Unergründlicher Zeitspiel-Aberwitz versetzt Fußball in Rage
Ein Spiel dauert 90 Minuten. Diese alte Fußball-Weisheit war einmal. Spätestens seit dieser Saison dauert ein Spiel auch mal 105 Minuten. Das kommt nicht überall gut an. Ganz im Gegenteil. Nur was ist die Lösung?
Kennet Eichhorn? Der jüngste Zweitliga-Spieler der Geschichte mit kaum mehr als 16 Jahren! Noah König? Der schnellste Platzverweis der deutschen Profi-Fußballgeschichte nach nur 26 Sekunden! Jakub Kaminski? Der späteste Treffer der Bundesliga-Geschichte, erzielt in der 104. Minute.
Am vergangenen Wochenende purzelten in Deutschland mal wieder die Rekorde. Die ersten beiden Rekorde dürften schwer zu toppen sein, Kaminskis Rekord durch den Ausgleich zum 3:3 für den 1. FC Köln im Spiel beim VfL Wolfsburg (Highlights auf RTL+) hingegen wird vielleicht bereits in dieser Saison wieder fallen. Dabei fiel der Treffer in der 14. Minute der Nachspielzeit. Die dauerte insgesamt eine Viertelstunde. Das sorgte nicht nur für Begeisterung.
"Wilde Achterbahnfahrt"
Die neue Nachspielzeitregelung sorgt in Deutschland weiter für Verwunderung. Der Fußball reagiert zunehmend mit Unverständnis, auch von "willkürlicher Handhabung" ist die Rede. "Das war eine wilde Achterbahnfahrt", sagte Kölns Trainer Lukas Kwasniok. Er war begeistert von den insgesamt drei Treffern nach Ablauf der 90 Minuten: "Die letzten 15 Minuten waren noch wilder als die 90 davor."
Dem hatte Wolfsburgs Kapitän Maximilian Arnold zwar nichts entgegenzusetzen. Auf die ewige Nachspielzeit hätte er jedoch gerne verzichtet. "Brutal. Das ist Wahnsinn. Das funktioniert so nicht", sagte der Torschütze zum 3:2 für Wolfsburg in der neunten Minute der Nachspielzeit: "Der Schiedsrichter kann auch nichts dafür. Aber das funktioniert so nicht: 15 Minuten Nachspielzeit…"
Auslöser in Wolfsburg war vor allen Dingen die ewige Überprüfung eines Kopfballtores von Marius Bülter in der 56. Minute. Schiedsrichter Bastian Dankert hatte das Tor gegeben, dann wurde es fünf Minuten vom VAR überprüft und zurückgenommen. Bereits zuvor hatte es eine dreiminütige Unterbrechung wegen einer Pyroshow der Fans gegeben. Die Minuten addierten sich.
"Schon relativ fragwürdig"
Weil seit dieser Saison neue Maßgaben zur Nachspielzeit gelten, folgte die gigantische Verlängerung der Partie. Jeder Treffer und jeder Wechselslot schlagen in diesem Jahr pauschal mit 30 Sekunden zu Buche. Dazu kommen die handgestoppten Unterbrechungen für den VAR, für Pyroshow- und Verletzungsunterbrechungen. All das wird aufaddiert. Es sorgt für Unmut. Nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit. Bereits am Freitag haderte Frankfurts Trainer Dino Toppmöller beim 1:3 in Leverkusen mit der aufgrund der neuen Regularien aus seiner Sicht zu kurzen Nachspielzeit.
Dort waren sieben Minuten angezeigt und effektiv zehn Minuten nachgespielt worden. Für Toppmöller zu wenig. "Uns wird vor dem Spiel immer erzählt, dass es sehr viel Nachspielzeit geben kann", sagte Toppmöller nach dem Spiel und rechnete dann die Unterbrechungspausen in der zweiten Halbzeit vor. "Sieben Minuten Nachspielzeit ist schon relativ fragwürdig, wenn das Spiel zwei Minuten unterbrochen ist wegen dem Rauch, dann gibt es eine Kopfverletzung, wieder zwei Minuten unterbrochen. Es gibt zwei Gelb-Rote-Karten, wir schießen ein Tor, es gibt unendliche Wechsel und dann gibt es am Ende sieben Minuten."
"Ich könnte ausrasten"
Bereits vor der Länderspielpause hatten sich Bielefelds Mitch Kniat ("Ich könnte ausrasten, wenn ich über das Thema rede") und Bochums Dieter Hecking ("Ich bin ein bisschen irritiert") über die Auslegung der Nachspielzeit bei ihren jeweiligen 1:2-Niederlagen gegen Dynamo Dresden respektive beim FC Schalke 04 gewundert. Eine Thematik, die auch die unteren Ligen in Deutschland beschäftigt. "Aktuell fehlt es an einer einheitlichen und nachvollziehbaren Linie bei der Handhabung der Nachspielzeiten - sowohl zwischen den Wettbewerben als auch innerhalb einzelner Ligen", sagt Christian Flüthmann, der Sportdirektor des Drittligisten Rot-Weiss Essen, bei ntv.de.
"In der 2. Bundesliga erleben wir regelmäßig zweistellige Nachspielzeiten, die sich nur schwer begründen lassen", sagt Flüthmann und geht dann auf die erste Liga unterhalb der DFL ein: "Während in der 3. Liga trotz zahlreicher Unterbrechungen durch Tore, Auswechslungen oder Behandlungen mal zu früh, mal zu spät abgepfiffen wird." Es könnte der Eindruck einer "willkürlichen Handhabung" entstehen.
In der Debatte war zuletzt immer wieder auch von der der möglichen Einführung einer Nettospielzeit die Rede. Doch davon will Flüthmann nichts wissen. Er sagt: "Wir sollten zunächst dafür sorgen, dass die Nachspielzeit konsistent, transparent und regelgeleitet berechnet und dann auch eingehalten wird. Alles andere sorgt nur für Verwirrung - bei Spielern, Trainern und Zuschauern gleichermaßen." Und für neue Rekorde. Doch die würden sich die maßgeblichen Protagonisten an Spieltagen wohl lieber ersparen.
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