber schon überrascht und sehr glücklich gemacht. So eine Entscheidung trifft Ironman ja auch nicht unbegründet. Sie haben eine valide Datensammlung dafür gemacht, eine Athletenbefragung durchgeführt und mehr. Es war der logische Schritt und ist für die Sportart enorm wichtig. Ich habe mich für den Triathlon-Sport sehr gefreut, dass diese Entscheidung so getroffen wurde.

WELT: Andererseits ist fast alles, was neu ist, erst mal schwierig. Und man muss Dingen auch eine Chance geben, damit sie funktionieren können. Aber das hätte wohl, wenn überhaupt, zu lange gebraucht. Die nicht ausgelasteten Starterfelder waren nicht wegzudiskutieren.

Lange: Vielleicht hätte Ironman vor 30 Jahren anfangen müssen, rotierende Weltmeisterschaften anzubieten. Aber sie haben sich das ja marketingtechnisch so aufgebaut, dass das natürlich jetzt schwer rückgängig zu machen ist. Ich selbst bin da ja auch gebrainwashed, wenn man so möchte. Hawaii ist die Tradition, der Mythos. Hawaii-Sieger zu sein, ist auf der Langdistanz das Größte.

WELT: Sechs Deutsche haben das bisher geschafft. Es gibt jetzt eine relativ große Gruppe junger Deutscher, die nachkommen. Dazu zählen auch Mika Noodt und Rico Bogen, die bisher noch nicht auf die Langdistanz gegangen sind. Zuletzt glänzte Finn Große-Freese mit neuer deutscher Langdistanz-Bestzeit. Ist das motivierend? Auch beruhigend? Wie nehmen Sie das wahr?

Lange: Erst mal nehme ich das mit großer Freude zur Kenntnis, denn es gab auch ein paar Jahre, in denen ich eher in Frage gestellt habe, ob die deutsche Zukunft im Langdistanz-Triathlon so rosig aussieht. Aber das hat sich wirklich komplett gedreht. Zum Beispiel durch Rico Bogen, Mika Noodt, Jonas Schomburg – auch wenn er jetzt nicht mehr ganz der Jüngste ist. Das ist total schön und super wichtig für den Triathlon. Es ist generell immer sehr wichtig im Leistungssport, Vorbilder zu haben – und die Jungs haben das Potenzial, in die Fußstapfen zu treten. Dafür drücke ich ihnen die Daumen.

Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.

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