Der Frieden von Schalke
Frank Baumann ist niemand, der Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft. Er nimmt sich Zeit, bevor er handelt – auch da, wo es oftmals einfach zu hektisch, zu fiebrig scheint, um wohlüberlegt oder gar strategisch zu wirken. „Nach eingehender Analyse: Schalke 04 optimiert die Strukturen im Scouting und Nachwuchsbereich“, hieß die Betreffzeile einer Pressemitteilung, die der Zweitligist am Montag per E-Mail verschickt hatte. Klingt erst einmal nicht nach Breaking News.
Dahinter versteckte sich jedoch eine Meldung von Tragweite. Die Königsblauen trennten sich von Kaderplaner Ben Manga – dem Mann, der erst vor anderthalb Jahren geholt worden war und mit dem große Hoffnungen verbunden waren. Manga sollte die Schalker Mannschaft, die sich damals im Abstiegskampf befand, auf Sicht komplett neu aufbauen.
Er sollte, so schwebte es Aufsichtsratschef Axel Hefer und Vorstandsboss Matthias Tillmann vor, eine Art Fußball-Märchen realisieren: junge, hungrige Talente entdecken, die dann bei den Profis oder in der Knappenschmiede, der Nachwuchsabteilung, entwickeln, bevor sie später mit großem Gewinn verkauft werden – nachdem sie zuvor den Klub idealerweise auch noch zurück in die erste Bundesliga gebracht haben.
Der Kaderwert sollte gesteigert werden. Intern, so schreibt der „Kicker“, soll der klamme Traditionsverein sogar davon geträumt haben, eine Mannschaft zu bauen, die 200 Millionen Euro wert ist. Das wäre in etwa das Siebenfache dessen, worauf Schalkes aktuelles Aufgebot taxiert ist.
Einst „Perlentaucher“, nun abserviert
Der kühne Plan, der zwar sehr langfristig angelegt war, konnte nicht aufgehen. Selbst mit einem „Perlentaucher“ wie Ben Manga nicht, der sich diesen Spitznamen in den fünf Jahren, in denen er als Chefscout für Eintracht Frankfurt tätig war, erworben hatte. Damals, zwischen 2016 und 2021, hatte er daran mitgewirkt, Spieler wie Luka Jović und Sebastien Haller zu holen. Jovic war für 2,5 Millionen Euro von Benfica Lissabon gekommen und zwei Jahre später für 60 Millionen an Real Madrid verkauft worden. Haller war für sieben Millionen aus Utrecht geholt und für 50 Millionen zu West Ham transferiert worden.
Das Problem war nur: Schalke war kaum in der Lage, starken Talenten vergleichbare Perspektiven zu bieten. Zudem hatte sich Manga in Frankfurt auf seine Kernkompetenz konzentrieren können: das Erspähen von Talenten oder Spielern, die in das funktionierende Eintracht-Gebilde passen. Auf Schalke sollte er auch administrative Aufgaben übernehmen – und von einem funktionierenden Gebilde konnte erst recht keine Rede sein. Es herrschte Kompetenzgerangel. Manga harmonierte nicht mit Sportdirektor Marc Wilmots, der nur vier Monate vor Manga gekommen war. Wilmots musste gehen.
Doch Manga beging eine Reihe von Fehlern: Von den 17 Verpflichtungen, die im Sommer 2024 getätigt worden, schlug nur Mittelstürmer Moussa Sylla so richtig ein. Erschwerend kam hinzu, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Kommunikation zwischen Manga und dem damaligen Trainer Karel Geraerts gestört war, um es vorsichtig auszudrücken. Die beiden lieferten sich bizarre öffentliche Auseinandersetzungen über die Qualitäten einzelner Spieler. Spätestens da hätte den Schalker Verantwortlichen klar werden müssen, dass Manga in seiner Funktion überfordert ist. Doch stattdessen feuerten sie Geraerts.
