„Wir sind das Aschenputtel der Champions League“
Das Stelios-Kyriakides-Stadion ist zu klein für die großen Aufgaben, die auf den zyprischen Meister Pafos FC in der Champions League zukommen. Und so empfangen Trainer Juan Carlos Carcedo (54) und seine Mannschaft den FC Bayern am Dienstag (21 Uhr, Amazon Prime) nicht in der eigentlichen Heimspielstätte des Vereins, sondern im Alphamega Stadium in Limassol.
Schon das allein zeugt von dem Kräfteverhältnis der beiden ungleichen Klubs. Für den Pafos FC ist es die erste Königsklassen-Qualifikation überhaupt. Und erstmals überhaupt wurde der Verein vergangene Saison zypriotischer Meister.
Frage: Herr Carcedo, Sie waren 14 Jahre Co-Trainer von Unai Emery bei Top-Klubs wie dem FC Sevilla, Paris Saint-Germain und Arsenal. Wie hat es Sie nach Zypern zum Pafos FC verschlagen?
Juan Carlos Carcedo: Ich wollte nach der langen Zeit als Assistent auch mal als Cheftrainer arbeiten. Nach zwei Stationen in Spanien kam 2023 dann das Angebot von Pafos – und das hatte viel mehr zu bieten als nur ein angenehmes Leben mit gutem Essen und viel Sonne. Das Projekt war total spannend, auch weil damals schon die Teilnahme an internationalen Wettbewerben ein Ziel war. Dass wir schon jetzt in der Champions League spielen, hätte sich damals allerdings niemand erträumen lassen.
Frage: Die Stimmung dürfte prächtig sein ...
Carcedo: Stimmt! In Pafos herrscht gerade eine wunderbare Euphorie. Wir haben zuletzt immer öfter unser Stadion voll bekommen, in das etwa 12.000 Zuschauer passen. Das ist richtig viel für eine Stadt, die außerhalb der Urlaubssaison rund 50.000 Einwohner hat.
Frage: Möglich gemacht haben die erste Königsklassen-Qualifikation der Vereinsgeschichte auch zwei russischstämmige Investoren.
Carcedo: Richtig, die Besitzer investieren schon seit acht, neun Jahren in die Mannschaft, aber auch in die Infrastruktur, die in einigen Bereichen noch unserem sportlichen Erfolg angepasst werden muss. Es soll beispielsweise ein neues Stadion gebaut werden, da unseres für die Champions League keine Zulassung bekommt und wir deshalb unsere internationalen Heimspiele noch in Limassol austragen müssen (eine Auto-Stunde entfernt; d. Red.).
Frage: Es fließen aber keine Mega-Summen. Laut „transfermarkt.de“ ist Ihr Kader 25,4 Millionen Euro wert. Der Ihres nächsten Gegners FC Bayern wird auf über 905 Millionen Euro taxiert.
Carcedo: Für uns ist es deswegen schon ein historischer Erfolg, vergangene Saison erstmals zypriotischer Meister geworden zu sein und uns mit Siegen gegen so große Klubs wie Dynamo Kiew und Roter Stern Belgrad überhaupt für die Champions League qualifiziert zu haben. Wir sind jetzt das Aschenputtel des Wettbewerbs. Auf uns setzt wahrscheinlich keiner – und es wirkt vielleicht, als seien wir einfach zu besiegen.
Frage: Wie gut schätzen denn Sie Ihr Team im Vergleich zu den europäischen Topteams ein?
Carcedo: In Spanien wären wir vielleicht ein Top-Team in der zweiten Liga oder eines, das in der ersten Liga um den Klassenerhalt spielt. Aber wir kämpfen gegen jeden Gegner und können an guten Tagen auch in der Champions League wettbewerbsfähig sein – das haben wir mit dem 0:0 am ersten Spieltag bei Olympiakos Piräus schon bewiesen.
Frage: Was ist gegen den FC Bayern möglich? Klub-Patron Hoeneß sieht sein Team dieses Jahr in Europa bekanntlich als Außenseiter.
Carcedo (lacht): Das sehe ich anders! Ich sehe die Bayern nach ihren ersten Spielen in der Bundesliga und der Champions League gerade vielmehr als das formstärkste Team Europas. Ob sie bis zum Schluss um den Titel spielen werden, kann ich nicht sagen, da sich im Fußball durch Hochs, Tiefs oder Verletzungen alles wahnsinnig schnell ändern kann. Aber Bayern zählt für mich auf jeden Fall zu den sechs oder sieben Teams, die bis zum Schluss um den Titel spielen werden. Trotzdem werden wir das Spiel keinesfalls vorzeitig aufgeben. Denn das wird ein geschichtsträchtiger Abend für die ganze Stadt. Dass der FC Bayern einmal in der Champions League bei uns zu Gast sein würde, war bis vor Kurzem noch völlig unvorstellbar – jetzt wollen wir das einfach nur genießen.
Frage: Ihr langjähriger Cheftrainer Unai Emery ist ein echter Bayern-Schreck. 2022 warf er die Münchner mit Villarreal im Viertelfinale nach einem 1:1 und einem 1:0 aus der Champions League. Und vergangene Saison bezwang er sie in der Liga-Phase der Königsklasse mit Aston Villa 1:0. Haben Sie sich schon Tipps von ihm geholt?
Carcedo: Bislang nicht. Wir haben aber nach wie vor ein sehr gutes, enges Verhältnis. Wir telefonieren regelmäßig und sprechen über private Dinge und natürlich auch über Fußball.
Frage: Wie viel Emery steckt denn in Ihnen?
Carcedo: Die Niveaus, auf denen wir aktuell als Cheftrainer arbeiten, sind sehr unterschiedlich. Unai leistet ja schon lange bei absoluten Spitzenklubs herausragende Arbeit. Aber natürlich haben wir nach der langen gemeinsamen Zeit eine sehr ähnliche Arbeitsweise und viele Gemeinsamkeiten. Eine davon wird für uns bei Pafos in der Champions League besonders wichtig: Wir müssen versuchen, uns an unsere Gegner anzupassen und clevere Mittel gegen deren Stärken zu finden. Das macht Unai besonders gut – und wir werden genau das jetzt brauchen, um trotz unserer grundsätzlichen Unterlegenheit mit Top-Teams wie Bayern mithalten zu können.
Frage: Wie soll das gegen Bayern klappen?
Carcedo: Wir wollen zu Hause schon mutig sein. Wir können auch mal pressen, und wir erkennen unsere Chancen für Konter. Auch bei Standards arbeiten wir gut. Natürlich wird alles davon abhängen, welche Möglichkeiten uns Bayern bietet. Aber wieso sollten wir nicht einen perfekten Tag erwischen und vielleicht einen Punkt oder sogar mehr mitnehmen?
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) geführt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
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