Mangas entscheidender Fehler auf Schalke
So erlaubten sie Manga, den entscheidenden Fehler zu viel zu machen: Sie ließen ihn den neuen Trainer aussuchen. Das Engagement von Kees van Wonderen, der im vergangenen Oktober kam, endete nach nur sieben Monaten. Erst da dämmerte es auch den Schalkern, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Kurz zuvor hatte der Verein bereits bekannt gegeben, dass mit Frank Baumann ein neuer starker Mann für den Sport kommen.
Baumann, der die seit dem Rückzug von Peter Knäbel im Januar 2024 verwaiste Position des Sportvorstandes übernahm, kam zu einem Zeitpunkt, als das königsblaue Chaos kaum größer hätte sein können. Mit seinem offiziellen Dienstbeginn am 1. Juni begann eine neue Zeitrechnung. Denn mit dem 49 Jahre alten Ex-Nationalspieler, der 14 Jahre in unterschiedlichen Funktionen in der Geschäftsführung von Werder Bremen tätig war, darunter acht Jahre in leitender Funktion, hat Schalke endlich wieder einen Fußballfachmann im Vorstandsrang.
Baumann dürfte sich lange geprüft haben, bevor er sich auf die anspruchsvolle Aufgabe eingelassen hat. Die finanziellen Probleme sind bekannt. Schalke drücken immer noch hohe Verbindlichkeiten, 162,7 Millionen Euro zum Ende des Geschäftsjahres 2024. Das schränkt seine Handlungsfähigkeit ein – vorwiegend auf dem Transfermarkt.
Und doch schien die Gelegenheit auch irgendwie günstig. Denn die Folgen der Fehler aus der Vergangenheit haben einen derart hohen Leidensdruck zur Folge gehabt, dass Baumann davon ausgehen konnte, dass ihm Tillmann, der laut Organigramm als Vorstandsvorsitzender sein Vorgesetzter ist, und vor allem der mächtige Aufsichtsratschef Helfer folgen werden – in nahezu allem, was er tut.
Baumann kam vorbereitet und setzte viele seiner Pläne schnell um. Allen voran installierte er mit Miron Muslic einen Cheftrainer, den zuvor niemand auf der Rechnung hatte. Mit ihm suchte er Verstärkungen aus. Es kamen Spieler, die sofort helfen konnten – wie der neue Abwehrchef Nikola Katic. Ben Manga spielte dabei kaum noch eine Rolle.
Schalke kann auf Platz eins springen
Vor allem aber gelang es Muslic, was vor wenigen Monaten schwer möglich schien. Der 43-jährige Österreicher bosnischer Abstammung erzeugte eine neue Aufbruchstimmung. Die Mannschaft streifte die tief sitzenden Verunsicherungen der vergangenen beiden Spielzeiten ab – und steht nach vier Siegen aus den ersten sechs Spielen auf dem vierten Tabellenplatz. Sollte am Freitag gegen Greuther Fürth (18.30 Uhr/live Sky) gewonnen werden, könnte Schalke sogar – zumindest für eine Nacht – an die Tabellenspitze springen.
„Wir sind auf einem guten Weg, nicht mehr und nicht weniger“, sagte Muslic – wohl wissend, dass es noch deutlich zu früh werde, eventuelle Aufstiegs-Täumereien zu befeuern. „Hier ist alles emotional, hier schießt immer alles schnell durch die Decke. Wir haben nicht die Tabellenführung im Kopf, sondern unsere Leistung“, erklärte er.
Für diese Sachlichkeit, traditionell nicht gerade eine Schalker Tugend, steht vor allem Baumann mit seiner ruhigen Art. Der äußerte sich den vergangenen Tagen gar nicht zu den mittlerweile wieder guten sportlichen Perspektiven. Er wird sich stattdessen, so wie es in der unspektakulären Überschrift der Pressemitteilung angekündigt ist, darum kümmern, Strukturen zu optimieren. Zudem dankte Baumann Ben Manga. Der sei in einer „schwierigen Phase“ zum Verein gestoßen und habe „Impulse“ gesetzt: „Wir danken ihm für seine Arbeit und wünschen ihm beruflich wie privat alles Gute.“
Nüchterner geht es kaum. Aber gerade das scheint Schalke gutzutun.
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